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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Ablehnung des Mittellandkanals

Fülle der zu seiner Entscheidung gelangenden Dinge auch nur einen Überblick
zu behalten, ist deshalb für einen Minister, selbst wenn er mit den besten
Gaben und mit unermüdlicher Arbeitskraft ausgerüstet ist, schlechterdings un¬
möglich. Er kann nur einzelnes herausgreifen, die große Mehrzahl der Ge¬
schäfte muß er seinen Räten überlassen. Sein thatsächlicher Einfluß auf die
Räte ist aber sehr gering, denn sie sind unabsetzbar und anch unversetzbar, weil
es bei den Provinzialbehörden keine ihrem Range und Gehalt entsprechenden
Stellen giebt; die dreiunddreißig Regierungspräsidenten kommen den Hunderten
von Miuisterialrüten gegenüber kaum in Betracht. Nicht von dem jeweiligen
Minister, es sei denn, daß gerade durch Tod oder dnrch Alterspeusionierung
eine Vakanz eingetreten wäre, sondern von irgend einem seiner zahlreichen Vor¬
gänger sind sie berufen worden und sie sind sicher, ihn im Amte zu überleben.
Obwohl theoretisch nur seine Sekretäre, die ausführen müssen, was er ihne"
befiehlt, sind sie in Wirklichkeit die Herren der Situation; das allermeiste geht
allein nach ihrem Willen.

Als im Jahre 1866 der Staat Preußen einen bedeutenden Zuwachs er¬
hielt, besetzte man natürlich die leitenden Stellen in den neuen Provinzen mit
preußischen Beamten, ebenso natürlich hatte man aber auch das Bedürfnis,
an den grünen Tischen der Berliner Ministerien Männer zu haben, die Land
und Leute kannten; auch mußten eine Reihe von Mitgliedern der bisherigen nun
aufgelösten Landeszcntralstellcn plaziert werden. So siedelten zahlreiche ueu-
prvvinzliche Ministerialräte nach Berlin über; meist waren es jüngere Männer,
denn die ältern zogen es vor. unter günstigen Bedingungen in den Ruhestand
zu treten. Diese jüngern Räte waren, das muß man anerkennen, tüchtige
Leute, die sich nützlich machten und bald fest im Sattel saßen. Nun war es
aber in den kleinern Staatsgebilden, ans denen sie hervorgegangen waren,
ausnahmslos Regel gewesen, daß zur Beförderung in eine bessere Stelle nicht
nur Verdienst, sondern anch gute Empfehlung gehörte. Es lag das in der
Natur der Sache, weil man in einem kleinen Lande die Personal- und Familien¬
verhältnisse jedes einzelnen ganz von selbst kannte, und die Beamten mit ein¬
ander durch wechselseitige Beziehungen verbunden waren. In Preußen lagen
vor 1866, als die Verkehrsverhältnisse noch sehr wenig entwickelt waren, die
Dinge ganz anders, der Westen war von dem Zentrum ganz abgetrennt, und
der Osten lag zu großen Teilen weit ab. Daher mußten schon besonders
glückliche Umstände hinzukommen, wenn ein Provinzialbeamter in Berlin be¬
sondre Verbindungen und Beziehungen hatte.

Die neuen Ministerialräte verfuhren nun, wer sollte es ihnen verdenken,
nach herkömmlich gewohnter Art, sie "empfahlen" nicht nnr nach den Akten,
sondern auch nach ihren Beziehungen: Verwandte, Freunde und Bekannte und
deren Söhne und Neffen, die ihnen wieder von diesen "empfohlen" wurden,
und so bevölkerten sich die Ministerialbüreans immer mehr und derart mit
Neuprovinzlern, daß ihnen auch Dezernate über die alten Landesteile über-


Die Ablehnung des Mittellandkanals

Fülle der zu seiner Entscheidung gelangenden Dinge auch nur einen Überblick
zu behalten, ist deshalb für einen Minister, selbst wenn er mit den besten
Gaben und mit unermüdlicher Arbeitskraft ausgerüstet ist, schlechterdings un¬
möglich. Er kann nur einzelnes herausgreifen, die große Mehrzahl der Ge¬
schäfte muß er seinen Räten überlassen. Sein thatsächlicher Einfluß auf die
Räte ist aber sehr gering, denn sie sind unabsetzbar und anch unversetzbar, weil
es bei den Provinzialbehörden keine ihrem Range und Gehalt entsprechenden
Stellen giebt; die dreiunddreißig Regierungspräsidenten kommen den Hunderten
von Miuisterialrüten gegenüber kaum in Betracht. Nicht von dem jeweiligen
Minister, es sei denn, daß gerade durch Tod oder dnrch Alterspeusionierung
eine Vakanz eingetreten wäre, sondern von irgend einem seiner zahlreichen Vor¬
gänger sind sie berufen worden und sie sind sicher, ihn im Amte zu überleben.
Obwohl theoretisch nur seine Sekretäre, die ausführen müssen, was er ihne»
befiehlt, sind sie in Wirklichkeit die Herren der Situation; das allermeiste geht
allein nach ihrem Willen.

