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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbien5 politische und moralische Bekehrung

Präsident als von seinem höchsten Ziele spricht, so dürfte man doch nicht wegen
solcher Gewaltstreiche über eine Regierung den Stab brechen. Wo die Mi߬
wirtschaft Jahre oder wie hier Jahrzehnte gedauert hat, kann niemand Ord¬
nung schaffen ohne Gewaltmittel. Freilich um dann etwas Positives schaffen
zu können -- das Zerstören ist ja bekanntlich auch in der That sehr viel
leichter als das Aufbauen --, muß man von vornherein nicht nur ganz klare
Anschauungen über das Was und Womit und Wozu haben, mit andern Worten,
über den Ring in der Kette der Ereignisse, in den man den zu schmiedenden
neuen Ring einfügen will, sondern auch darüber, wie man es mit diesem selbst
halten will, damit auch später wieder jemand weiterschmieden kann an dieser
Kette, ohne die alten Ringe erst wieder aufbrechen oder mit dem neuen viel
weiter hinten anfangen zu müssen. Auf vorliegenden Fall angewandt müßte
sich also der serbische Ministerpräsident nicht nur bis ins einzelnste hinein klar
sein über die Maßnahmen, die er ergreifen will, sondern namentlich auch
darüber, ob er bei der Herkulesarbeit, "ein verwüstetes Land moralisch und
kulturell wieder urbar zu machen," an der Dynastie fortdauernd die notwendige
feste Stütze haben wird, und ob er unter den regierenden Klassen die notwendige
Elitetruppe begabter, vor allem aber rechtlicher, zäher und treuer Helfer
finden wird.

Bei einer andern Nation als den liebenswürdigen, weichen Serben wäre
noch eine dritte Frage nötig, wie nämlich die Massen zum Stillehalten ge¬
bracht werden sollen bei den unvermeidlichen Gewaltkuren; aber zu den natio¬
nalen Eigenschaften der Serben gehört es, sich verhältnismäßig leicht und
willig einer entschiednen, ja selbst harten Hand zu fügen und sogar mit Ver¬
gnügen und Überzeugung dem Inhaber einer solchen sein "Shivio, shivio" zu¬
zurufen in dem angenehmen Gefühl, geleitet und geführt zu werden und, der
Selbstverantwortung ledig, im Schutze zu leben. Die Vorfrage, die sonst
überall zu stellen wäre, ob sich denn die Masse der Nation die geplanten
Prozeduren gefallen lassen wird, oder wie man sie dazu zwingen will, wird
also für Serbien so ziemlich wegfallen; anders steht es mit der Frage, inwie¬
weit ein solcher Arzt des jungen und doch schon in so vielfacher Hinsicht
ziemlich verlotterten Völkchens in der Dynastie einen unzweifelhaften Rückhalt
und in den obern Zehntausend die unentbehrliche Unterstützung finden wird.
Doch ehe man sich zur Beantwortung dieser schließlich alles entscheidenden
Fragen wendet, ist es vielleicht gut, sich noch etwas genauer mit den bisherigen
Leistungen und den ausgesprochen Absichten des serbischen Ministerpräsidenten
zu beschäftigen, der sich die schöne, aber ziemlich kühne Aufgabe gestellt hat,
sein Land aus dem Sumpfe zu ziehn.

Er giebt an, sein erstes sei gewesen, das Land von der Zerrüttung des
Parteiunwesens und von der verderblichen Quelle dafür, der Last einer über¬
mäßigen Erziehung höher gebildeter Bewerber um Beamtenstellen, zu befreien.


Serbien5 politische und moralische Bekehrung

Präsident als von seinem höchsten Ziele spricht, so dürfte man doch nicht wegen
solcher Gewaltstreiche über eine Regierung den Stab brechen. Wo die Mi߬
wirtschaft Jahre oder wie hier Jahrzehnte gedauert hat, kann niemand Ord¬
nung schaffen ohne Gewaltmittel. Freilich um dann etwas Positives schaffen
zu können — das Zerstören ist ja bekanntlich auch in der That sehr viel
leichter als das Aufbauen —, muß man von vornherein nicht nur ganz klare
Anschauungen über das Was und Womit und Wozu haben, mit andern Worten,
über den Ring in der Kette der Ereignisse, in den man den zu schmiedenden
neuen Ring einfügen will, sondern auch darüber, wie man es mit diesem selbst
halten will, damit auch später wieder jemand weiterschmieden kann an dieser
Kette, ohne die alten Ringe erst wieder aufbrechen oder mit dem neuen viel
weiter hinten anfangen zu müssen. Auf vorliegenden Fall angewandt müßte
sich also der serbische Ministerpräsident nicht nur bis ins einzelnste hinein klar
sein über die Maßnahmen, die er ergreifen will, sondern namentlich auch
darüber, ob er bei der Herkulesarbeit, „ein verwüstetes Land moralisch und
kulturell wieder urbar zu machen," an der Dynastie fortdauernd die notwendige
feste Stütze haben wird, und ob er unter den regierenden Klassen die notwendige
Elitetruppe begabter, vor allem aber rechtlicher, zäher und treuer Helfer
finden wird.

