Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Römerstaat

hohen Adel und der Ritterschaft") gegenüber, von denen jener im Senat seine
verfassungsmäßige Vertretung hatte, und mochten auch noch so viele einzelne
Mitglieder die Notwendigkeit und Heilsamkeit der von ihm vorgeschlagnen
Maßregeln einsehen, so überwog doch die Selbstsucht in dem Grade, daß an
die Genehmigung seiner Vorschläge durch die Mehrheiten dieser beiden Korpo¬
rationen nicht zu denken war. Es blieb ihm also nichts übrig als den Senats¬
beschlüssen Volksbeschlüsse entgegenzustellen, d. h. als Demagog auf die Straße
zu gehn. Dabei konnte es denn freilich leicht zu blutigen Zusammenstößen
kommen, ja vielleicht waren solche bei dem entschiednen Widerstande der großen
Domänenokkupanten, deren Besitz durch jahrhundertealte Verjährung in Eigen¬
tum übergegangen schien, gar nicht zu vermeiden, und das war es wohl, was
Männer wie Scipio Afritanus Minor von diesem Heilmittel zurückschreckte, ob¬
gleich sie seine Notwendigkeit einsahen. Wenig kommt darauf an, ob man den
Tiberius Gracchus für einen Revolutionär hält oder nicht, von welcher seiner
Handlungen an man die Revolution datiert, oder ob man die Aristokraten als
die eigentlichen Revolutionäre bezeichnet, die mit Knüppeln gegen ihn losgingen
und so die Ära der Gewaltthaten und Straßenkampfe eröffneten. Die Haupt¬
sache bleibt doch, daß der von ihm eingeschlagne Weg der richtige war, und
daß er die innere Kolonisation wieder in Gang brachte. In den sechs
Jahren von 131 bis 125 stieg die Bürgerliste von 319000 waffenfähigen
Bürgern auf 395000, "ohne allen Zweifel lediglich infolge der Thätigkeit der
Teilungskommission, deren Landanweisungen an italische Bundesgenossen
übrigens hierbei noch nicht in Ansatz gebracht sind," schreibt Mommsen. Weit
schärfer als in Tiberius tritt der demagogische und revolutionäre Charakter in
seinem Bruder Casus hervor, der uicht allein den Pöbel durch die Getreide¬
spenden zu seiner Leibgarde machte, sondern auch die Ritter an sich fesselte,
indem er bestimmte, daß die stehenden Gerichtshöfe uicht mehr, wie bisher, aus
Senatoren, sondern aus Rittern zusammengesetzt sein sollten. Dadurch wurden
uicht allein die adlichen Statthalter, die sich nun wegen Erpressungen nicht
mehr vor ihresgleichen, sondern vor einem Kollegium von Kaufleuten zu ver¬
antworten hatten, aufs tiefste gedemütigt, sondern den Rittern, diesen schlimmsten
Ausbeutern der Provinzen, war Straflosigkeit zugesichert, indem sie zu Richtern
in eigner Sache bestellt waren. Überhaupt haben die Gracchen die Ausbeutung
der Provinzen förmlich zum Gesetz erhoben, Tiberius, indem er beantragte,
daß der Schatz des eben verstorbnen Königs von Pergamon zur Beschaffung
des Inventars für die neu anzusiedelnden Bauern verwandt werde, Cajus,
indem er die Provinz Asia besteuerte, um den römischen Pöbel mit geschenkten



Die förmliche Scheidung der Ritterschaft vom Senat erfolgte in der graphischen Zeit
durch die Bestimmung, daß die Senatoren aus den Nitterzentnrien ausgeschlossen sein sollten,
und daß der Adliche beim Eintritt in den Senat sein Ritterpferd abzugeben habe. Ganz auf¬
gehoben war dennoch nicht jede Verbindung, da die jüngern Mitglieder der senatorischen Ge¬
schlechter in der ZcnsuÄlasse der Ritter blieben.
