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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Transvaal

auch andre Mittel- und Kleinstaaten dort Anlehnung suchten, wo sie nicht
Verrat, Vertragsbruch und Gewaltthätigkeit zu erwarten haben. Bei der
heutigen Isolierung würden die Holländer dem Versuch Englands, sie ihres
Kolonialbesitzes zu berauben, ganz ebenso machtlos gegenüber stehn, wie
Spanien im letzten Kriege den Vereinigten Staaten gegenüberstand. Nicht
einmal eines ernsthaften Angriffs durch Japan würden sie sich allein erwehren
können. Und wenn das anglosüchsische Kapital das Geschäft einmal für reif
und für so gut hält, daß es die Kriegsspesen lohnt, warum sollte es nicht
zugreifen? Ein ganz zu Boden geworfnes Holland kann den Briten Deutsch¬
land gegenüber sehr gute Dienste leisten, noch viel bessere, als der portugiesische
Vertragsbruch gegen Transvaal einer ist.

Man spricht bei uns soviel von einer innern Politik der Sammlung, ohne
bisher rechten Erfolg mit dieser Parole gehabt zu haben. Wir wollen hier
nicht näher untersuchen, was daran schuld ist. Man sollte aber doch auch
einmal eine auswärtige Politik der Sammlung in Betracht ziehn, eine Samm¬
lungspolitik zum Schutz des freien friedlichen Weltverkehrs für die Großen,
Mittlern und Kleinen gegen die krankhafte Ländergier, die zur Zeit die Aller¬
größten befallen hat. Eine solche Sammluugspolitik des Deutschen Reichs
wäre vielleicht aussichtsvoller als eine deutsche Eroberungspolitik nach impe¬
rialistischer Schablone. scheut man freilich vor dem Begriff des freien Welt¬
verkehrs, von Freihandel gar nicht zu sprechen, wie der Stier vor dem roten
Tuch, so wird man mit ihr wohl kaum bessere Geschäfte machen als mit der
innern. Nur eine ehrliche Bündnis- und Vertragspolitik auch gegen die
Schwächern kaun uns die Expansion ermöglichen, die wir von Jahr zu Jahr
dringender brauchen. Das gilt in Südafrika wie in der Levante und in Süd¬
amerika.

Wir haben zu den heutigen Leitern unsrer auswärtigen Politik das Ver¬
trauen, daß sie der imperialistischen Doktrin, wie sie sich in Deutschland vor¬
drängt, auf ihre Arbeiten keinen Einfluß gestatten wollen, und daß sie die
Tollheit und UnHaltbarkeit der imperialistischen Praxis, wie sie in England
herrscht, erkennen. Wenn der deutsche Kaiser im November auf britischen
Boden, wie die englischen Zeitungen schreiben, einen freundlichern Empfang
erwarten darf, als nach der Vereitlung des Jamesonschen Einfalls, so können
wir nur wünschen, daß es ihm erspart bleiben möge, Herrn Chamberlain zur
Niederwerfung Transvaals beglückwünschen und die Triumphe des Imperia¬
lismus mit feiern zu müssen.




Transvaal

auch andre Mittel- und Kleinstaaten dort Anlehnung suchten, wo sie nicht
Verrat, Vertragsbruch und Gewaltthätigkeit zu erwarten haben. Bei der
heutigen Isolierung würden die Holländer dem Versuch Englands, sie ihres
Kolonialbesitzes zu berauben, ganz ebenso machtlos gegenüber stehn, wie
Spanien im letzten Kriege den Vereinigten Staaten gegenüberstand. Nicht
einmal eines ernsthaften Angriffs durch Japan würden sie sich allein erwehren
können. Und wenn das anglosüchsische Kapital das Geschäft einmal für reif
und für so gut hält, daß es die Kriegsspesen lohnt, warum sollte es nicht
zugreifen? Ein ganz zu Boden geworfnes Holland kann den Briten Deutsch¬
land gegenüber sehr gute Dienste leisten, noch viel bessere, als der portugiesische
Vertragsbruch gegen Transvaal einer ist.

