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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Friihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

hier. Die Fruchtbarkeit des Bodens ist erstaunlich, die Blütenfülle unermeßlich.
Auf dem armseligen Friedhof eines Nachbardvrfes zählten wir einmal die
Knospen und Blüten eines noch nicht einen Meter hohen Rosenstrauchs, der
an einem halb verfalliien Grabe stand; wir kamen bei sorgfältiger gründlicher
Schätzung auf 800 bis 1000.

Die Urteile mancher Reisenden, auch solcher, die dem blendenden Luxus
nicht abhold sind, lauten freilich ungünstiger über Abbazia, sie stellen es in
Vergleich zur Riviera, mit der ja die "Gründerin" Abbazias, die österreichische
Sttdbahngesellschaft, ansdrücklich in Wettbewerb treten wollte. Auch ich glaube,
daß der eigne Reiz der Riviera von Abbazia nicht ganz erreicht wird, da es
dein Golf von Quarnero an der pittoresken Romantik fehlt, durch die sich die
Meeresgestade östlich und westlich von Genua auszeichnen. Auf der andern
Seite findet man an der Riviera, außer beim Kriegshafen Spezia, niemals
ein landschaftlich so geschlossenes und dabei doch so weites und mannigfaltiges
Gesamtbild, wie es uns Abbazia gewährt. Der individuelle Geschmack wird
hier, wie auch sonst im Leben, immer ein gewichtigeres Wort zu spreche" haben,
als es alle theoretischen Abwägungen zu thun vermögen. -- In national¬
geschichtlicher Hinsicht ist ein Aufenthalt in Abbazia recht lehrreich. Unmittelbar
über dem Orte erhebt sich ans einer 500 bis 600 Meter hohen Kuppe die Wall¬
fahrtskirche von Veprinaz; unten am Meer der volltönende, vokalreiche ita¬
lienische Name, oben die scharfen, harten Laute des kroatischen Idioms. Man
erkennt an diesem Beispiel, wie die Besie-delung der istrischen und dalmatinischen
Küste, die die Italiener, besonders die Venezianer während des Mittelalters
vollzogen, nicht tief in das Land gegangen ist, sondern sich lediglich ans die
Meeresufer beschränkt hat, was ja bei einem so seefreudigen und handel¬
liebenden Volke nicht weiter wunderbar erscheint; im Hinter- und Oberland
blieb infolgedessen die slawische Einwohnerschaft fast völlig unberührt.

Die Überfahrt von Fiume nach Ancona vollzieht sich schnell und angenehm
mit dem hübschen Dampfer Villame der Jmpresa Fiume-Venezia; sie erfolgt
im Winter einmal, im Sommer zweimal wöchentlich, währt gerade eine Nacht
und hat Anschluß an die wichtigsten Eisenbahnschnellzüge Italiens und Ungarns.
In Ancona betritt man klassischen Boden; den von der Natur geschützten und
wohlausgebauteu Hafen ziert ein Triumphbogen, den die Bürgerschaft im
Jahre 115 n. Chr. dem Kaiser Trajan zum Danke für den von ihm neu an¬
gelegten Hafendamm errichten ließ. In amphitheatralischen Aufbau steigt
ringsum die Stadt empor; sie ist mit trefflichen Bauten aus verschiednen Jahr¬
hunderten geschmückt, die trotz aller stilistischen Abweichungen fast durchweg
eine auffallende Übereinstimmung aufweisen, nämlich die Neigung, die Vau-
glieder möglichst zu häufen und durch Überladung einen großen Eindruck zu
erzielen, während man nur zu sehr eine feinere Durchbildung der Fassaden ver¬
mißt, sowohl was den Gesamtentwurf, als was die Einzelbehmidlnng au-


Grenzboten III 1899 K
Line Friihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

hier. Die Fruchtbarkeit des Bodens ist erstaunlich, die Blütenfülle unermeßlich.
Auf dem armseligen Friedhof eines Nachbardvrfes zählten wir einmal die
Knospen und Blüten eines noch nicht einen Meter hohen Rosenstrauchs, der
an einem halb verfalliien Grabe stand; wir kamen bei sorgfältiger gründlicher
Schätzung auf 800 bis 1000.

Die Urteile mancher Reisenden, auch solcher, die dem blendenden Luxus
nicht abhold sind, lauten freilich ungünstiger über Abbazia, sie stellen es in
Vergleich zur Riviera, mit der ja die „Gründerin" Abbazias, die österreichische
Sttdbahngesellschaft, ansdrücklich in Wettbewerb treten wollte. Auch ich glaube,
daß der eigne Reiz der Riviera von Abbazia nicht ganz erreicht wird, da es
dein Golf von Quarnero an der pittoresken Romantik fehlt, durch die sich die
Meeresgestade östlich und westlich von Genua auszeichnen. Auf der andern
Seite findet man an der Riviera, außer beim Kriegshafen Spezia, niemals
ein landschaftlich so geschlossenes und dabei doch so weites und mannigfaltiges
Gesamtbild, wie es uns Abbazia gewährt. Der individuelle Geschmack wird
hier, wie auch sonst im Leben, immer ein gewichtigeres Wort zu spreche» haben,
als es alle theoretischen Abwägungen zu thun vermögen. — In national¬
geschichtlicher Hinsicht ist ein Aufenthalt in Abbazia recht lehrreich. Unmittelbar
über dem Orte erhebt sich ans einer 500 bis 600 Meter hohen Kuppe die Wall¬
fahrtskirche von Veprinaz; unten am Meer der volltönende, vokalreiche ita¬
lienische Name, oben die scharfen, harten Laute des kroatischen Idioms. Man
erkennt an diesem Beispiel, wie die Besie-delung der istrischen und dalmatinischen
Küste, die die Italiener, besonders die Venezianer während des Mittelalters
vollzogen, nicht tief in das Land gegangen ist, sondern sich lediglich ans die
Meeresufer beschränkt hat, was ja bei einem so seefreudigen und handel¬
liebenden Volke nicht weiter wunderbar erscheint; im Hinter- und Oberland
blieb infolgedessen die slawische Einwohnerschaft fast völlig unberührt.

Die Überfahrt von Fiume nach Ancona vollzieht sich schnell und angenehm
mit dem hübschen Dampfer Villame der Jmpresa Fiume-Venezia; sie erfolgt
im Winter einmal, im Sommer zweimal wöchentlich, währt gerade eine Nacht
und hat Anschluß an die wichtigsten Eisenbahnschnellzüge Italiens und Ungarns.
In Ancona betritt man klassischen Boden; den von der Natur geschützten und
wohlausgebauteu Hafen ziert ein Triumphbogen, den die Bürgerschaft im
Jahre 115 n. Chr. dem Kaiser Trajan zum Danke für den von ihm neu an¬
gelegten Hafendamm errichten ließ. In amphitheatralischen Aufbau steigt
ringsum die Stadt empor; sie ist mit trefflichen Bauten aus verschiednen Jahr¬
hunderten geschmückt, die trotz aller stilistischen Abweichungen fast durchweg
eine auffallende Übereinstimmung aufweisen, nämlich die Neigung, die Vau-
glieder möglichst zu häufen und durch Überladung einen großen Eindruck zu
erzielen, während man nur zu sehr eine feinere Durchbildung der Fassaden ver¬
mißt, sowohl was den Gesamtentwurf, als was die Einzelbehmidlnng au-


Grenzboten III 1899 K
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/49>, abgerufen am 15.01.2025.