Der Römerstaat

hohen Adel und der Ritterschaft") gegenüber, von denen jener im Senat seine
verfassungsmäßige Vertretung hatte, und mochten auch noch so viele einzelne
Mitglieder die Notwendigkeit und Heilsamkeit der von ihm vorgeschlagnen
Maßregeln einsehen, so überwog doch die Selbstsucht in dem Grade, daß an
die Genehmigung seiner Vorschläge durch die Mehrheiten dieser beiden Korpo¬
rationen nicht zu denken war. Es blieb ihm also nichts übrig als den Senats¬
beschlüssen Volksbeschlüsse entgegenzustellen, d. h. als Demagog auf die Straße
zu gehn. Dabei konnte es denn freilich leicht zu blutigen Zusammenstößen
kommen, ja vielleicht waren solche bei dem entschiednen Widerstande der großen
Domänenokkupanten, deren Besitz durch jahrhundertealte Verjährung in Eigen¬
tum übergegangen schien, gar nicht zu vermeiden, und das war es wohl, was
Männer wie Scipio Afritanus Minor von diesem Heilmittel zurückschreckte, ob¬
gleich sie seine Notwendigkeit einsahen. Wenig kommt darauf an, ob man den
Tiberius Gracchus für einen Revolutionär hält oder nicht, von welcher seiner
Handlungen an man die Revolution datiert, oder ob man die Aristokraten als
die eigentlichen Revolutionäre bezeichnet, die mit Knüppeln gegen ihn losgingen
und so die Ära der Gewaltthaten und Straßenkampfe eröffneten. Die Haupt¬
sache bleibt doch, daß der von ihm eingeschlagne Weg der richtige war, und
daß er die innere Kolonisation wieder in Gang brachte. In den sechs
Jahren von 131 bis 125 stieg die Bürgerliste von 319000 waffenfähigen
Bürgern auf 395000, „ohne allen Zweifel lediglich infolge der Thätigkeit der
Teilungskommission, deren Landanweisungen an italische Bundesgenossen
übrigens hierbei noch nicht in Ansatz gebracht sind," schreibt Mommsen. Weit
schärfer als in Tiberius tritt der demagogische und revolutionäre Charakter in
seinem Bruder Casus hervor, der uicht allein den Pöbel durch die Getreide¬
spenden zu seiner Leibgarde machte, sondern auch die Ritter an sich fesselte,
indem er bestimmte, daß die stehenden Gerichtshöfe uicht mehr, wie bisher, aus
Senatoren, sondern aus Rittern zusammengesetzt sein sollten. Dadurch wurden
uicht allein die adlichen Statthalter, die sich nun wegen Erpressungen nicht
mehr vor ihresgleichen, sondern vor einem Kollegium von Kaufleuten zu ver¬
antworten hatten, aufs tiefste gedemütigt, sondern den Rittern, diesen schlimmsten
Ausbeutern der Provinzen, war Straflosigkeit zugesichert, indem sie zu Richtern
in eigner Sache bestellt waren. Überhaupt haben die Gracchen die Ausbeutung
der Provinzen förmlich zum Gesetz erhoben, Tiberius, indem er beantragte,
daß der Schatz des eben verstorbnen Königs von Pergamon zur Beschaffung
des Inventars für die neu anzusiedelnden Bauern verwandt werde, Cajus,
indem er die Provinz Asia besteuerte, um den römischen Pöbel mit geschenkten



Die förmliche Scheidung der Ritterschaft vom Senat erfolgte in der graphischen Zeit
durch die Bestimmung, daß die Senatoren aus den Nitterzentnrien ausgeschlossen sein sollten,
und daß der Adliche beim Eintritt in den Senat sein Ritterpferd abzugeben habe. Ganz auf¬
gehoben war dennoch nicht jede Verbindung, da die jüngern Mitglieder der senatorischen Ge¬
schlechter in der ZcnsuÄlasse der Ritter blieben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231676"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1670" prev="#ID_1669" next="#ID_1671"> hohen Adel und der Ritterschaft") gegenüber, von denen jener im Senat seine<lb/>
