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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Brot zu versorgen, also ein Recht des römischen Bürgers schuf, auf Kosten
der Provinzialen zu leben. Erst durch diese Besteuerung, und durch die Ver¬
pachtung der Steuer an die ritterlichen Publikcmen, die bis dahin nur die
Domänen und die Hafenzölle gepachtet hatten, machte er diese zu Blutsaugern
und zur Plage der Asiaten. So groß also auch der Gedanke war, der die
Gracchen beseelte, so groß war er nicht, wie es die Weltstellung Roms er¬
forderte; er beschränkte sich auf die nationale Wiedergeburt Italiens, faßte
aber nicht die Organisation des Reichs ins Auge. Wenigstens insoweit über¬
schritt jedoch Casus Gracchus die Schranken des Nationalstaats, daß er auch
die Provinzen als Kolonisationsgebiet für Jtaliker heranzog und zunächst die
Stätte des zerstörten Karthagos mit sechstausend römischen Proletariern zu
besiedeln beschloß.

Nach der gracchischen Zeit ging sür die Proletarier der Weg zum Besitz
durch das Militär. Das römische Heer war bis dahin immer noch die Bürger¬
schaft in Waffen gewesen, und zwar in dem Grade, daß jede Truppe von Zen-
stten ihre besondre Bewaffnung und ihre bestimmte Stellung im Treffe" hatte,
und daß die Besitzlosen gar nicht zum Kriegsdienst zugelassen wurden. Marius
gestattete jedem diensttauglichen Manne, der sich freiwillig meldete, den Ein¬
tritt ins Heer, und hob in diesem alle bürgerlichen Unterschiede auf; es wurde
nach rein militärischen Rücksichten reorganisiert. Aus dem bewaffneten Bürger
wurde ein Soldat, der nebenbei auch Bürger sein konnte; öfter als einmal
haben diese Soldatenbttrger durch bewaffnete Abstimmung den Maßregeln ihrer
um die Alleinherrschaft kämpfenden Feldherren einen Schein von Gesetzlichkeit
geben müssen. Der Militärdienst wurde Lebensberuf und Broterwerb für
solche Proletarier, die noch nicht im hauptstädtischen Vummlerleben alle Kraft
eingebüßt hatten, und sollten diese Leute mit Lust dienen, so mußte der Feld¬
herr auf ihre Versorgung beim Eintritt der Invalidität bedacht sein. Da die
Naturalwirtschaft noch vorherrschte, und an eine Finanzverwaltung, die eine
Geldpension hätte sichern können, gar nicht zu denken war, so konnte die
Altersversorgung nur in einem Landlose bestehn. Des Marius eigner Ansied-
lungsplan -- er wollte seine Veteranen mit Landgütern im cisalpinischen
Gallien, in Afrika und Mazedonien dotieren -- kam nicht zur Ausführung;
aber Sulla soll 120000 Landlose verteilt haben; Pompejus siedelte 20000
Bürger, meist Veteranen, im Capuanischen an, und Cäsar versorgte in Gallien,
Spanien und Afrika nicht allein Veteranen, sondern auch arme Bürger mit
Land; die Zahl finden wir nirgends angegeben, sie wird aber nicht unbedeutend
gewesen sein; zeigt doch alles, was Cäsar gethan hat, den Stempel des Gro߬
artigen. In diese Periode der Soldatenkolonien sällt episodisch noch der Versuch
des Catilinariers Rullus, den gracchischeu Kolonisationsplan in vergrößertem
Maßstabe wieder aufzunehmen und ihm die ganze Reichsverwaltung dienstbar
zu machen; der Verkauf des -Uhr xudlious, dieses Wort im weitesten Umfange
verstanden, und eine Besteuerung aller Unterthanen sollte die Mittel liefern,


Der Römerstaat

Brot zu versorgen, also ein Recht des römischen Bürgers schuf, auf Kosten
der Provinzialen zu leben. Erst durch diese Besteuerung, und durch die Ver¬
pachtung der Steuer an die ritterlichen Publikcmen, die bis dahin nur die
Domänen und die Hafenzölle gepachtet hatten, machte er diese zu Blutsaugern
und zur Plage der Asiaten. So groß also auch der Gedanke war, der die
Gracchen beseelte, so groß war er nicht, wie es die Weltstellung Roms er¬
forderte; er beschränkte sich auf die nationale Wiedergeburt Italiens, faßte
aber nicht die Organisation des Reichs ins Auge. Wenigstens insoweit über¬
schritt jedoch Casus Gracchus die Schranken des Nationalstaats, daß er auch
die Provinzen als Kolonisationsgebiet für Jtaliker heranzog und zunächst die
Stätte des zerstörten Karthagos mit sechstausend römischen Proletariern zu
besiedeln beschloß.

