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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

Lied durfte die Ruhe des Spießbürgers stören, man überließ die Leitung
den Obern, zur Not den Fremden und kümmerte sich um das Geschäft
und das Vergnügen. Es steckt darin mehr, als wir glauben, von der ver¬
derblichen Apathie der Franzosen, die sich heute dem Konvent und morgen
der Militärdiktatur beugen und dabei immer den unternehmenden Einzelnen
abwarten, sei es um Cäsar oder Brutus, der sie retten soll. Die Deutschen
haben noch keine Veranlassung, auf diese Eigenschaft ihrer Nachbarn so hoch
herabzusehen. Was sie in großen Zeiten gerettet hat, war nicht die Leistung
vieler Einzelnen, sondern die übermenschliche Anstrengung einzelner großer
Menschen, von denen das deutsche Volk nach langer Dürre seit Stein und
Blücher allerdings eine überraschende Anzahl geboren hat, und die Bereit¬
willigkeit, mit der man diesen Leitern folgte.

Ich finde die deutsche Geselligkeit schöner als jede andre, ich teile sie mit
Freuden, selbst auf der Vierbank, soweit sie Geister belebt und die Herzen
öffnet. Aber ich fürchte sie als Gleichmacherin nach unten hin, als Abstnmpferin
der heilsamen Selbständigkeit der Einzelnen, als eine Verführerin, die uns arm
an eigentümlichen, starken Individualitäten in einem Augenblicke macht, wo
wir nicht reich genug daran sein können. Vielleicht ist es undankbar, dieses
Urteil in einem Augenblicke niederzuschreiben, wo ich noch unter dem Eindrucke
der schönen Abende stehe, die ich in der kleinen Kabine des Schiffsarztes im
Kreise lieber Landsleute verlebt habe. Aber gerade vou ähnlichen Abenden
nach grauen einförmigen Schiffahrtstagen im Atlantischen Ozean klingt mir
ein Wort nach, das Kurt von Schlözer, in der Mitte der siebziger Jahre
deutscher Gesandter in Washington, der unvergeßlich heitere, originelle, aus¬
sprach: Es ist verdammt unbequem, alles, was wir thun, auf seine Wirkung
aufs Ganze prüfen zu müssen; aber in die politische Kinderstube können wir
doch auch nicht zurück. Also vorwärts, in die Ungemütlichkeit hinein!




Sei mir gegrüßt, liebliches Hamburg! Und du, deutscher Landsmann,
der du gewohnt bist, beim Namen Hamburg an die erste Handelsstadt des
Kontinents und die zweite Stadt des Deutschen Reichs zu denken, verzeihe
mir, wenn ich dein großes, stolzes, reiches Hamburg lieblich nenne. Ich denke
jetzt an die lachenden Bilder der Marschdörfer mit ihren altersbraunen hoch-
giebeligen Häusern, an die blühenden Gärten und die hellen Gartenhäuser auf
den höhern hügeligen Elbufern von Vlcmkenese, und vor allem denke ich an die
alten Bäume, die grünen Plätze, die gartenumsüumten Alsternfer, die schattigen
Straßen Hamburgs und seiner Vorstädte. Es mag für den Binnenländer sehr
interessant und lehrreich sein, in dem Geschäftsleben Hamburgs die Vereinigung
deutscher und englischer Neigungen, Richtungen und Begabungen zu sehen; ich
finde es viel anziehender, in Hamburgs Außen- und Innenleben eine der


Briefe eines Zurückgekehrten

Lied durfte die Ruhe des Spießbürgers stören, man überließ die Leitung
den Obern, zur Not den Fremden und kümmerte sich um das Geschäft
und das Vergnügen. Es steckt darin mehr, als wir glauben, von der ver¬
derblichen Apathie der Franzosen, die sich heute dem Konvent und morgen
der Militärdiktatur beugen und dabei immer den unternehmenden Einzelnen
abwarten, sei es um Cäsar oder Brutus, der sie retten soll. Die Deutschen
haben noch keine Veranlassung, auf diese Eigenschaft ihrer Nachbarn so hoch
herabzusehen. Was sie in großen Zeiten gerettet hat, war nicht die Leistung
vieler Einzelnen, sondern die übermenschliche Anstrengung einzelner großer
Menschen, von denen das deutsche Volk nach langer Dürre seit Stein und
Blücher allerdings eine überraschende Anzahl geboren hat, und die Bereit¬
willigkeit, mit der man diesen Leitern folgte.

Ich finde die deutsche Geselligkeit schöner als jede andre, ich teile sie mit
Freuden, selbst auf der Vierbank, soweit sie Geister belebt und die Herzen
öffnet. Aber ich fürchte sie als Gleichmacherin nach unten hin, als Abstnmpferin
der heilsamen Selbständigkeit der Einzelnen, als eine Verführerin, die uns arm
an eigentümlichen, starken Individualitäten in einem Augenblicke macht, wo
wir nicht reich genug daran sein können. Vielleicht ist es undankbar, dieses
Urteil in einem Augenblicke niederzuschreiben, wo ich noch unter dem Eindrucke
der schönen Abende stehe, die ich in der kleinen Kabine des Schiffsarztes im
Kreise lieber Landsleute verlebt habe. Aber gerade vou ähnlichen Abenden
nach grauen einförmigen Schiffahrtstagen im Atlantischen Ozean klingt mir
ein Wort nach, das Kurt von Schlözer, in der Mitte der siebziger Jahre
deutscher Gesandter in Washington, der unvergeßlich heitere, originelle, aus¬
sprach: Es ist verdammt unbequem, alles, was wir thun, auf seine Wirkung
aufs Ganze prüfen zu müssen; aber in die politische Kinderstube können wir
doch auch nicht zurück. Also vorwärts, in die Ungemütlichkeit hinein!