verfassungsmäßige Vertretung hatte, und mochten auch noch so viele einzelne<lb/>
Mitglieder die Notwendigkeit und Heilsamkeit der von ihm vorgeschlagnen<lb/>
Maßregeln einsehen, so überwog doch die Selbstsucht in dem Grade, daß an<lb/>
die Genehmigung seiner Vorschläge durch die Mehrheiten dieser beiden Korpo¬<lb/>
rationen nicht zu denken war. Es blieb ihm also nichts übrig als den Senats¬<lb/>
beschlüssen Volksbeschlüsse entgegenzustellen, d. h. als Demagog auf die Straße<lb/>
zu gehn. Dabei konnte es denn freilich leicht zu blutigen Zusammenstößen<lb/>
kommen, ja vielleicht waren solche bei dem entschiednen Widerstande der großen<lb/>
Domänenokkupanten, deren Besitz durch jahrhundertealte Verjährung in Eigen¬<lb/>
tum übergegangen schien, gar nicht zu vermeiden, und das war es wohl, was<lb/>
Männer wie Scipio Afritanus Minor von diesem Heilmittel zurückschreckte, ob¬<lb/>
gleich sie seine Notwendigkeit einsahen. Wenig kommt darauf an, ob man den<lb/>
Tiberius Gracchus für einen Revolutionär hält oder nicht, von welcher seiner<lb/>
Handlungen an man die Revolution datiert, oder ob man die Aristokraten als<lb/>
die eigentlichen Revolutionäre bezeichnet, die mit Knüppeln gegen ihn losgingen<lb/>
und so die Ära der Gewaltthaten und Straßenkampfe eröffneten. Die Haupt¬<lb/>
sache bleibt doch, daß der von ihm eingeschlagne Weg der richtige war, und<lb/>
daß er die innere Kolonisation wieder in Gang brachte. In den sechs<lb/>
Jahren von 131 bis 125 stieg die Bürgerliste von 319000 waffenfähigen<lb/>
Bürgern auf 395000, &#x201E;ohne allen Zweifel lediglich infolge der Thätigkeit der<lb/>
Teilungskommission, deren Landanweisungen an italische Bundesgenossen<lb/>
übrigens hierbei noch nicht in Ansatz gebracht sind," schreibt Mommsen. Weit<lb/>
schärfer als in Tiberius tritt der demagogische und revolutionäre Charakter in<lb/>
seinem Bruder Casus hervor, der uicht allein den Pöbel durch die Getreide¬<lb/>
spenden zu seiner Leibgarde machte, sondern auch die Ritter an sich fesselte,<lb/>
indem er bestimmte, daß die stehenden Gerichtshöfe uicht mehr, wie bisher, aus<lb/>
Senatoren, sondern aus Rittern zusammengesetzt sein sollten. Dadurch wurden<lb/>
uicht allein die adlichen Statthalter, die sich nun wegen Erpressungen nicht<lb/>
mehr vor ihresgleichen, sondern vor einem Kollegium von Kaufleuten zu ver¬<lb/>
antworten hatten, aufs tiefste gedemütigt, sondern den Rittern, diesen schlimmsten<lb/>
Ausbeutern der Provinzen, war Straflosigkeit zugesichert, indem sie zu Richtern<lb/>
in eigner Sache bestellt waren. Überhaupt haben die Gracchen die Ausbeutung<lb/>
der Provinzen förmlich zum Gesetz erhoben, Tiberius, indem er beantragte,<lb/>
daß der Schatz des eben verstorbnen Königs von Pergamon zur Beschaffung<lb/>
des Inventars für die neu anzusiedelnden Bauern verwandt werde, Cajus,<lb/>
indem er die Provinz Asia besteuerte, um den römischen Pöbel mit geschenkten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_205" place="foot"> Die förmliche Scheidung der Ritterschaft vom Senat erfolgte in der graphischen Zeit<lb/>
durch die Bestimmung, daß die Senatoren aus den Nitterzentnrien ausgeschlossen sein sollten,<lb/>
und daß der Adliche beim Eintritt in den Senat sein Ritterpferd abzugeben habe. Ganz auf¬<lb/>
gehoben war dennoch nicht jede Verbindung, da die jüngern Mitglieder der senatorischen Ge¬<lb/>