Bei einer andern Nation als den liebenswürdigen, weichen Serben wäre
noch eine dritte Frage nötig, wie nämlich die Massen zum Stillehalten ge¬
bracht werden sollen bei den unvermeidlichen Gewaltkuren; aber zu den natio¬
nalen Eigenschaften der Serben gehört es, sich verhältnismäßig leicht und
willig einer entschiednen, ja selbst harten Hand zu fügen und sogar mit Ver¬
gnügen und Überzeugung dem Inhaber einer solchen sein „Shivio, shivio" zu¬
zurufen in dem angenehmen Gefühl, geleitet und geführt zu werden und, der
Selbstverantwortung ledig, im Schutze zu leben. Die Vorfrage, die sonst
überall zu stellen wäre, ob sich denn die Masse der Nation die geplanten
Prozeduren gefallen lassen wird, oder wie man sie dazu zwingen will, wird
also für Serbien so ziemlich wegfallen; anders steht es mit der Frage, inwie¬
weit ein solcher Arzt des jungen und doch schon in so vielfacher Hinsicht
ziemlich verlotterten Völkchens in der Dynastie einen unzweifelhaften Rückhalt
und in den obern Zehntausend die unentbehrliche Unterstützung finden wird.
Doch ehe man sich zur Beantwortung dieser schließlich alles entscheidenden
Fragen wendet, ist es vielleicht gut, sich noch etwas genauer mit den bisherigen
Leistungen und den ausgesprochen Absichten des serbischen Ministerpräsidenten
zu beschäftigen, der sich die schöne, aber ziemlich kühne Aufgabe gestellt hat,
sein Land aus dem Sumpfe zu ziehn.

Er giebt an, sein erstes sei gewesen, das Land von der Zerrüttung des
Parteiunwesens und von der verderblichen Quelle dafür, der Last einer über¬
mäßigen Erziehung höher gebildeter Bewerber um Beamtenstellen, zu befreien.


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[0442] Serbien5 politische und moralische Bekehrung Präsident als von seinem höchsten Ziele spricht, so dürfte man doch nicht wegen solcher Gewaltstreiche über eine Regierung den Stab brechen. Wo die Mi߬ wirtschaft Jahre oder wie hier Jahrzehnte gedauert hat, kann niemand Ord¬ nung schaffen ohne Gewaltmittel. Freilich um dann etwas Positives schaffen zu können — das Zerstören ist ja bekanntlich auch in der That sehr viel leichter als das Aufbauen —, muß man von vornherein nicht nur ganz klare Anschauungen über das Was und Womit und Wozu haben, mit andern Worten, über den Ring in der Kette der Ereignisse, in den man den zu schmiedenden neuen Ring einfügen will, sondern auch darüber, wie man es mit diesem selbst halten will, damit auch später wieder jemand weiterschmieden kann an dieser Kette, ohne die alten Ringe erst wieder aufbrechen oder mit dem neuen viel weiter hinten anfangen zu müssen. Auf vorliegenden Fall angewandt müßte sich also der serbische Ministerpräsident nicht nur bis ins einzelnste hinein klar sein über die Maßnahmen, die er ergreifen will, sondern namentlich auch darüber, ob er bei der Herkulesarbeit, „ein verwüstetes Land moralisch und kulturell wieder urbar zu machen," an der Dynastie fortdauernd die notwendige feste Stütze haben wird, und ob er unter den regierenden Klassen die notwendige Elitetruppe begabter, vor allem aber rechtlicher, zäher und treuer Helfer finden wird. Bei einer andern Nation als den liebenswürdigen, weichen Serben wäre noch eine dritte Frage nötig, wie nämlich die Massen zum Stillehalten ge¬ bracht werden sollen bei den unvermeidlichen Gewaltkuren; aber zu den natio¬ nalen Eigenschaften der Serben gehört es, sich verhältnismäßig leicht und willig einer entschiednen, ja selbst harten Hand zu fügen und sogar mit Ver¬ gnügen und Überzeugung dem Inhaber einer solchen sein „Shivio, shivio" zu¬ zurufen in dem angenehmen Gefühl, geleitet und geführt zu werden und, der Selbstverantwortung ledig, im Schutze zu leben. Die Vorfrage, die sonst überall zu stellen wäre, ob sich denn die Masse der Nation die geplanten Prozeduren gefallen lassen wird, oder wie man sie dazu zwingen will, wird also für Serbien so ziemlich wegfallen; anders steht es mit der Frage, inwie¬ weit ein solcher Arzt des jungen und doch schon in so vielfacher Hinsicht ziemlich verlotterten Völkchens in der Dynastie einen unzweifelhaften Rückhalt und in den obern Zehntausend die unentbehrliche Unterstützung finden wird. Doch ehe man sich zur Beantwortung dieser schließlich alles entscheidenden Fragen wendet, ist es vielleicht gut, sich noch etwas genauer mit den bisherigen Leistungen und den ausgesprochen Absichten des serbischen Ministerpräsidenten zu beschäftigen, der sich die schöne, aber ziemlich kühne Aufgabe gestellt hat, sein Land aus dem Sumpfe zu ziehn. Er giebt an, sein erstes sei gewesen, das Land von der Zerrüttung des Parteiunwesens und von der verderblichen Quelle dafür, der Last einer über¬ mäßigen Erziehung höher gebildeter Bewerber um Beamtenstellen, zu befreien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/442>, abgerufen am 15.01.2025.