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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Gine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen "ut nach Zlpulien

Wird! Eine Häufung der Gegensätze, ein Zusammenstoß weltlichen und geist¬
lichen Empfindens, wie er schärfer nicht gedacht werden kann, und lediglich
hervorgerufen durch den Mißbrauch geistlicher Macht für weltliche Zwecke!

Loreto liegt schon mitten in der Gegend, deren Schilderung der eigentliche
Zweck dieser Zeilen ist. Ich beabsichtige zunächst ein Bild zu geben von der
Landschaft, die mit Ancona beginnt und nahe bei Brindisi endigt, mit andern
Worten: von der südlichen Hälfte der Ostküste Italiens. Wie ich schon hervor¬
gehoben habe, wird sie wenig von Fremden aufgesucht. Zwar wird die längs
des Meeres laufende Eisenbahn von Nordeuropüern viel benutzt; wer nach
Ägypten oder Griechenland fahren will, benutzt mit Vorliebe die hier ver¬
kehrenden Schnellzuge, und auch nach Neapel giebt es über Ancona und
Foggia eine gute Verbindung. Man hört von den Reisenden Äußerungen des
größten Entzückens über die durchsauste Landschaft; aber nur die allerwenigsten
Pflegen hier Rast zu machen. Die weite Strecke, die dabei in Betracht kommt,
hat selbstverständlich keinen einheitlichen Charakter, der Vreitenunterschied ist
zu groß; aber sie läßt sich leicht und ungezwungen in vier Teile gliedern, von
denen jeder sür sich eine zusammenfassende Behandlung ermöglicht und recht¬
fertigt. Es sind folgende: 1. von Ancona bis Castellammare Adriatico,")
146 Kilometer Eisenbahnlinie; 2. von Castellammare bis Termoli 90, genauer
bis Chieuti 107 Kilometer, 3. von Chieuti bis Barletta, 138 Kilometer, und
4. von Barletta bis Brindisi, 166 Kilometer (immer Eisenbahnlinie).

Ans dem ersten Abschnitte, von Ancona bis Castellammare, rücken die
Apenninen so nahe wie sonst nirgends an die Adria heran; sie erheben sich
zugleich zu ihren höchsten Spitzen, den Monti Sibillini mit fast 2500 in, dem
Gran Sasso mit fast 3000 in und weiterhin der Majella mit fast 2800 in.
Der eigentliche Gebirgsstock steigt schroff empor, seine scharfkantigen, oben
schneebedeckten Felsen sind von gewaltiger Majestät; zum Meere entsendet er
kleine, sich nach allen Seiten sanft abdachende Querriegel, die durch Flüsse
von einander geschieden sind. Die Entwicklung dieser Flüsse ist natürlich gering,
immerhin haben sie wegen der schneeigen Höhe ihrer Quellgebiete eine recht
hübsche Wassermenge. Die Thäler sind nahe am Meere breit, wohlangebaut,
fruchtbar; nach dem Hochgebirge zu werden sie eng und bilden mitunter tief
eingerissene wilde Schluchten. Infolge dieser Umstände sind sie recht wechsel¬
voll und stimmungsreich, und man weiß nicht, ob man den fruchtbringenden
Gefilden oder den romantischen Felsszenerien den Vorzug geben soll. Ich
persönlich möchte den ersten den Preis zuerkennen; hier ist die Landschaft von
einem Duft und einer Zartheit, die geradezu unbeschreiblich sind, und die sich



Streng genommen ist diese erste Strecke noch einige Kilometer weiter zu rechnen; aber
der bei Castellammare mündende Pescarasluß bietet einen geographisch so wichtigen Einschnitt dar,
daß er nicht zu übergehen ist.
Gine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen »ut nach Zlpulien

Wird! Eine Häufung der Gegensätze, ein Zusammenstoß weltlichen und geist¬
lichen Empfindens, wie er schärfer nicht gedacht werden kann, und lediglich
hervorgerufen durch den Mißbrauch geistlicher Macht für weltliche Zwecke!

Loreto liegt schon mitten in der Gegend, deren Schilderung der eigentliche
Zweck dieser Zeilen ist. Ich beabsichtige zunächst ein Bild zu geben von der
Landschaft, die mit Ancona beginnt und nahe bei Brindisi endigt, mit andern
Worten: von der südlichen Hälfte der Ostküste Italiens. Wie ich schon hervor¬
gehoben habe, wird sie wenig von Fremden aufgesucht. Zwar wird die längs
des Meeres laufende Eisenbahn von Nordeuropüern viel benutzt; wer nach
Ägypten oder Griechenland fahren will, benutzt mit Vorliebe die hier ver¬
kehrenden Schnellzuge, und auch nach Neapel giebt es über Ancona und
Foggia eine gute Verbindung. Man hört von den Reisenden Äußerungen des
größten Entzückens über die durchsauste Landschaft; aber nur die allerwenigsten
Pflegen hier Rast zu machen. Die weite Strecke, die dabei in Betracht kommt,
hat selbstverständlich keinen einheitlichen Charakter, der Vreitenunterschied ist
zu groß; aber sie läßt sich leicht und ungezwungen in vier Teile gliedern, von
denen jeder sür sich eine zusammenfassende Behandlung ermöglicht und recht¬
fertigt. Es sind folgende: 1. von Ancona bis Castellammare Adriatico,")
146 Kilometer Eisenbahnlinie; 2. von Castellammare bis Termoli 90, genauer
bis Chieuti 107 Kilometer, 3. von Chieuti bis Barletta, 138 Kilometer, und
4. von Barletta bis Brindisi, 166 Kilometer (immer Eisenbahnlinie).