Sei mir gegrüßt, liebliches Hamburg! Und du, deutscher Landsmann,
der du gewohnt bist, beim Namen Hamburg an die erste Handelsstadt des
Kontinents und die zweite Stadt des Deutschen Reichs zu denken, verzeihe
mir, wenn ich dein großes, stolzes, reiches Hamburg lieblich nenne. Ich denke
jetzt an die lachenden Bilder der Marschdörfer mit ihren altersbraunen hoch-
giebeligen Häusern, an die blühenden Gärten und die hellen Gartenhäuser auf
den höhern hügeligen Elbufern von Vlcmkenese, und vor allem denke ich an die
alten Bäume, die grünen Plätze, die gartenumsüumten Alsternfer, die schattigen
Straßen Hamburgs und seiner Vorstädte. Es mag für den Binnenländer sehr
interessant und lehrreich sein, in dem Geschäftsleben Hamburgs die Vereinigung
deutscher und englischer Neigungen, Richtungen und Begabungen zu sehen; ich
finde es viel anziehender, in Hamburgs Außen- und Innenleben eine der


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[0517] Briefe eines Zurückgekehrten Lied durfte die Ruhe des Spießbürgers stören, man überließ die Leitung den Obern, zur Not den Fremden und kümmerte sich um das Geschäft und das Vergnügen. Es steckt darin mehr, als wir glauben, von der ver¬ derblichen Apathie der Franzosen, die sich heute dem Konvent und morgen der Militärdiktatur beugen und dabei immer den unternehmenden Einzelnen abwarten, sei es um Cäsar oder Brutus, der sie retten soll. Die Deutschen haben noch keine Veranlassung, auf diese Eigenschaft ihrer Nachbarn so hoch herabzusehen. Was sie in großen Zeiten gerettet hat, war nicht die Leistung vieler Einzelnen, sondern die übermenschliche Anstrengung einzelner großer Menschen, von denen das deutsche Volk nach langer Dürre seit Stein und Blücher allerdings eine überraschende Anzahl geboren hat, und die Bereit¬ willigkeit, mit der man diesen Leitern folgte. Ich finde die deutsche Geselligkeit schöner als jede andre, ich teile sie mit Freuden, selbst auf der Vierbank, soweit sie Geister belebt und die Herzen öffnet. Aber ich fürchte sie als Gleichmacherin nach unten hin, als Abstnmpferin der heilsamen Selbständigkeit der Einzelnen, als eine Verführerin, die uns arm an eigentümlichen, starken Individualitäten in einem Augenblicke macht, wo wir nicht reich genug daran sein können. Vielleicht ist es undankbar, dieses Urteil in einem Augenblicke niederzuschreiben, wo ich noch unter dem Eindrucke der schönen Abende stehe, die ich in der kleinen Kabine des Schiffsarztes im Kreise lieber Landsleute verlebt habe. Aber gerade vou ähnlichen Abenden nach grauen einförmigen Schiffahrtstagen im Atlantischen Ozean klingt mir ein Wort nach, das Kurt von Schlözer, in der Mitte der siebziger Jahre deutscher Gesandter in Washington, der unvergeßlich heitere, originelle, aus¬ sprach: Es ist verdammt unbequem, alles, was wir thun, auf seine Wirkung aufs Ganze prüfen zu müssen; aber in die politische Kinderstube können wir doch auch nicht zurück. Also vorwärts, in die Ungemütlichkeit hinein! Sei mir gegrüßt, liebliches Hamburg! Und du, deutscher Landsmann, der du gewohnt bist, beim Namen Hamburg an die erste Handelsstadt des Kontinents und die zweite Stadt des Deutschen Reichs zu denken, verzeihe mir, wenn ich dein großes, stolzes, reiches Hamburg lieblich nenne. Ich denke jetzt an die lachenden Bilder der Marschdörfer mit ihren altersbraunen hoch- giebeligen Häusern, an die blühenden Gärten und die hellen Gartenhäuser auf den höhern hügeligen Elbufern von Vlcmkenese, und vor allem denke ich an die alten Bäume, die grünen Plätze, die gartenumsüumten Alsternfer, die schattigen Straßen Hamburgs und seiner Vorstädte. Es mag für den Binnenländer sehr interessant und lehrreich sein, in dem Geschäftsleben Hamburgs die Vereinigung deutscher und englischer Neigungen, Richtungen und Begabungen zu sehen; ich finde es viel anziehender, in Hamburgs Außen- und Innenleben eine der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/517>, abgerufen am 15.01.2025.