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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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künstlerischen Genuß, den dieser Anblick besonders von einer der mittelalterlichen
Seitenemporen gewährt, wird man aufgeschreckt durch das häßliche, gewerbs¬
mäßige Klappern und Lärmen der Unterbedienten, und in die Träumereien
über die Einheit der Weltgeschichte und die Erhabenheit der Gottheit mischt
sich die Erinnerung an die Thatsache, daß gerade hier an dieser Stelle Papst
Pius II., der feingebildete, gelehrte Sproß des Hauses Piccolomini starb, als
er weltlichen Plänen nachjagte und gleich manchem andern kirchlichen Ober¬
haupte die Religion über der Politik und dem irdischen Erfolge vergaß.

Nur 24 Kilometer südlich von Ancona liegt Loreto, der altberühmte
Wallfahrtsort, der gleichfalls mit unwiderstehlicher Macht Betrachtungen über
Kirchliches und Weltliches heraufbeschwört. Der katholischen Überlieferung
zufolge wurde Eude des dreizehnten Jahrhunderts das Wohnhaus der Mutter
Gottes aus Nazareth durch unsichtbare Engel zunächst nach Dalmatien (12V1),
sodann (1294) hierher in den Garten einer Witwe Namens Laureta (daher
Loreto; Lauretum bedeutet Lorbeerwald!) übertragen, wo es bald Gegenstand
größter Verehrung und Heilighaltung wurde. Im fünfzehnten und sechzehnte"
Jahrhundert wetteiferten die größten Künstler miteinander, zum äußern Schmucke
des armseligen, dürftigen Gemäuers beizutragen. Melozzo da Forli, Luca
Signorelli, Bramante, Andrea Sansovino, Giuliano und Antonio da San
Gallo waren hier thätig und haben uns zum Teil köstliche Werke hinter¬
lassen. Es würde zu weit führen und nicht in den Nahmen unsrer Schilderung
gehören, wenn ich ihre Lauretcmer Schöpfungen würdigen wollte, von andrer
Seite ist es oft genug geschehen. Und auch das jahrmarktmäßige Treiben, das
sich an dieser Stätte gern entwickelt, ist schon wiederholt beschrieben worden,
erst vor Jahresfrist hat uns I. V. Widmann, der bekannte Schweizer Schrift¬
steller, ein anmutiges Stimmungsvolles Bild von den Eindrücken geliefert, die
sich ihm hier aufdrängten. Nur auf einige wenige Punkte möchte ich daher
die Aufmerksamkeit der Leser lenken.

Es giebt nicht allzu viel Wallfahrtskirchen, die von jeher mit soviel Gold,
Silber und Edelsteinen beschenkt worden sind und im Innern einen so gleißenden
Prunk und eine so blendende Pracht aufweisen; um so stärker aber wirkt der
Gegensatz, den die große Schar der Bettler und Krüppel mit ihrem wirklichen
oder kunstvoll erdichteten Jammer zeigt. Sodann wird man anerkennen müssen,
daß die Bewohner der kleinen Stadt, die sich an das Gotteshaus anschließt,
mit Ausnahme weniger Ackerbürger ausschließlich von den Wallfahrern leben,
die hierher pilgern, und einen großen Vorteil aus dem Besitze der og,8a sg-reg.
ziehen, wie ja auch das Äußere der Stadt mit der langgestreckten Hauptstraße
und ihren zahllosen Devotivnalienläden uns dies sofort erkennen läßt; und
doch sind die Außenwände des Rathauses fast mehr uoch als sonst in Italien
mit riesigen Marmortafeln bedeckt, auf denen in stolzen Worten der Ruhm
der modernen Einigung Italiens und der antiklerikalen Erhebung verkündet


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

künstlerischen Genuß, den dieser Anblick besonders von einer der mittelalterlichen
Seitenemporen gewährt, wird man aufgeschreckt durch das häßliche, gewerbs¬
mäßige Klappern und Lärmen der Unterbedienten, und in die Träumereien
über die Einheit der Weltgeschichte und die Erhabenheit der Gottheit mischt
sich die Erinnerung an die Thatsache, daß gerade hier an dieser Stelle Papst
Pius II., der feingebildete, gelehrte Sproß des Hauses Piccolomini starb, als
er weltlichen Plänen nachjagte und gleich manchem andern kirchlichen Ober¬
haupte die Religion über der Politik und dem irdischen Erfolge vergaß.

Nur 24 Kilometer südlich von Ancona liegt Loreto, der altberühmte
Wallfahrtsort, der gleichfalls mit unwiderstehlicher Macht Betrachtungen über
Kirchliches und Weltliches heraufbeschwört. Der katholischen Überlieferung
zufolge wurde Eude des dreizehnten Jahrhunderts das Wohnhaus der Mutter
Gottes aus Nazareth durch unsichtbare Engel zunächst nach Dalmatien (12V1),
sodann (1294) hierher in den Garten einer Witwe Namens Laureta (daher
Loreto; Lauretum bedeutet Lorbeerwald!) übertragen, wo es bald Gegenstand
größter Verehrung und Heilighaltung wurde. Im fünfzehnten und sechzehnte»
Jahrhundert wetteiferten die größten Künstler miteinander, zum äußern Schmucke
des armseligen, dürftigen Gemäuers beizutragen. Melozzo da Forli, Luca
Signorelli, Bramante, Andrea Sansovino, Giuliano und Antonio da San
Gallo waren hier thätig und haben uns zum Teil köstliche Werke hinter¬
lassen. Es würde zu weit führen und nicht in den Nahmen unsrer Schilderung
gehören, wenn ich ihre Lauretcmer Schöpfungen würdigen wollte, von andrer
Seite ist es oft genug geschehen. Und auch das jahrmarktmäßige Treiben, das
sich an dieser Stätte gern entwickelt, ist schon wiederholt beschrieben worden,
erst vor Jahresfrist hat uns I. V. Widmann, der bekannte Schweizer Schrift¬
steller, ein anmutiges Stimmungsvolles Bild von den Eindrücken geliefert, die
sich ihm hier aufdrängten. Nur auf einige wenige Punkte möchte ich daher
die Aufmerksamkeit der Leser lenken.

