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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Gracchen unternommen, für die es sich freilich nicht um die Sklaven, sondern
um das Vürgerproletariat handelte. Als Tiberius Grcicchus ins Feldlager
vor Numantia abging und auf der Reise durch Etrurien sah, wie in dem herr¬
lichen aber verödeten Lande fast nur noch ausländisches Sklavengesiudel hauste,
da soll ihn der Schmerz ums Baterland gepackt und den Entschluß gereift
haben, diesem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen. Nicht Aufstände der
römischen Proletarier waren die gracchischen Unruhen. Wohl mag es manchen
von den römischen Armen zu Herzen gegangen sein, wenn ihnen der warm¬
herzige Tribun zurief: "Die wilden Tiere haben ihre Höhlen und Schlupf¬
winkel, aber die Männer, die für Italien kämpfen und sterben, haben nichts
außer Luft und Licht. Ohne Haus, ohne festes Heim irren sie umher mit
Weib und Kind. Welche Lüge, wenn der Feldherr sie auffordert, xro M8 et
toois zu kämpfen! Keiner hat einen eignen Herd und einen Hausaltar, eine
Ruhestätte seiner Ahnen; sür die Reichtümer und die Schwelgerei andrer fechten
und sterben sie. Nicht eine eigne Scholle haben sie, diese sogenannten Herren
der Welt!" Gewiß haben solche Worte in vieler Herzen gezündet, die Mehr¬
zahl aber trug kein sonderliches Verlangen nach Pflug und Karst; sich in deu
Bädern, Theatern und Kneipen herumzutreiben und vom Staat oder reichen
Gönnern füttern und kleiden zu lassen, war doch eigentlich angenehmer als
in schwerer Arbeit schwitzen. Horaz machte die Erfahrung, daß sich einer
seiner Leute, dem er den Gefallen erwiesen hatte, ihn als jungen Burschen
einige Zeit in der Stadt leben zu lassen, auch dann noch nach deren Ver¬
gnügungen zurücksehnte, als er ihn zum Gutsverwalter gemacht hatte, wobei
er es wahrlich nicht schlechter hatte als ein freier Bauer. (14. Epistel des
ersten Buchs.) Also einen Aufruhr wegen verweigerter Landvcrteilung würde
diese neue Plebs aus eignem Antriebe nicht unternommen haben- Besorgte
Patrioten, vornehme Staatsmänner waren es, die einsahen, daß Rom dem
Verderben entgegen gehe, wenn die Bauernschaft mehr und mehr verschwinde,
und die Bevölkerung bald nur noch aus wenigen reichen Leuten (nur noch
2000 zählte man, vielleicht übertreibend, in Ciceros Zeit), freien Proletariern
und Sklaven bestehe. Mit der heutigen Arbeiterbewegung hat also die
graechische Neformkampagne nicht die geringste Ähnlichkeit. Etwas, das jener
genau entspräche, konnte es im Altertum überhaupt nicht geben; zerstreut
finden sich einzelne ihrer Elemente im Emanzipationskämpfe der Plebejer und
in den Sklaveuanfständen. Vielmehr entspricht dem gracchischen Unternehmen
die innere Kolonisation, die seit vierzehn Jahren von der preußischen Regie¬
rung betrieben wird. Zu Unruhen ist es bei jenem nur darum gekommen,
weil Gracchus weder ein absoluter Monarch war, der die Sache auf eigne
Faust hätte ausführen können, noch eine Volksvertretung zur Verfügung hatte,
in der die Partei der Reformfreunde ihre Absichten auf gesetzlichem Wege
hätte durchsetzen können. Er befand sich zweien privilegierten Ständen, dem


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Der Römerstaat

Gracchen unternommen, für die es sich freilich nicht um die Sklaven, sondern
um das Vürgerproletariat handelte. Als Tiberius Grcicchus ins Feldlager
vor Numantia abging und auf der Reise durch Etrurien sah, wie in dem herr¬
lichen aber verödeten Lande fast nur noch ausländisches Sklavengesiudel hauste,
da soll ihn der Schmerz ums Baterland gepackt und den Entschluß gereift
haben, diesem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen. Nicht Aufstände der
römischen Proletarier waren die gracchischen Unruhen. Wohl mag es manchen
von den römischen Armen zu Herzen gegangen sein, wenn ihnen der warm¬
herzige Tribun zurief: „Die wilden Tiere haben ihre Höhlen und Schlupf¬
winkel, aber die Männer, die für Italien kämpfen und sterben, haben nichts
außer Luft und Licht. Ohne Haus, ohne festes Heim irren sie umher mit
Weib und Kind. Welche Lüge, wenn der Feldherr sie auffordert, xro M8 et
toois zu kämpfen! Keiner hat einen eignen Herd und einen Hausaltar, eine
Ruhestätte seiner Ahnen; sür die Reichtümer und die Schwelgerei andrer fechten
und sterben sie. Nicht eine eigne Scholle haben sie, diese sogenannten Herren
der Welt!" Gewiß haben solche Worte in vieler Herzen gezündet, die Mehr¬
zahl aber trug kein sonderliches Verlangen nach Pflug und Karst; sich in deu
Bädern, Theatern und Kneipen herumzutreiben und vom Staat oder reichen
Gönnern füttern und kleiden zu lassen, war doch eigentlich angenehmer als
in schwerer Arbeit schwitzen. Horaz machte die Erfahrung, daß sich einer