Als im Jahre 1866 der Staat Preußen einen bedeutenden Zuwachs er¬
hielt, besetzte man natürlich die leitenden Stellen in den neuen Provinzen mit
preußischen Beamten, ebenso natürlich hatte man aber auch das Bedürfnis,
an den grünen Tischen der Berliner Ministerien Männer zu haben, die Land
und Leute kannten; auch mußten eine Reihe von Mitgliedern der bisherigen nun
aufgelösten Landeszcntralstellcn plaziert werden. So siedelten zahlreiche ueu-
prvvinzliche Ministerialräte nach Berlin über; meist waren es jüngere Männer,
denn die ältern zogen es vor. unter günstigen Bedingungen in den Ruhestand
zu treten. Diese jüngern Räte waren, das muß man anerkennen, tüchtige
Leute, die sich nützlich machten und bald fest im Sattel saßen. Nun war es
aber in den kleinern Staatsgebilden, ans denen sie hervorgegangen waren,
ausnahmslos Regel gewesen, daß zur Beförderung in eine bessere Stelle nicht
nur Verdienst, sondern anch gute Empfehlung gehörte. Es lag das in der
Natur der Sache, weil man in einem kleinen Lande die Personal- und Familien¬
verhältnisse jedes einzelnen ganz von selbst kannte, und die Beamten mit ein¬
ander durch wechselseitige Beziehungen verbunden waren. In Preußen lagen
vor 1866, als die Verkehrsverhältnisse noch sehr wenig entwickelt waren, die
Dinge ganz anders, der Westen war von dem Zentrum ganz abgetrennt, und
der Osten lag zu großen Teilen weit ab. Daher mußten schon besonders
glückliche Umstände hinzukommen, wenn ein Provinzialbeamter in Berlin be¬
sondre Verbindungen und Beziehungen hatte.

Die neuen Ministerialräte verfuhren nun, wer sollte es ihnen verdenken,
nach herkömmlich gewohnter Art, sie „empfahlen" nicht nnr nach den Akten,
sondern auch nach ihren Beziehungen: Verwandte, Freunde und Bekannte und
deren Söhne und Neffen, die ihnen wieder von diesen „empfohlen" wurden,
und so bevölkerten sich die Ministerialbüreans immer mehr und derart mit
Neuprovinzlern, daß ihnen auch Dezernate über die alten Landesteile über-


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[0495] Die Ablehnung des Mittellandkanals Fülle der zu seiner Entscheidung gelangenden Dinge auch nur einen Überblick zu behalten, ist deshalb für einen Minister, selbst wenn er mit den besten Gaben und mit unermüdlicher Arbeitskraft ausgerüstet ist, schlechterdings un¬ möglich. Er kann nur einzelnes herausgreifen, die große Mehrzahl der Ge¬ schäfte muß er seinen Räten überlassen. Sein thatsächlicher Einfluß auf die Räte ist aber sehr gering, denn sie sind unabsetzbar und anch unversetzbar, weil es bei den Provinzialbehörden keine ihrem Range und Gehalt entsprechenden Stellen giebt; die dreiunddreißig Regierungspräsidenten kommen den Hunderten von Miuisterialrüten gegenüber kaum in Betracht. Nicht von dem jeweiligen Minister, es sei denn, daß gerade durch Tod oder dnrch Alterspeusionierung eine Vakanz eingetreten wäre, sondern von irgend einem seiner zahlreichen Vor¬ gänger sind sie berufen worden und sie sind sicher, ihn im Amte zu überleben. Obwohl theoretisch nur seine Sekretäre, die ausführen müssen, was er ihne» befiehlt, sind sie in Wirklichkeit die Herren der Situation; das allermeiste geht allein nach ihrem Willen. Als im Jahre 1866 der Staat Preußen einen bedeutenden Zuwachs er¬ hielt, besetzte man natürlich die leitenden Stellen in den neuen Provinzen mit preußischen Beamten, ebenso natürlich hatte man aber auch das Bedürfnis, an den grünen Tischen der Berliner Ministerien Männer zu haben, die Land und Leute kannten; auch mußten eine Reihe von Mitgliedern der bisherigen nun aufgelösten Landeszcntralstellcn plaziert werden. So siedelten zahlreiche ueu- prvvinzliche Ministerialräte nach Berlin über; meist waren es jüngere Männer, denn die ältern zogen es vor. unter günstigen Bedingungen in den Ruhestand zu treten. Diese jüngern Räte waren, das muß man anerkennen, tüchtige Leute, die sich nützlich machten und bald fest im Sattel saßen. Nun war es aber in den kleinern Staatsgebilden, ans denen sie hervorgegangen waren, ausnahmslos Regel gewesen, daß zur Beförderung in eine bessere Stelle nicht nur Verdienst, sondern anch gute Empfehlung gehörte. Es lag das in der Natur der Sache, weil man in einem kleinen Lande die Personal- und Familien¬ verhältnisse jedes einzelnen ganz von selbst kannte, und die Beamten mit ein¬ ander durch wechselseitige Beziehungen verbunden waren. In Preußen lagen vor 1866, als die Verkehrsverhältnisse noch sehr wenig entwickelt waren, die Dinge ganz anders, der Westen war von dem Zentrum ganz abgetrennt, und der Osten lag zu großen Teilen weit ab. Daher mußten schon besonders glückliche Umstände hinzukommen, wenn ein Provinzialbeamter in Berlin be¬ sondre Verbindungen und Beziehungen hatte. Die neuen Ministerialräte verfuhren nun, wer sollte es ihnen verdenken, nach herkömmlich gewohnter Art, sie „empfahlen" nicht nnr nach den Akten, sondern auch nach ihren Beziehungen: Verwandte, Freunde und Bekannte und deren Söhne und Neffen, die ihnen wieder von diesen „empfohlen" wurden, und so bevölkerten sich die Ministerialbüreans immer mehr und derart mit Neuprovinzlern, daß ihnen auch Dezernate über die alten Landesteile über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/495>, abgerufen am 15.01.2025.