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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbiens politische und moralische Bekehrung

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^M/le man weiß, ist in Serbien die radikale Partei, die sich an
Rußland anlehnende Klique der serbischen Unruhestifter auf der
Balkanhalbinsel, mit einer für einen Verfassungsstaat etwas über¬
raschenden Unverfrorenheit niedergeschlagen worden, und der ser¬
bische Ministerpräsident erklärte denn auch ganz offen: "Mein
erstes war, mir eine Kammer zu schaffen, mit der gearbeitet werden konnte.
Mit Benutzung des gesamten legitimen Einflusses sorgten wir zunächst für red¬
liche Gemeindevorsteher, die nicht duldeten, daß die Radikalen von ihren Mitteln
der politischen Propaganda, Totschlag und Brandstiftung, Gebrauch machten.
Dann ließ ich wählen. Das Resultat war die jetzige Skuptschina usw."

Etwa gleichzeitig mit dieser, wie man sieht, ganz "legitimen" Schaffung
eines geeigneten Parlaments wurden auch geeignete Bestimmungen erlassen für
die, wie man freilich bekennen muß, bis dahin über alle Maßen zügellose serbische
Presse; nach russischem Muster legte man den Journalen eine für serbische
Verhältnisse nicht unbedeutende Kaution auf, uni sie bei ungeeigneten Ver¬
halten von dieser hcrunterstrafen zu können. Was die ausländische Presse be¬
trifft, so wird scharf darauf gehalten, daß keinerlei begründete oder unbegründete
Kritik durch diese ins Land hineingeschleppt wird, und das geht soweit, daß
man sogar dem Reisenden, der von Semlin für ein paar Stunden nach Belgrad
hinüberfährt, nur raten kann, sein Exemplar des kleinen, doch eigentlich recht
harmlosen Semliner Tageblatts ja vor dem Verlassen des Schiffes der Donau
anzuvertrauen, falls er nicht bei den überflüssigen Paßquälereien auch noch
Unannehmlichkeiten durch die serbische Polizei erfahren will. Wenn man nun
auch diese Handhabung der Verfassung und diese Einführung russischer Pre߬
freiheit nicht gerade als besondre Symptome für einen engen Anschluß Serbiens
an die westeuropäische Kultur betrachten kann, wovon der serbische Minister-


Gronzboten III 1899


Serbiens politische und moralische Bekehrung

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^M/le man weiß, ist in Serbien die radikale Partei, die sich an
Rußland anlehnende Klique der serbischen Unruhestifter auf der
Balkanhalbinsel, mit einer für einen Verfassungsstaat etwas über¬
raschenden Unverfrorenheit niedergeschlagen worden, und der ser¬
bische Ministerpräsident erklärte denn auch ganz offen: „Mein
erstes war, mir eine Kammer zu schaffen, mit der gearbeitet werden konnte.
Mit Benutzung des gesamten legitimen Einflusses sorgten wir zunächst für red¬
liche Gemeindevorsteher, die nicht duldeten, daß die Radikalen von ihren Mitteln
der politischen Propaganda, Totschlag und Brandstiftung, Gebrauch machten.
Dann ließ ich wählen. Das Resultat war die jetzige Skuptschina usw."

Etwa gleichzeitig mit dieser, wie man sieht, ganz „legitimen" Schaffung
eines geeigneten Parlaments wurden auch geeignete Bestimmungen erlassen für
die, wie man freilich bekennen muß, bis dahin über alle Maßen zügellose serbische
Presse; nach russischem Muster legte man den Journalen eine für serbische
Verhältnisse nicht unbedeutende Kaution auf, uni sie bei ungeeigneten Ver¬
halten von dieser hcrunterstrafen zu können. Was die ausländische Presse be¬
trifft, so wird scharf darauf gehalten, daß keinerlei begründete oder unbegründete
Kritik durch diese ins Land hineingeschleppt wird, und das geht soweit, daß
man sogar dem Reisenden, der von Semlin für ein paar Stunden nach Belgrad
hinüberfährt, nur raten kann, sein Exemplar des kleinen, doch eigentlich recht
harmlosen Semliner Tageblatts ja vor dem Verlassen des Schiffes der Donau
anzuvertrauen, falls er nicht bei den überflüssigen Paßquälereien auch noch
Unannehmlichkeiten durch die serbische Polizei erfahren will. Wenn man nun
auch diese Handhabung der Verfassung und diese Einführung russischer Pre߬
freiheit nicht gerade als besondre Symptome für einen engen Anschluß Serbiens
an die westeuropäische Kultur betrachten kann, wovon der serbische Minister-


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[0441] [Abbildung] Serbiens politische und moralische Bekehrung WZ e^^-WW^ ^M/le man weiß, ist in Serbien die radikale Partei, die sich an Rußland anlehnende Klique der serbischen Unruhestifter auf der Balkanhalbinsel, mit einer für einen Verfassungsstaat etwas über¬ raschenden Unverfrorenheit niedergeschlagen worden, und der ser¬ bische Ministerpräsident erklärte denn auch ganz offen: „Mein erstes war, mir eine Kammer zu schaffen, mit der gearbeitet werden konnte. Mit Benutzung des gesamten legitimen Einflusses sorgten wir zunächst für red¬ liche Gemeindevorsteher, die nicht duldeten, daß die Radikalen von ihren Mitteln der politischen Propaganda, Totschlag und Brandstiftung, Gebrauch machten. Dann ließ ich wählen. Das Resultat war die jetzige Skuptschina usw." Etwa gleichzeitig mit dieser, wie man sieht, ganz „legitimen" Schaffung eines geeigneten Parlaments wurden auch geeignete Bestimmungen erlassen für die, wie man freilich bekennen muß, bis dahin über alle Maßen zügellose serbische Presse; nach russischem Muster legte man den Journalen eine für serbische Verhältnisse nicht unbedeutende Kaution auf, uni sie bei ungeeigneten Ver¬ halten von dieser hcrunterstrafen zu können. Was die ausländische Presse be¬ trifft, so wird scharf darauf gehalten, daß keinerlei begründete oder unbegründete Kritik durch diese ins Land hineingeschleppt wird, und das geht soweit, daß man sogar dem Reisenden, der von Semlin für ein paar Stunden nach Belgrad hinüberfährt, nur raten kann, sein Exemplar des kleinen, doch eigentlich recht harmlosen Semliner Tageblatts ja vor dem Verlassen des Schiffes der Donau anzuvertrauen, falls er nicht bei den überflüssigen Paßquälereien auch noch Unannehmlichkeiten durch die serbische Polizei erfahren will. Wenn man nun auch diese Handhabung der Verfassung und diese Einführung russischer Pre߬ freiheit nicht gerade als besondre Symptome für einen engen Anschluß Serbiens an die westeuropäische Kultur betrachten kann, wovon der serbische Minister- Gronzboten III 1899

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/441>, abgerufen am 15.01.2025.