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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Land nach Bedarf anzukaufen, also die Versorgung aller Bürger mit Grund¬
besitz ohne Konfiskationen und sonstigen Rechtsbruch möglich zu machen, und
ein Zehnmäunerkollegium sollte das große Werk mit souveräner Vollmacht
leiten. Auf diesen Unitarischen Gesetzvorschlag hat der Züricher Privatdozent
Dr. Leo Bloch eine Rettung Catilinas gegründet. Er hat voriges Jahr in
drei Artikeln der Frankfurter Zeitung nachzuweisen versucht, daß Catilina kein
verschuldeter Liederjan, sondern als Mann einer reichen Frau frei von per¬
sönlichen Geldsorgen, und daß er ein vom Geiste der Gracchen beseelter echt
aristokratischer Staatsmann und Sozialreformer gewesen sei, daß seine ganze
sogenannte Verschwörung in einer zur Erlangung des Konsulats organisierten
Wahlkampagne bestanden habe, daß die ihm und den Seinen nachgesagten
Schandthaten erlogen seien, und daß das "Ordnungskartell" sich zu solchen
Verleumdungen genötigt gesehen habe, weil doch die Parole: gegen die Sozial-
refvrm zu unpopulär gewesen wäre, während die Parole: gegen den Umsturz
ihm alle zuführte, die sich nicht gern abschlachte" oder das Haus über dem
Kopfe anzünden lassen wollten. Der einzige Fehler dieser Männer, hinter
denen übrigens wahrscheinlich Crassus und Cäsar gestanden haben, sei gewesen,
daß sie eine Reform, die sich nnr mit den Mitteln der Monarchie hätte
durchführen lassen, ohne Antastung der republikanischen Verfassung durchführen
wollten.

Wenn wir nun fragen, was diese Reformen geholfen haben, so sind wir,
da das Altertum leider keine Statistik getrieben hat, auf Schlüsse aus allge¬
meinen Schilderungen angewiesen. Da in der Kaiserzeit ganz Italien, nament¬
lich Mittelitalien und die Lombardei, als ein einziger großer Garten geschildert
wird, und da fast gar kein Militär in Italien stand, Störungen der Ordnung
also nicht zu befürchten waren, so muß jene Entwicklung oder vielmehr Auf¬
lösung, die vom zweiten punischen Kriege ab aus dem schönen Lande eine von
wilden Hirten und Räuberbanden durchstreifte Wüste zu machen drohte, rück¬
läufig gemacht worden sein. Nach Friedländers Ansicht hat der ältere Plinius
mit seinem bekannten Ausspruch: I^Mucken vsrcliäörs Jtälmen, jam vsro vt
xiovinvmin, nur gemeint, das Latifundienwesen habe das Volk in Reiche und
Arme gespalten (was auch in diesem Sinne noch übertrieben sei), keineswegs,
es habe die Landwirtschaft Italiens zu Grunde gerichtet. Mag diese eine Zeit
lang die Richtung auf Plantagenwirtschaft genommen haben -- in der Kaiser¬
zeit herrschen die Mittel- und Kleinbetriebe vor; der Großbesitz bedeutete
keineswegs Großbetrieb; das Latifundium war, geradeso wie heute in England,
in eine Menge Pachtgüter und (von Sklaven des Herrn unter Aufsicht eines
Villiers bewirtschaftete) Meiereien geteilt. Und die Zahl der kleinern und
mittlern Eigentümer, die zwischen diesen Pächtern und Meiern saßen, war nicht
gering. In dem Verzeichnis von fünfzig Gütern in der Gegend von Benevent,
die für eine wohlthätige Stiftung Trajans verpfändet waren, kommen nur


Der Römerstaat

Land nach Bedarf anzukaufen, also die Versorgung aller Bürger mit Grund¬
besitz ohne Konfiskationen und sonstigen Rechtsbruch möglich zu machen, und
ein Zehnmäunerkollegium sollte das große Werk mit souveräner Vollmacht
leiten. Auf diesen Unitarischen Gesetzvorschlag hat der Züricher Privatdozent
Dr. Leo Bloch eine Rettung Catilinas gegründet. Er hat voriges Jahr in
drei Artikeln der Frankfurter Zeitung nachzuweisen versucht, daß Catilina kein
verschuldeter Liederjan, sondern als Mann einer reichen Frau frei von per¬
sönlichen Geldsorgen, und daß er ein vom Geiste der Gracchen beseelter echt
aristokratischer Staatsmann und Sozialreformer gewesen sei, daß seine ganze
sogenannte Verschwörung in einer zur Erlangung des Konsulats organisierten
Wahlkampagne bestanden habe, daß die ihm und den Seinen nachgesagten
Schandthaten erlogen seien, und daß das „Ordnungskartell" sich zu solchen
Verleumdungen genötigt gesehen habe, weil doch die Parole: gegen die Sozial-
refvrm zu unpopulär gewesen wäre, während die Parole: gegen den Umsturz
ihm alle zuführte, die sich nicht gern abschlachte» oder das Haus über dem
Kopfe anzünden lassen wollten. Der einzige Fehler dieser Männer, hinter
denen übrigens wahrscheinlich Crassus und Cäsar gestanden haben, sei gewesen,
daß sie eine Reform, die sich nnr mit den Mitteln der Monarchie hätte
durchführen lassen, ohne Antastung der republikanischen Verfassung durchführen
wollten.