Es giebt nicht allzu viel Wallfahrtskirchen, die von jeher mit soviel Gold,
Silber und Edelsteinen beschenkt worden sind und im Innern einen so gleißenden
Prunk und eine so blendende Pracht aufweisen; um so stärker aber wirkt der
Gegensatz, den die große Schar der Bettler und Krüppel mit ihrem wirklichen
oder kunstvoll erdichteten Jammer zeigt. Sodann wird man anerkennen müssen,
daß die Bewohner der kleinen Stadt, die sich an das Gotteshaus anschließt,
mit Ausnahme weniger Ackerbürger ausschließlich von den Wallfahrern leben,
die hierher pilgern, und einen großen Vorteil aus dem Besitze der og,8a sg-reg.
ziehen, wie ja auch das Äußere der Stadt mit der langgestreckten Hauptstraße
und ihren zahllosen Devotivnalienläden uns dies sofort erkennen läßt; und
doch sind die Außenwände des Rathauses fast mehr uoch als sonst in Italien
mit riesigen Marmortafeln bedeckt, auf denen in stolzen Worten der Ruhm
der modernen Einigung Italiens und der antiklerikalen Erhebung verkündet


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[0051] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien künstlerischen Genuß, den dieser Anblick besonders von einer der mittelalterlichen Seitenemporen gewährt, wird man aufgeschreckt durch das häßliche, gewerbs¬ mäßige Klappern und Lärmen der Unterbedienten, und in die Träumereien über die Einheit der Weltgeschichte und die Erhabenheit der Gottheit mischt sich die Erinnerung an die Thatsache, daß gerade hier an dieser Stelle Papst Pius II., der feingebildete, gelehrte Sproß des Hauses Piccolomini starb, als er weltlichen Plänen nachjagte und gleich manchem andern kirchlichen Ober¬ haupte die Religion über der Politik und dem irdischen Erfolge vergaß. Nur 24 Kilometer südlich von Ancona liegt Loreto, der altberühmte Wallfahrtsort, der gleichfalls mit unwiderstehlicher Macht Betrachtungen über Kirchliches und Weltliches heraufbeschwört. Der katholischen Überlieferung zufolge wurde Eude des dreizehnten Jahrhunderts das Wohnhaus der Mutter Gottes aus Nazareth durch unsichtbare Engel zunächst nach Dalmatien (12V1), sodann (1294) hierher in den Garten einer Witwe Namens Laureta (daher Loreto; Lauretum bedeutet Lorbeerwald!) übertragen, wo es bald Gegenstand größter Verehrung und Heilighaltung wurde. Im fünfzehnten und sechzehnte» Jahrhundert wetteiferten die größten Künstler miteinander, zum äußern Schmucke des armseligen, dürftigen Gemäuers beizutragen. Melozzo da Forli, Luca Signorelli, Bramante, Andrea Sansovino, Giuliano und Antonio da San Gallo waren hier thätig und haben uns zum Teil köstliche Werke hinter¬ lassen. Es würde zu weit führen und nicht in den Nahmen unsrer Schilderung gehören, wenn ich ihre Lauretcmer Schöpfungen würdigen wollte, von andrer Seite ist es oft genug geschehen. Und auch das jahrmarktmäßige Treiben, das sich an dieser Stätte gern entwickelt, ist schon wiederholt beschrieben worden, erst vor Jahresfrist hat uns I. V. Widmann, der bekannte Schweizer Schrift¬ steller, ein anmutiges Stimmungsvolles Bild von den Eindrücken geliefert, die sich ihm hier aufdrängten. Nur auf einige wenige Punkte möchte ich daher die Aufmerksamkeit der Leser lenken. Es giebt nicht allzu viel Wallfahrtskirchen, die von jeher mit soviel Gold, Silber und Edelsteinen beschenkt worden sind und im Innern einen so gleißenden Prunk und eine so blendende Pracht aufweisen; um so stärker aber wirkt der Gegensatz, den die große Schar der Bettler und Krüppel mit ihrem wirklichen oder kunstvoll erdichteten Jammer zeigt. Sodann wird man anerkennen müssen, daß die Bewohner der kleinen Stadt, die sich an das Gotteshaus anschließt, mit Ausnahme weniger Ackerbürger ausschließlich von den Wallfahrern leben, die hierher pilgern, und einen großen Vorteil aus dem Besitze der og,8a sg-reg. ziehen, wie ja auch das Äußere der Stadt mit der langgestreckten Hauptstraße und ihren zahllosen Devotivnalienläden uns dies sofort erkennen läßt; und doch sind die Außenwände des Rathauses fast mehr uoch als sonst in Italien mit riesigen Marmortafeln bedeckt, auf denen in stolzen Worten der Ruhm der modernen Einigung Italiens und der antiklerikalen Erhebung verkündet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/51>, abgerufen am 15.01.2025.