Man spricht bei uns soviel von einer innern Politik der Sammlung, ohne
bisher rechten Erfolg mit dieser Parole gehabt zu haben. Wir wollen hier
nicht näher untersuchen, was daran schuld ist. Man sollte aber doch auch
einmal eine auswärtige Politik der Sammlung in Betracht ziehn, eine Samm¬
lungspolitik zum Schutz des freien friedlichen Weltverkehrs für die Großen,
Mittlern und Kleinen gegen die krankhafte Ländergier, die zur Zeit die Aller¬
größten befallen hat. Eine solche Sammluugspolitik des Deutschen Reichs
wäre vielleicht aussichtsvoller als eine deutsche Eroberungspolitik nach impe¬
rialistischer Schablone. scheut man freilich vor dem Begriff des freien Welt¬
verkehrs, von Freihandel gar nicht zu sprechen, wie der Stier vor dem roten
Tuch, so wird man mit ihr wohl kaum bessere Geschäfte machen als mit der
innern. Nur eine ehrliche Bündnis- und Vertragspolitik auch gegen die
Schwächern kaun uns die Expansion ermöglichen, die wir von Jahr zu Jahr
dringender brauchen. Das gilt in Südafrika wie in der Levante und in Süd¬
amerika.

Wir haben zu den heutigen Leitern unsrer auswärtigen Politik das Ver¬
trauen, daß sie der imperialistischen Doktrin, wie sie sich in Deutschland vor¬
drängt, auf ihre Arbeiten keinen Einfluß gestatten wollen, und daß sie die
Tollheit und UnHaltbarkeit der imperialistischen Praxis, wie sie in England
herrscht, erkennen. Wenn der deutsche Kaiser im November auf britischen
Boden, wie die englischen Zeitungen schreiben, einen freundlichern Empfang
erwarten darf, als nach der Vereitlung des Jamesonschen Einfalls, so können
wir nur wünschen, daß es ihm erspart bleiben möge, Herrn Chamberlain zur
Niederwerfung Transvaals beglückwünschen und die Triumphe des Imperia¬
lismus mit feiern zu müssen.




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[0493] Transvaal auch andre Mittel- und Kleinstaaten dort Anlehnung suchten, wo sie nicht Verrat, Vertragsbruch und Gewaltthätigkeit zu erwarten haben. Bei der heutigen Isolierung würden die Holländer dem Versuch Englands, sie ihres Kolonialbesitzes zu berauben, ganz ebenso machtlos gegenüber stehn, wie Spanien im letzten Kriege den Vereinigten Staaten gegenüberstand. Nicht einmal eines ernsthaften Angriffs durch Japan würden sie sich allein erwehren können. Und wenn das anglosüchsische Kapital das Geschäft einmal für reif und für so gut hält, daß es die Kriegsspesen lohnt, warum sollte es nicht zugreifen? Ein ganz zu Boden geworfnes Holland kann den Briten Deutsch¬ land gegenüber sehr gute Dienste leisten, noch viel bessere, als der portugiesische Vertragsbruch gegen Transvaal einer ist. Man spricht bei uns soviel von einer innern Politik der Sammlung, ohne bisher rechten Erfolg mit dieser Parole gehabt zu haben. Wir wollen hier nicht näher untersuchen, was daran schuld ist. Man sollte aber doch auch einmal eine auswärtige Politik der Sammlung in Betracht ziehn, eine Samm¬ lungspolitik zum Schutz des freien friedlichen Weltverkehrs für die Großen, Mittlern und Kleinen gegen die krankhafte Ländergier, die zur Zeit die Aller¬ größten befallen hat. Eine solche Sammluugspolitik des Deutschen Reichs wäre vielleicht aussichtsvoller als eine deutsche Eroberungspolitik nach impe¬ rialistischer Schablone. scheut man freilich vor dem Begriff des freien Welt¬ verkehrs, von Freihandel gar nicht zu sprechen, wie der Stier vor dem roten Tuch, so wird man mit ihr wohl kaum bessere Geschäfte machen als mit der innern. Nur eine ehrliche Bündnis- und Vertragspolitik auch gegen die Schwächern kaun uns die Expansion ermöglichen, die wir von Jahr zu Jahr dringender brauchen. Das gilt in Südafrika wie in der Levante und in Süd¬ amerika. Wir haben zu den heutigen Leitern unsrer auswärtigen Politik das Ver¬ trauen, daß sie der imperialistischen Doktrin, wie sie sich in Deutschland vor¬ drängt, auf ihre Arbeiten keinen Einfluß gestatten wollen, und daß sie die Tollheit und UnHaltbarkeit der imperialistischen Praxis, wie sie in England herrscht, erkennen. Wenn der deutsche Kaiser im November auf britischen Boden, wie die englischen Zeitungen schreiben, einen freundlichern Empfang erwarten darf, als nach der Vereitlung des Jamesonschen Einfalls, so können wir nur wünschen, daß es ihm erspart bleiben möge, Herrn Chamberlain zur Niederwerfung Transvaals beglückwünschen und die Triumphe des Imperia¬ lismus mit feiern zu müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/493>, abgerufen am 15.01.2025.