Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Aömersraat lischen Aufstands die Wellen der Bewegung; in Attika, in Mazedonien empörten Was Mommsen als das wichtigere und schwierigere bezeichnet, das Prole¬ Der Aömersraat lischen Aufstands die Wellen der Bewegung; in Attika, in Mazedonien empörten Was Mommsen als das wichtigere und schwierigere bezeichnet, das Prole¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231674"/> <fw type="header" place="top"> Der Aömersraat</fw><lb/> <p xml:id="ID_1667" prev="#ID_1666"> lischen Aufstands die Wellen der Bewegung; in Attika, in Mazedonien empörten<lb/> sich die Bergwerkssklaven; anch das Heer des Thronprätendenten Aristonikus,<lb/> eines unehelichen Sohnes des letzten Königs von Pergamum, der einen kom¬<lb/> munistischen „Sonnenstaat" aufzurichten versprach und den Römern die Atta-<lb/> lidenherrschaft streitig machte, bestand zum großen Teil aus Sklaven. Aber<lb/> selbstverständlich wurden alle solche Empörungen im Blute der Empörer erstickt.<lb/> Das war schon in jener Zeit selbstverständlich, wo die Herrschenden noch nicht<lb/> über die Verkehrsmittel und die furchtbaren Zerstörungswerkzenge der heutigen<lb/> Staaten verfügten, und es war selbstverständlich sogar in einer Periode der<lb/> römischen Geschichte, wo die Senatoren ratlos und korrumpiert, die Feldherren<lb/> jämmerlich und die Armeen ohne Disziplin waren. Über Spartakus urteilt<lb/> Mommsen, wenn es wahr sein sollte, daß er von Anfang an kein andres Ziel<lb/> gehabt habe, als mit seiner Schar über die Alpen zu entkommen, so würde er<lb/> damit seine richtige Einsicht in die Lage bewiesen haben. In betreff Siziliens<lb/> bemerkt Bücher: „Adels- und Pfaffenherrschaft haben unter den Bourbonen<lb/> hier ähnliche Verhältnisse hervorgebracht," und er führt die Schilderungen an,<lb/> die Seume und Niebuhr von dem Zustande des Landes entwerfen. Aber die<lb/> Bourbonen haben seit vierzig Jahren aufgehört, dort zu regieren, und es ist<lb/> eher schlimmer als besser geworden. Die Hungerrevolten würden dort gar<lb/> nicht aufhören, wenn ihnen nicht durch die modernen Feuerwaffen jede Aussicht<lb/> auf Erfolg abgeschnitten wäre, und die heutige sizilische Bergwerkssklaverei<lb/> wird dadurch nicht schöner als die antike, daß die Carusi nicht Männer,<lb/> sondern Kinder sind, und daß sie von ihren eignen Eltern unter dem Schein<lb/> eines freien Arbeitsvertrags ins Elend verkauft werden. Dabei erzeugt heute<lb/> Sizilien nicht einmal Getreide für seine Bewohner, während es in der römischen<lb/> Zeit die Reichshauptstadt versorgte. Die heutige Ausbeutung der dortigen<lb/> arbeitenden Bevölkerung ist also nicht humaner und noch dazu weniger rationell<lb/> als die in der alten Zeit. Es wäre zu untersuchen, ob die antiken Zustünde<lb/> auf so lange Zeit nachzuwirken vermögen, oder ob das Mittelalter mit jenen<lb/> Zuständen völlig aufgeräumt hat, und das neue Elend ganz neuen Ursachen<lb/> entspringt. Auffüllig ist außerdem die Ähnlichkeit des heutigen Rüuberwesens<lb/> in Süditalien mit dem der Römerzeit. Einer vorzüglich organisierten Camorra<lb/> hat sich übrigens, wie Bücher nach Athenäus erzählt, auch die Insel Chios<lb/> im dritten Jahrhundert nach Christus erfreut, wo die Obrigkeit auf die Be¬<lb/> dingungen des Näuberhauptmanns Drimakos einging; dieser sicherte ihnen<lb/> nicht allein gegen Lieferung seiner Bedürfnisse ihr Eigentum, sondern schickte<lb/> ihnen auch solche Sklaven zurück, die nicht wegen Mißhandlungen, sondern<lb/> ohne stichhaltigen Grund entlaufen waren; die Chier befanden sich sehr wohl<lb/> bei diesem Vertrage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1668" next="#ID_1669"> Was Mommsen als das wichtigere und schwierigere bezeichnet, das Prole¬<lb/> tariat nicht zu unterdrücken, sondern zu beseitigen, haben bekanntlich die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
Der Aömersraat
lischen Aufstands die Wellen der Bewegung; in Attika, in Mazedonien empörten
sich die Bergwerkssklaven; anch das Heer des Thronprätendenten Aristonikus,
eines unehelichen Sohnes des letzten Königs von Pergamum, der einen kom¬
munistischen „Sonnenstaat" aufzurichten versprach und den Römern die Atta-
lidenherrschaft streitig machte, bestand zum großen Teil aus Sklaven. Aber
selbstverständlich wurden alle solche Empörungen im Blute der Empörer erstickt.