Ans dem ersten Abschnitte, von Ancona bis Castellammare, rücken die
Apenninen so nahe wie sonst nirgends an die Adria heran; sie erheben sich
zugleich zu ihren höchsten Spitzen, den Monti Sibillini mit fast 2500 in, dem
Gran Sasso mit fast 3000 in und weiterhin der Majella mit fast 2800 in.
Der eigentliche Gebirgsstock steigt schroff empor, seine scharfkantigen, oben
schneebedeckten Felsen sind von gewaltiger Majestät; zum Meere entsendet er
kleine, sich nach allen Seiten sanft abdachende Querriegel, die durch Flüsse
von einander geschieden sind. Die Entwicklung dieser Flüsse ist natürlich gering,
immerhin haben sie wegen der schneeigen Höhe ihrer Quellgebiete eine recht
hübsche Wassermenge. Die Thäler sind nahe am Meere breit, wohlangebaut,
fruchtbar; nach dem Hochgebirge zu werden sie eng und bilden mitunter tief
eingerissene wilde Schluchten. Infolge dieser Umstände sind sie recht wechsel¬
voll und stimmungsreich, und man weiß nicht, ob man den fruchtbringenden
Gefilden oder den romantischen Felsszenerien den Vorzug geben soll. Ich
persönlich möchte den ersten den Preis zuerkennen; hier ist die Landschaft von
einem Duft und einer Zartheit, die geradezu unbeschreiblich sind, und die sich



Streng genommen ist diese erste Strecke noch einige Kilometer weiter zu rechnen; aber
der bei Castellammare mündende Pescarasluß bietet einen geographisch so wichtigen Einschnitt dar,
daß er nicht zu übergehen ist.
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[0052] Gine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen »ut nach Zlpulien Wird! Eine Häufung der Gegensätze, ein Zusammenstoß weltlichen und geist¬ lichen Empfindens, wie er schärfer nicht gedacht werden kann, und lediglich hervorgerufen durch den Mißbrauch geistlicher Macht für weltliche Zwecke! Loreto liegt schon mitten in der Gegend, deren Schilderung der eigentliche Zweck dieser Zeilen ist. Ich beabsichtige zunächst ein Bild zu geben von der Landschaft, die mit Ancona beginnt und nahe bei Brindisi endigt, mit andern Worten: von der südlichen Hälfte der Ostküste Italiens. Wie ich schon hervor¬ gehoben habe, wird sie wenig von Fremden aufgesucht. Zwar wird die längs des Meeres laufende Eisenbahn von Nordeuropüern viel benutzt; wer nach Ägypten oder Griechenland fahren will, benutzt mit Vorliebe die hier ver¬ kehrenden Schnellzuge, und auch nach Neapel giebt es über Ancona und Foggia eine gute Verbindung. Man hört von den Reisenden Äußerungen des größten Entzückens über die durchsauste Landschaft; aber nur die allerwenigsten Pflegen hier Rast zu machen. Die weite Strecke, die dabei in Betracht kommt, hat selbstverständlich keinen einheitlichen Charakter, der Vreitenunterschied ist zu groß; aber sie läßt sich leicht und ungezwungen in vier Teile gliedern, von denen jeder sür sich eine zusammenfassende Behandlung ermöglicht und recht¬ fertigt. Es sind folgende: 1. von Ancona bis Castellammare Adriatico,") 146 Kilometer Eisenbahnlinie; 2. von Castellammare bis Termoli 90, genauer bis Chieuti 107 Kilometer, 3. von Chieuti bis Barletta, 138 Kilometer, und 4. von Barletta bis Brindisi, 166 Kilometer (immer Eisenbahnlinie). Ans dem ersten Abschnitte, von Ancona bis Castellammare, rücken die Apenninen so nahe wie sonst nirgends an die Adria heran; sie erheben sich zugleich zu ihren höchsten Spitzen, den Monti Sibillini mit fast 2500 in, dem Gran Sasso mit fast 3000 in und weiterhin der Majella mit fast 2800 in. Der eigentliche Gebirgsstock steigt schroff empor, seine scharfkantigen, oben schneebedeckten Felsen sind von gewaltiger Majestät; zum Meere entsendet er kleine, sich nach allen Seiten sanft abdachende Querriegel, die durch Flüsse von einander geschieden sind. Die Entwicklung dieser Flüsse ist natürlich gering, immerhin haben sie wegen der schneeigen Höhe ihrer Quellgebiete eine recht hübsche Wassermenge. Die Thäler sind nahe am Meere breit, wohlangebaut, fruchtbar; nach dem Hochgebirge zu werden sie eng und bilden mitunter tief eingerissene wilde Schluchten. Infolge dieser Umstände sind sie recht wechsel¬ voll und stimmungsreich, und man weiß nicht, ob man den fruchtbringenden Gefilden oder den romantischen Felsszenerien den Vorzug geben soll. Ich persönlich möchte den ersten den Preis zuerkennen; hier ist die Landschaft von einem Duft und einer Zartheit, die geradezu unbeschreiblich sind, und die sich Streng genommen ist diese erste Strecke noch einige Kilometer weiter zu rechnen; aber der bei Castellammare mündende Pescarasluß bietet einen geographisch so wichtigen Einschnitt dar, daß er nicht zu übergehen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/52>, abgerufen am 15.01.2025.