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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

reichsten Variationen über das Thema der deutschen Stadt zu vernehmen.
Daß Hamburg, rein als Städtebild, schöner ist als jede andre Seestadt von
gleicher Größe kraft seiner breiten Anlage um die stolze Wasserfläche herum,
die ganze Wiesen und Haine des vor fünfzig Jahren noch unbebauten Landes
mit eingeschlossen hat, gereicht ihm ebenso zum Stolz, wie die Größe und
Ordnung seiner Hafenanlagen. Selbst Venedig und Genua, die geschichtlich
nah verwandten Städterepubliken, verblassen in meiner Erinnerung neben dieser
künstlerisch ungemein viel cirmern, einfachern Stadt des Nordens, in der soviel
mehr Behagen ist und nichts welkt, sondern Saft und Kraft sich lebensfreudig
regt. Man wird ja freilich vergebens nach den Palästen der Hamburger Pa¬
trizier fragen, der Doria und Vendramin.

Was heute von Hamburger Kaufleuten Weltruf hat, das wohnt in ein¬
fachen Häusern, die nicht übermäßig luxuriös ausgestattet, aber herrlich ge¬
legen sind. Ein freier Blick auf die einzig schöne grünumrandete Wasserfläche
der Älster, ein recht breiter wohlgepflegter Rasenteppich, ein paar uralte Ulmen,
die noch aus der Zeit stammen, wo hier ein Dorfwäldchen stand, gelten diesen
Leuten, die gar nichts scheinen wollen, mehr als Marmorsäulen und Giebel-
Pracht. Es ist wahr, daß nicht alle Hamburger damit einverstanden sind.
Aber die Träger hoher künstlerischer Ideale sind, wie überall, nicht die, die
über Macht und Einfluß gebieten. Die Hamburger lassen sich in der kleinen
Kunst, die das Leben schmückt, Lichtwarks und Brinkmanns Rat ganz gern
gefallen, aber ihre Häuser gestalten sie diesen verehrten Ratgebern zuliebe nicht
um. Ein befreundeter Hamburger zeigte mir sein Geschäftshaus, eines von
den hohen schmalen Häusern am Kanal, unten Comptoire, oben Speicher, mit
kaum sichtbarem Eingang und schmalen Treppen. „Hier, wo jetzt die er¬
weiterten Comptoire sind, da sind wir, meine Brüder und ich, aufgewachsen.
So waren die alten Hamburger Häuser; unten Geschäftsräume, oben Speicher,
dazwischen die Wohnräume. Man wohnte beschränkter als jetzt, aber das
Wohnen in diesen alten Häusern hatte den besondern Reiz, daß alles warm
beisammen war. Vor den Fenstern stiegen die Ballen empor, die der kräch¬
zende Kran in den Speicher hob, und an der Schwelle des Hauses legten
Schiffe an. Wer in solchem Haus groß wurde, der lernte die Kaufmannschaft
von selbst, der sog die Luft des Groß- und Seehandels im Schlafe ein.
Meine Eltern sind hier gestorben, erst dann legten wir Geschäfts- und Wohn¬
haus ans einander. Damit ist aber auch die Stetigkeit geschwunden. Vielen
behagen schon jetzt die vor dreißig Jahren erbauten Häuser nicht mehr, sie sind
nicht bequem genug, und man zieht es vor, der neuen Generation ein neu¬
ausgestattetes Haus in neuer Lage zu erbauen, statt das alte umzubauen. So
kommt es, daß wir keine Paläste haben. Die schmalen hohen Ziegelbauten,
die am Hafen unmittelbar aus dem Wasser auftauchen, gefüllt mit Waren,
immer sich leerend und immer neu gefüllt: das sind unsre Paläste."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/518>, abgerufen am 25.01.2025.