Wenn wir nun fragen, was diese Reformen geholfen haben, so sind wir,
da das Altertum leider keine Statistik getrieben hat, auf Schlüsse aus allge¬
meinen Schilderungen angewiesen. Da in der Kaiserzeit ganz Italien, nament¬
lich Mittelitalien und die Lombardei, als ein einziger großer Garten geschildert
wird, und da fast gar kein Militär in Italien stand, Störungen der Ordnung
also nicht zu befürchten waren, so muß jene Entwicklung oder vielmehr Auf¬
lösung, die vom zweiten punischen Kriege ab aus dem schönen Lande eine von
wilden Hirten und Räuberbanden durchstreifte Wüste zu machen drohte, rück¬
läufig gemacht worden sein. Nach Friedländers Ansicht hat der ältere Plinius
mit seinem bekannten Ausspruch: I^Mucken vsrcliäörs Jtälmen, jam vsro vt
xiovinvmin, nur gemeint, das Latifundienwesen habe das Volk in Reiche und
Arme gespalten (was auch in diesem Sinne noch übertrieben sei), keineswegs,
es habe die Landwirtschaft Italiens zu Grunde gerichtet. Mag diese eine Zeit
lang die Richtung auf Plantagenwirtschaft genommen haben — in der Kaiser¬
zeit herrschen die Mittel- und Kleinbetriebe vor; der Großbesitz bedeutete
keineswegs Großbetrieb; das Latifundium war, geradeso wie heute in England,
in eine Menge Pachtgüter und (von Sklaven des Herrn unter Aufsicht eines
Villiers bewirtschaftete) Meiereien geteilt. Und die Zahl der kleinern und
mittlern Eigentümer, die zwischen diesen Pächtern und Meiern saßen, war nicht
gering. In dem Verzeichnis von fünfzig Gütern in der Gegend von Benevent,
die für eine wohlthätige Stiftung Trajans verpfändet waren, kommen nur


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[0508] Der Römerstaat Land nach Bedarf anzukaufen, also die Versorgung aller Bürger mit Grund¬ besitz ohne Konfiskationen und sonstigen Rechtsbruch möglich zu machen, und ein Zehnmäunerkollegium sollte das große Werk mit souveräner Vollmacht leiten. Auf diesen Unitarischen Gesetzvorschlag hat der Züricher Privatdozent Dr. Leo Bloch eine Rettung Catilinas gegründet. Er hat voriges Jahr in drei Artikeln der Frankfurter Zeitung nachzuweisen versucht, daß Catilina kein verschuldeter Liederjan, sondern als Mann einer reichen Frau frei von per¬ sönlichen Geldsorgen, und daß er ein vom Geiste der Gracchen beseelter echt aristokratischer Staatsmann und Sozialreformer gewesen sei, daß seine ganze sogenannte Verschwörung in einer zur Erlangung des Konsulats organisierten Wahlkampagne bestanden habe, daß die ihm und den Seinen nachgesagten Schandthaten erlogen seien, und daß das „Ordnungskartell" sich zu solchen Verleumdungen genötigt gesehen habe, weil doch die Parole: gegen die Sozial- refvrm zu unpopulär gewesen wäre, während die Parole: gegen den Umsturz ihm alle zuführte, die sich nicht gern abschlachte» oder das Haus über dem Kopfe anzünden lassen wollten. Der einzige Fehler dieser Männer, hinter denen übrigens wahrscheinlich Crassus und Cäsar gestanden haben, sei gewesen, daß sie eine Reform, die sich nnr mit den Mitteln der Monarchie hätte durchführen lassen, ohne Antastung der republikanischen Verfassung durchführen wollten. Wenn wir nun fragen, was diese Reformen geholfen haben, so sind wir, da das Altertum leider keine Statistik getrieben hat, auf Schlüsse aus allge¬ meinen Schilderungen angewiesen. Da in der Kaiserzeit ganz Italien, nament¬ lich Mittelitalien und die Lombardei, als ein einziger großer Garten geschildert wird, und da fast gar kein Militär in Italien stand, Störungen der Ordnung also nicht zu befürchten waren, so muß jene Entwicklung oder vielmehr Auf¬ lösung, die vom zweiten punischen Kriege ab aus dem schönen Lande eine von wilden Hirten und Räuberbanden durchstreifte Wüste zu machen drohte, rück¬ läufig gemacht worden sein. Nach Friedländers Ansicht hat der ältere Plinius mit seinem bekannten Ausspruch: I^Mucken vsrcliäörs Jtälmen, jam vsro vt xiovinvmin, nur gemeint, das Latifundienwesen habe das Volk in Reiche und Arme gespalten (was auch in diesem Sinne noch übertrieben sei), keineswegs, es habe die Landwirtschaft Italiens zu Grunde gerichtet. Mag diese eine Zeit lang die Richtung auf Plantagenwirtschaft genommen haben — in der Kaiser¬ zeit herrschen die Mittel- und Kleinbetriebe vor; der Großbesitz bedeutete keineswegs Großbetrieb; das Latifundium war, geradeso wie heute in England, in eine Menge Pachtgüter und (von Sklaven des Herrn unter Aufsicht eines Villiers bewirtschaftete) Meiereien geteilt. Und die Zahl der kleinern und mittlern Eigentümer, die zwischen diesen Pächtern und Meiern saßen, war nicht gering. In dem Verzeichnis von fünfzig Gütern in der Gegend von Benevent, die für eine wohlthätige Stiftung Trajans verpfändet waren, kommen nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/508>, abgerufen am 15.01.2025.