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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Dem ungestümen Drängen nachgebend habe man ehedem dem Lande viel zu viele
Gymnasien bewilligt, und die Übermasse von Anwärtern auf den Staatsdienst
habe dann zu der Bildung "neuer Parteien mit vollständigen Kadres für alle
Veamtenpositiouen bis zum Nachtwächter herunter" geführt; indem sich dann
diese Parteien auf der Staatsweide abgelöst hätten, sei nicht nur für das
Budget eine unerträgliche Belastung erwachsen, sondern auch, was noch übler
sei, "die moralische Depravation des Beamtenstandes" sei erfolgt, "der unter
solchen Umständen es für wichtiger hält, sich politischen Einfluß und Beziehungen
zu schaffen, als sich um seine Amtspflichten zu kümmern." Um diesem Unfug
und Unheil zu steuern, plant nun Gjorgjewitsch eine Änderung des Beamten¬
gesetzes, sodaß die nicht direkt politischen Beamten gegen den Amtsverlust bei
einem Systemwechsel geschützt werden. Gleichzeitig mit diesem schönen Plan er¬
folgte nun aber auch schon eine That: es wurde vorläufig die Hälfte der Gym¬
nasien kassiert, als Stätten nicht der Erziehung, sondern einer "Art formaler,
scholastischer Dressur, durch welche die Schüler sür alles andre im Leben un¬
brauchbar wurden, als die Amtskarriere und das eloquente Strebertum."

Hört man dies, so wird man finden, daß Serbien offenbar außer einer
sonderbaren Amtskarriere bisher eine recht eigentümliche Art von Gymnasien
gehabt haben muß, und wundert sich, daß von solchen verderblichen Anstalten
nur die Hälfte "kassiert" wurde. Denn von einer Umwandlung dieser übrig¬
gelassenen Lehranstalten in nützliche Vorbildungsschuleu -- von guten Vorsätzen
natürlich abgesehen -- hört man nichts. Eine solche freilich läßt sich, wie
Gjorgjewitsch ganz richtig erkennt, "nicht über Nacht vollziehen," namentlich
nicht, wenn "es an geschulten Lehrmaterial sehlt." Wäre es aber da nicht
vielleicht besser gewesen, zunächst im Hinblick auf eine spätere Beschränkung
der Gymnasien die durch eine solche dann etwa überflüssig werdenden Gym¬
nasiallehrer nach Kräften umzubilden, um sie eintretenden Falles als Lehrer
an den geplanten Real-, Gewerbe- und Ackerbauschulen verwenden zu können?
Statt dessen wurde das gethan, was allerdings "über Nacht geschehen kann,"
namentlich in Serbien; man setzte durch Kassierung der Hälfte der Gymnasien
einfach die Hälfte der Gymnasiallehrer an die Luft und vermehrte so die Zahl
der herumlaufenden Anwärter auf staatliche Versorgung wieder um ein Erkleck¬
liches. Das neue System unterscheidet sich also in der Sache gar nicht vom
alten, denn ob aus parteipolitischer Rücksichten oder aus technischen Über¬
zeugungen leichthin, rücksichtslos die Interessen und billigen Ansprüche der Ge¬
bildeten mit Füßen getreten werden, wird diesen sicher ziemlich gleich gelten
und h"t jedenfalls beidemal einen und denselben Erfolg: Schaffung oder weitere
Vermehrung des gebildeten Proletariats.

Der wahre, Nächstliegende Grund für diese Gewaltmaßregel ist denn natürlich
auch nicht die in der Ferne liegende Absicht, die Zahl der für den Staats¬
dienst herangebildeten Leute zu vermindern, sondern die, die Gehälter der Hälfte


Dem ungestümen Drängen nachgebend habe man ehedem dem Lande viel zu viele
Gymnasien bewilligt, und die Übermasse von Anwärtern auf den Staatsdienst
habe dann zu der Bildung „neuer Parteien mit vollständigen Kadres für alle
Veamtenpositiouen bis zum Nachtwächter herunter" geführt; indem sich dann
diese Parteien auf der Staatsweide abgelöst hätten, sei nicht nur für das
Budget eine unerträgliche Belastung erwachsen, sondern auch, was noch übler
sei, „die moralische Depravation des Beamtenstandes" sei erfolgt, „der unter
solchen Umständen es für wichtiger hält, sich politischen Einfluß und Beziehungen
zu schaffen, als sich um seine Amtspflichten zu kümmern." Um diesem Unfug
und Unheil zu steuern, plant nun Gjorgjewitsch eine Änderung des Beamten¬
gesetzes, sodaß die nicht direkt politischen Beamten gegen den Amtsverlust bei
einem Systemwechsel geschützt werden. Gleichzeitig mit diesem schönen Plan er¬
folgte nun aber auch schon eine That: es wurde vorläufig die Hälfte der Gym¬
nasien kassiert, als Stätten nicht der Erziehung, sondern einer „Art formaler,
scholastischer Dressur, durch welche die Schüler sür alles andre im Leben un¬
brauchbar wurden, als die Amtskarriere und das eloquente Strebertum."