schlechter in der ZcnsuÄlasse der Ritter blieben.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] Der Römerstaat hohen Adel und der Ritterschaft") gegenüber, von denen jener im Senat seine verfassungsmäßige Vertretung hatte, und mochten auch noch so viele einzelne Mitglieder die Notwendigkeit und Heilsamkeit der von ihm vorgeschlagnen Maßregeln einsehen, so überwog doch die Selbstsucht in dem Grade, daß an die Genehmigung seiner Vorschläge durch die Mehrheiten dieser beiden Korpo¬ rationen nicht zu denken war. Es blieb ihm also nichts übrig als den Senats¬ beschlüssen Volksbeschlüsse entgegenzustellen, d. h. als Demagog auf die Straße zu gehn. Dabei konnte es denn freilich leicht zu blutigen Zusammenstößen kommen, ja vielleicht waren solche bei dem entschiednen Widerstande der großen Domänenokkupanten, deren Besitz durch jahrhundertealte Verjährung in Eigen¬ tum übergegangen schien, gar nicht zu vermeiden, und das war es wohl, was Männer wie Scipio Afritanus Minor von diesem Heilmittel zurückschreckte, ob¬ gleich sie seine Notwendigkeit einsahen. Wenig kommt darauf an, ob man den Tiberius Gracchus für einen Revolutionär hält oder nicht, von welcher seiner Handlungen an man die Revolution datiert, oder ob man die Aristokraten als die eigentlichen Revolutionäre bezeichnet, die mit Knüppeln gegen ihn losgingen und so die Ära der Gewaltthaten und Straßenkampfe eröffneten. Die Haupt¬ sache bleibt doch, daß der von ihm eingeschlagne Weg der richtige war, und daß er die innere Kolonisation wieder in Gang brachte. In den sechs Jahren von 131 bis 125 stieg die Bürgerliste von 319000 waffenfähigen Bürgern auf 395000, „ohne allen Zweifel lediglich infolge der Thätigkeit der Teilungskommission, deren Landanweisungen an italische Bundesgenossen übrigens hierbei noch nicht in Ansatz gebracht sind," schreibt Mommsen. Weit schärfer als in Tiberius tritt der demagogische und revolutionäre Charakter in seinem Bruder Casus hervor, der uicht allein den Pöbel durch die Getreide¬ spenden zu seiner Leibgarde machte, sondern auch die Ritter an sich fesselte, indem er bestimmte, daß die stehenden Gerichtshöfe uicht mehr, wie bisher, aus Senatoren, sondern aus Rittern zusammengesetzt sein sollten. Dadurch wurden uicht allein die adlichen Statthalter, die sich nun wegen Erpressungen nicht mehr vor ihresgleichen, sondern vor einem Kollegium von Kaufleuten zu ver¬ antworten hatten, aufs tiefste gedemütigt, sondern den Rittern, diesen schlimmsten Ausbeutern der Provinzen, war Straflosigkeit zugesichert, indem sie zu Richtern in eigner Sache bestellt waren. Überhaupt haben die Gracchen die Ausbeutung der Provinzen förmlich zum Gesetz erhoben, Tiberius, indem er beantragte, daß der Schatz des eben verstorbnen Königs von Pergamon zur Beschaffung des Inventars für die neu anzusiedelnden Bauern verwandt werde, Cajus, indem er die Provinz Asia besteuerte, um den römischen Pöbel mit geschenkten Die förmliche Scheidung der Ritterschaft vom Senat erfolgte in der graphischen Zeit durch die Bestimmung, daß die Senatoren aus den Nitterzentnrien ausgeschlossen sein sollten, und daß der Adliche beim Eintritt in den Senat sein Ritterpferd abzugeben habe. Ganz auf¬ gehoben war dennoch nicht jede Verbindung, da die jüngern Mitglieder der senatorischen Ge¬ schlechter in der ZcnsuÄlasse der Ritter blieben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/506>, abgerufen am 15.01.2025.