Nach der gracchischen Zeit ging sür die Proletarier der Weg zum Besitz
durch das Militär. Das römische Heer war bis dahin immer noch die Bürger¬
schaft in Waffen gewesen, und zwar in dem Grade, daß jede Truppe von Zen-
stten ihre besondre Bewaffnung und ihre bestimmte Stellung im Treffe» hatte,
und daß die Besitzlosen gar nicht zum Kriegsdienst zugelassen wurden. Marius
gestattete jedem diensttauglichen Manne, der sich freiwillig meldete, den Ein¬
tritt ins Heer, und hob in diesem alle bürgerlichen Unterschiede auf; es wurde
nach rein militärischen Rücksichten reorganisiert. Aus dem bewaffneten Bürger
wurde ein Soldat, der nebenbei auch Bürger sein konnte; öfter als einmal
haben diese Soldatenbttrger durch bewaffnete Abstimmung den Maßregeln ihrer
um die Alleinherrschaft kämpfenden Feldherren einen Schein von Gesetzlichkeit
geben müssen. Der Militärdienst wurde Lebensberuf und Broterwerb für
solche Proletarier, die noch nicht im hauptstädtischen Vummlerleben alle Kraft
eingebüßt hatten, und sollten diese Leute mit Lust dienen, so mußte der Feld¬
herr auf ihre Versorgung beim Eintritt der Invalidität bedacht sein. Da die
Naturalwirtschaft noch vorherrschte, und an eine Finanzverwaltung, die eine
Geldpension hätte sichern können, gar nicht zu denken war, so konnte die
Altersversorgung nur in einem Landlose bestehn. Des Marius eigner Ansied-
lungsplan — er wollte seine Veteranen mit Landgütern im cisalpinischen
Gallien, in Afrika und Mazedonien dotieren — kam nicht zur Ausführung;
aber Sulla soll 120000 Landlose verteilt haben; Pompejus siedelte 20000
Bürger, meist Veteranen, im Capuanischen an, und Cäsar versorgte in Gallien,
Spanien und Afrika nicht allein Veteranen, sondern auch arme Bürger mit
Land; die Zahl finden wir nirgends angegeben, sie wird aber nicht unbedeutend
gewesen sein; zeigt doch alles, was Cäsar gethan hat, den Stempel des Gro߬
artigen. In diese Periode der Soldatenkolonien sällt episodisch noch der Versuch
des Catilinariers Rullus, den gracchischeu Kolonisationsplan in vergrößertem
Maßstabe wieder aufzunehmen und ihm die ganze Reichsverwaltung dienstbar
zu machen; der Verkauf des -Uhr xudlious, dieses Wort im weitesten Umfange
verstanden, und eine Besteuerung aller Unterthanen sollte die Mittel liefern,


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[0507] Der Römerstaat Brot zu versorgen, also ein Recht des römischen Bürgers schuf, auf Kosten der Provinzialen zu leben. Erst durch diese Besteuerung, und durch die Ver¬ pachtung der Steuer an die ritterlichen Publikcmen, die bis dahin nur die Domänen und die Hafenzölle gepachtet hatten, machte er diese zu Blutsaugern und zur Plage der Asiaten. So groß also auch der Gedanke war, der die Gracchen beseelte, so groß war er nicht, wie es die Weltstellung Roms er¬ forderte; er beschränkte sich auf die nationale Wiedergeburt Italiens, faßte aber nicht die Organisation des Reichs ins Auge. Wenigstens insoweit über¬ schritt jedoch Casus Gracchus die Schranken des Nationalstaats, daß er auch die Provinzen als Kolonisationsgebiet für Jtaliker heranzog und zunächst die Stätte des zerstörten Karthagos mit sechstausend römischen Proletariern zu besiedeln beschloß. Nach der gracchischen Zeit ging sür die Proletarier der Weg zum Besitz durch das Militär. Das römische Heer war bis dahin immer noch die Bürger¬ schaft in Waffen gewesen, und zwar in dem Grade, daß jede Truppe von Zen- stten ihre besondre Bewaffnung und ihre bestimmte Stellung im Treffe» hatte, und daß die Besitzlosen gar nicht zum Kriegsdienst zugelassen wurden. Marius gestattete jedem diensttauglichen Manne, der sich freiwillig meldete, den Ein¬ tritt ins Heer, und hob in diesem alle bürgerlichen Unterschiede auf; es wurde nach rein militärischen Rücksichten reorganisiert. Aus dem bewaffneten Bürger wurde ein Soldat, der nebenbei auch Bürger sein konnte; öfter als einmal haben diese Soldatenbttrger durch bewaffnete Abstimmung den Maßregeln ihrer um die Alleinherrschaft kämpfenden Feldherren einen Schein von Gesetzlichkeit geben müssen. Der Militärdienst wurde Lebensberuf und Broterwerb für solche Proletarier, die noch nicht im hauptstädtischen Vummlerleben alle Kraft eingebüßt hatten, und sollten diese Leute mit Lust dienen, so mußte der Feld¬ herr auf ihre Versorgung beim Eintritt der Invalidität bedacht sein. Da die Naturalwirtschaft noch vorherrschte, und an eine Finanzverwaltung, die eine Geldpension hätte sichern können, gar nicht zu denken war, so konnte die Altersversorgung nur in einem Landlose bestehn. Des Marius eigner Ansied- lungsplan — er wollte seine Veteranen mit Landgütern im cisalpinischen Gallien, in Afrika und Mazedonien dotieren — kam nicht zur Ausführung; aber Sulla soll 120000 Landlose verteilt haben; Pompejus siedelte 20000 Bürger, meist Veteranen, im Capuanischen an, und Cäsar versorgte in Gallien, Spanien und Afrika nicht allein Veteranen, sondern auch arme Bürger mit Land; die Zahl finden wir nirgends angegeben, sie wird aber nicht unbedeutend gewesen sein; zeigt doch alles, was Cäsar gethan hat, den Stempel des Gro߬ artigen. In diese Periode der Soldatenkolonien sällt episodisch noch der Versuch des Catilinariers Rullus, den gracchischeu Kolonisationsplan in vergrößertem Maßstabe wieder aufzunehmen und ihm die ganze Reichsverwaltung dienstbar zu machen; der Verkauf des -Uhr xudlious, dieses Wort im weitesten Umfange verstanden, und eine Besteuerung aller Unterthanen sollte die Mittel liefern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/507>, abgerufen am 15.01.2025.