Hört man dies, so wird man finden, daß Serbien offenbar außer einer
sonderbaren Amtskarriere bisher eine recht eigentümliche Art von Gymnasien
gehabt haben muß, und wundert sich, daß von solchen verderblichen Anstalten
nur die Hälfte „kassiert" wurde. Denn von einer Umwandlung dieser übrig¬
gelassenen Lehranstalten in nützliche Vorbildungsschuleu — von guten Vorsätzen
natürlich abgesehen — hört man nichts. Eine solche freilich läßt sich, wie
Gjorgjewitsch ganz richtig erkennt, „nicht über Nacht vollziehen," namentlich
nicht, wenn „es an geschulten Lehrmaterial sehlt." Wäre es aber da nicht
vielleicht besser gewesen, zunächst im Hinblick auf eine spätere Beschränkung
der Gymnasien die durch eine solche dann etwa überflüssig werdenden Gym¬
nasiallehrer nach Kräften umzubilden, um sie eintretenden Falles als Lehrer
an den geplanten Real-, Gewerbe- und Ackerbauschulen verwenden zu können?
Statt dessen wurde das gethan, was allerdings „über Nacht geschehen kann,"
namentlich in Serbien; man setzte durch Kassierung der Hälfte der Gymnasien
einfach die Hälfte der Gymnasiallehrer an die Luft und vermehrte so die Zahl
der herumlaufenden Anwärter auf staatliche Versorgung wieder um ein Erkleck¬
liches. Das neue System unterscheidet sich also in der Sache gar nicht vom
alten, denn ob aus parteipolitischer Rücksichten oder aus technischen Über¬
zeugungen leichthin, rücksichtslos die Interessen und billigen Ansprüche der Ge¬
bildeten mit Füßen getreten werden, wird diesen sicher ziemlich gleich gelten
und h«t jedenfalls beidemal einen und denselben Erfolg: Schaffung oder weitere
Vermehrung des gebildeten Proletariats.

Der wahre, Nächstliegende Grund für diese Gewaltmaßregel ist denn natürlich
auch nicht die in der Ferne liegende Absicht, die Zahl der für den Staats¬
dienst herangebildeten Leute zu vermindern, sondern die, die Gehälter der Hälfte


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[0443] Dem ungestümen Drängen nachgebend habe man ehedem dem Lande viel zu viele Gymnasien bewilligt, und die Übermasse von Anwärtern auf den Staatsdienst habe dann zu der Bildung „neuer Parteien mit vollständigen Kadres für alle Veamtenpositiouen bis zum Nachtwächter herunter" geführt; indem sich dann diese Parteien auf der Staatsweide abgelöst hätten, sei nicht nur für das Budget eine unerträgliche Belastung erwachsen, sondern auch, was noch übler sei, „die moralische Depravation des Beamtenstandes" sei erfolgt, „der unter solchen Umständen es für wichtiger hält, sich politischen Einfluß und Beziehungen zu schaffen, als sich um seine Amtspflichten zu kümmern." Um diesem Unfug und Unheil zu steuern, plant nun Gjorgjewitsch eine Änderung des Beamten¬ gesetzes, sodaß die nicht direkt politischen Beamten gegen den Amtsverlust bei einem Systemwechsel geschützt werden. Gleichzeitig mit diesem schönen Plan er¬ folgte nun aber auch schon eine That: es wurde vorläufig die Hälfte der Gym¬ nasien kassiert, als Stätten nicht der Erziehung, sondern einer „Art formaler, scholastischer Dressur, durch welche die Schüler sür alles andre im Leben un¬ brauchbar wurden, als die Amtskarriere und das eloquente Strebertum." Hört man dies, so wird man finden, daß Serbien offenbar außer einer sonderbaren Amtskarriere bisher eine recht eigentümliche Art von Gymnasien gehabt haben muß, und wundert sich, daß von solchen verderblichen Anstalten nur die Hälfte „kassiert" wurde. Denn von einer Umwandlung dieser übrig¬ gelassenen Lehranstalten in nützliche Vorbildungsschuleu — von guten Vorsätzen natürlich abgesehen — hört man nichts. Eine solche freilich läßt sich, wie Gjorgjewitsch ganz richtig erkennt, „nicht über Nacht vollziehen," namentlich nicht, wenn „es an geschulten Lehrmaterial sehlt." Wäre es aber da nicht vielleicht besser gewesen, zunächst im Hinblick auf eine spätere Beschränkung der Gymnasien die durch eine solche dann etwa überflüssig werdenden Gym¬ nasiallehrer nach Kräften umzubilden, um sie eintretenden Falles als Lehrer an den geplanten Real-, Gewerbe- und Ackerbauschulen verwenden zu können? Statt dessen wurde das gethan, was allerdings „über Nacht geschehen kann," namentlich in Serbien; man setzte durch Kassierung der Hälfte der Gymnasien einfach die Hälfte der Gymnasiallehrer an die Luft und vermehrte so die Zahl der herumlaufenden Anwärter auf staatliche Versorgung wieder um ein Erkleck¬ liches. Das neue System unterscheidet sich also in der Sache gar nicht vom alten, denn ob aus parteipolitischer Rücksichten oder aus technischen Über¬ zeugungen leichthin, rücksichtslos die Interessen und billigen Ansprüche der Ge¬ bildeten mit Füßen getreten werden, wird diesen sicher ziemlich gleich gelten und h«t jedenfalls beidemal einen und denselben Erfolg: Schaffung oder weitere Vermehrung des gebildeten Proletariats. Der wahre, Nächstliegende Grund für diese Gewaltmaßregel ist denn natürlich auch nicht die in der Ferne liegende Absicht, die Zahl der für den Staats¬ dienst herangebildeten Leute zu vermindern, sondern die, die Gehälter der Hälfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/443>, abgerufen am 15.01.2025.