seiner Leute, dem er den Gefallen erwiesen hatte, ihn als jungen Burschen
einige Zeit in der Stadt leben zu lassen, auch dann noch nach deren Ver¬
gnügungen zurücksehnte, als er ihn zum Gutsverwalter gemacht hatte, wobei
er es wahrlich nicht schlechter hatte als ein freier Bauer. (14. Epistel des
ersten Buchs.) Also einen Aufruhr wegen verweigerter Landvcrteilung würde
diese neue Plebs aus eignem Antriebe nicht unternommen haben- Besorgte
Patrioten, vornehme Staatsmänner waren es, die einsahen, daß Rom dem
Verderben entgegen gehe, wenn die Bauernschaft mehr und mehr verschwinde,
und die Bevölkerung bald nur noch aus wenigen reichen Leuten (nur noch
2000 zählte man, vielleicht übertreibend, in Ciceros Zeit), freien Proletariern
und Sklaven bestehe. Mit der heutigen Arbeiterbewegung hat also die
graechische Neformkampagne nicht die geringste Ähnlichkeit. Etwas, das jener
genau entspräche, konnte es im Altertum überhaupt nicht geben; zerstreut
finden sich einzelne ihrer Elemente im Emanzipationskämpfe der Plebejer und
in den Sklaveuanfständen. Vielmehr entspricht dem gracchischen Unternehmen
die innere Kolonisation, die seit vierzehn Jahren von der preußischen Regie¬
rung betrieben wird. Zu Unruhen ist es bei jenem nur darum gekommen,
weil Gracchus weder ein absoluter Monarch war, der die Sache auf eigne
Faust hätte ausführen können, noch eine Volksvertretung zur Verfügung hatte,
in der die Partei der Reformfreunde ihre Absichten auf gesetzlichem Wege
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[0505] Der Römerstaat Gracchen unternommen, für die es sich freilich nicht um die Sklaven, sondern um das Vürgerproletariat handelte. Als Tiberius Grcicchus ins Feldlager vor Numantia abging und auf der Reise durch Etrurien sah, wie in dem herr¬ lichen aber verödeten Lande fast nur noch ausländisches Sklavengesiudel hauste, da soll ihn der Schmerz ums Baterland gepackt und den Entschluß gereift haben, diesem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen. Nicht Aufstände der römischen Proletarier waren die gracchischen Unruhen. Wohl mag es manchen von den römischen Armen zu Herzen gegangen sein, wenn ihnen der warm¬ herzige Tribun zurief: „Die wilden Tiere haben ihre Höhlen und Schlupf¬ winkel, aber die Männer, die für Italien kämpfen und sterben, haben nichts außer Luft und Licht. Ohne Haus, ohne festes Heim irren sie umher mit Weib und Kind. Welche Lüge, wenn der Feldherr sie auffordert, xro M8 et toois zu kämpfen! Keiner hat einen eignen Herd und einen Hausaltar, eine Ruhestätte seiner Ahnen; sür die Reichtümer und die Schwelgerei andrer fechten und sterben sie. Nicht eine eigne Scholle haben sie, diese sogenannten Herren der Welt!" Gewiß haben solche Worte in vieler Herzen gezündet, die Mehr¬ zahl aber trug kein sonderliches Verlangen nach Pflug und Karst; sich in deu Bädern, Theatern und Kneipen herumzutreiben und vom Staat oder reichen Gönnern füttern und kleiden zu lassen, war doch eigentlich angenehmer als in schwerer Arbeit schwitzen. Horaz machte die Erfahrung, daß sich einer seiner Leute, dem er den Gefallen erwiesen hatte, ihn als jungen Burschen einige Zeit in der Stadt leben zu lassen, auch dann noch nach deren Ver¬ gnügungen zurücksehnte, als er ihn zum Gutsverwalter gemacht hatte, wobei er es wahrlich nicht schlechter hatte als ein freier Bauer. (14. Epistel des ersten Buchs.) Also einen Aufruhr wegen verweigerter Landvcrteilung würde diese neue Plebs aus eignem Antriebe nicht unternommen haben- Besorgte Patrioten, vornehme Staatsmänner waren es, die einsahen, daß Rom dem Verderben entgegen gehe, wenn die Bauernschaft mehr und mehr verschwinde, und die Bevölkerung bald nur noch aus wenigen reichen Leuten (nur noch 2000 zählte man, vielleicht übertreibend, in Ciceros Zeit), freien Proletariern und Sklaven bestehe. Mit der heutigen Arbeiterbewegung hat also die graechische Neformkampagne nicht die geringste Ähnlichkeit. Etwas, das jener genau entspräche, konnte es im Altertum überhaupt nicht geben; zerstreut finden sich einzelne ihrer Elemente im Emanzipationskämpfe der Plebejer und in den Sklaveuanfständen. Vielmehr entspricht dem gracchischen Unternehmen die innere Kolonisation, die seit vierzehn Jahren von der preußischen Regie¬ rung betrieben wird. Zu Unruhen ist es bei jenem nur darum gekommen, weil Gracchus weder ein absoluter Monarch war, der die Sache auf eigne Faust hätte ausführen können, noch eine Volksvertretung zur Verfügung hatte, in der die Partei der Reformfreunde ihre Absichten auf gesetzlichem Wege hätte durchsetzen können. Er befand sich zweien privilegierten Ständen, dem Grmzlwtm >>> 1899 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/505>, abgerufen am 15.01.2025.