Das war schon in jener Zeit selbstverständlich, wo die Herrschenden noch nicht
über die Verkehrsmittel und die furchtbaren Zerstörungswerkzenge der heutigen
Staaten verfügten, und es war selbstverständlich sogar in einer Periode der
römischen Geschichte, wo die Senatoren ratlos und korrumpiert, die Feldherren
jämmerlich und die Armeen ohne Disziplin waren. Über Spartakus urteilt
Mommsen, wenn es wahr sein sollte, daß er von Anfang an kein andres Ziel
gehabt habe, als mit seiner Schar über die Alpen zu entkommen, so würde er
damit seine richtige Einsicht in die Lage bewiesen haben. In betreff Siziliens
bemerkt Bücher: „Adels- und Pfaffenherrschaft haben unter den Bourbonen
hier ähnliche Verhältnisse hervorgebracht," und er führt die Schilderungen an,
die Seume und Niebuhr von dem Zustande des Landes entwerfen. Aber die
Bourbonen haben seit vierzig Jahren aufgehört, dort zu regieren, und es ist
eher schlimmer als besser geworden. Die Hungerrevolten würden dort gar
nicht aufhören, wenn ihnen nicht durch die modernen Feuerwaffen jede Aussicht
auf Erfolg abgeschnitten wäre, und die heutige sizilische Bergwerkssklaverei
wird dadurch nicht schöner als die antike, daß die Carusi nicht Männer,
sondern Kinder sind, und daß sie von ihren eignen Eltern unter dem Schein
eines freien Arbeitsvertrags ins Elend verkauft werden. Dabei erzeugt heute
Sizilien nicht einmal Getreide für seine Bewohner, während es in der römischen
Zeit die Reichshauptstadt versorgte. Die heutige Ausbeutung der dortigen
arbeitenden Bevölkerung ist also nicht humaner und noch dazu weniger rationell
als die in der alten Zeit. Es wäre zu untersuchen, ob die antiken Zustünde
auf so lange Zeit nachzuwirken vermögen, oder ob das Mittelalter mit jenen
Zuständen völlig aufgeräumt hat, und das neue Elend ganz neuen Ursachen
entspringt. Auffüllig ist außerdem die Ähnlichkeit des heutigen Rüuberwesens
in Süditalien mit dem der Römerzeit. Einer vorzüglich organisierten Camorra
hat sich übrigens, wie Bücher nach Athenäus erzählt, auch die Insel Chios
im dritten Jahrhundert nach Christus erfreut, wo die Obrigkeit auf die Be¬
dingungen des Näuberhauptmanns Drimakos einging; dieser sicherte ihnen
nicht allein gegen Lieferung seiner Bedürfnisse ihr Eigentum, sondern schickte
ihnen auch solche Sklaven zurück, die nicht wegen Mißhandlungen, sondern
ohne stichhaltigen Grund entlaufen waren; die Chier befanden sich sehr wohl
bei diesem Vertrage.
Was Mommsen als das wichtigere und schwierigere bezeichnet, das Prole¬
tariat nicht zu unterdrücken, sondern zu beseitigen, haben bekanntlich die
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