Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein deutsches Kiinstlerleben

Arbeiten zu legen, z. B. ein Peter Haß, ein Heidegger; der "Troß der krassen
Naturalisten" mußte sich bescheiden zurückhalten, solange noch Cornelius und
seine Schüler als Autorität galten. Erst später wurden sie Herren des
Gebietes. Neben Cornelius wirkten Schlotthauer, Schmorr und Heinrich Heß.
Besonders das Lehrtalent des letzten hebt Wasmann rühmend hervor. Auf
die Akademie war man nicht gut zu sprechen; auch Wasmann hielt sich von
ihr fern nach dem Beispiel vieler andrer Künstler. Entweder versuchten diese
auf eigne Faust, etwas zu lernen, oder sie traten nach alter guter Weise zu
tüchtigen Meistern in ein Gesellen- oder Lehrlingsverhültnis. So verstand
Heinrich Heß "mit Takt und Sachkenntnis auf einfache Weise junge Leute zu
Künstlern zu bilden, indem er sie ohne das Mittel der Akademie und lange
Übergänge rasch in die praktische Übung der kirchlichen Kunst mitten hinein¬
setzte, sie von Lehrbuben zu bessern Arbeitern aufsteigen ließ und endlich zu
großen monumentalen Werken in der Kirche verwendete." Diese Stelle ist
äußerst charakteristisch sür die Kunstzustünde der Cornelianischen Zeit. Was
bei dem Studiengang der Kunstjünger von vornherein als Ziel feststand, war
die Ausübung kirchlicher Kunst; man trennte die Kunst von Leben und Natur
und machte sie zu einem Mittel kirchlicher Andachtsübnng; das klösterliche
Leben des frommen Fr" Angelico schwebte auch vielen als das ideale Künstler¬
dasein vor Augen, und mancher, der mit kindlich frommem Ernst zur Akademie
zog, starb als Laienbruder in einem Kloster.

Wasmann hielt sich an seine Hamburger Kunstgenossen, die, wie auch die
übrigen, zu einer Art Landsmannschaft zusammentraten. Man feierte Weih¬
nachten mit Tannenbaum, kleinen Geschenken, Karpfenschmaus und Punsch und
machte dann die Runde durch die katholischen Kirchen, um die Christmette an¬
zuhören, wobei sich der gute Wasmaun, wie er gewissenhaft berichtet, ver¬
geblich anstrengte, in eine andächtige Stimmung zu kommen. Mit köstlichem
Humor schildert er die Feier eines Shlvesterabends und die verschiedenartige
Wirkung des Weins auf die einzelnen Landsmannschaften: "Wir Hamburger
fingen an, wie Matrosen uns einander ans der Bank zu schieben und zu stoßen.
Etliche Oldenburger mit dickeren Geblüt blieben apathisch sitzen, die Rheinländer
und Düsseldorfer machten Gesichter wie die Recken der Nibelungen und übten
sich in kühnen, ritterlichen Stellungen. In einem Winkel der engen Stube
saß eine trauernde Gruppe gleich den Juden auf den Trümmern des Tempels.
Als ich näher kam, erkannte ich lauter Sachsen, deren einer, um die Ursache
des Leids befragt, untröstlich und laut schluchzend sagte: der beste Schüler
des Cornelius, ihr Landsmann, der Maler Hermann, sei bis dahin immer
verkannt und zurückgesetzt worden. Man hatte nämlich an diesem Abend seine
Gesundheit ausgebracht, worauf er sich beschämt in eine Ecke setzte und zu
weinen anfing. Auf dieses hinauf setzten sich seine Landsleute um ihn herum
und weinten ebenfalls." An diesem lustigen Sylvesterabend sah Wasmann


Ein deutsches Kiinstlerleben

Arbeiten zu legen, z. B. ein Peter Haß, ein Heidegger; der „Troß der krassen
Naturalisten" mußte sich bescheiden zurückhalten, solange noch Cornelius und
seine Schüler als Autorität galten. Erst später wurden sie Herren des
Gebietes. Neben Cornelius wirkten Schlotthauer, Schmorr und Heinrich Heß.
Besonders das Lehrtalent des letzten hebt Wasmann rühmend hervor. Auf
die Akademie war man nicht gut zu sprechen; auch Wasmann hielt sich von
ihr fern nach dem Beispiel vieler andrer Künstler. Entweder versuchten diese
auf eigne Faust, etwas zu lernen, oder sie traten nach alter guter Weise zu
tüchtigen Meistern in ein Gesellen- oder Lehrlingsverhültnis. So verstand
Heinrich Heß „mit Takt und Sachkenntnis auf einfache Weise junge Leute zu
Künstlern zu bilden, indem er sie ohne das Mittel der Akademie und lange
Übergänge rasch in die praktische Übung der kirchlichen Kunst mitten hinein¬
setzte, sie von Lehrbuben zu bessern Arbeitern aufsteigen ließ und endlich zu
großen monumentalen Werken in der Kirche verwendete." Diese Stelle ist
äußerst charakteristisch sür die Kunstzustünde der Cornelianischen Zeit. Was
bei dem Studiengang der Kunstjünger von vornherein als Ziel feststand, war
die Ausübung kirchlicher Kunst; man trennte die Kunst von Leben und Natur
und machte sie zu einem Mittel kirchlicher Andachtsübnng; das klösterliche
Leben des frommen Fr« Angelico schwebte auch vielen als das ideale Künstler¬
dasein vor Augen, und mancher, der mit kindlich frommem Ernst zur Akademie
zog, starb als Laienbruder in einem Kloster.

Wasmann hielt sich an seine Hamburger Kunstgenossen, die, wie auch die
übrigen, zu einer Art Landsmannschaft zusammentraten. Man feierte Weih¬
nachten mit Tannenbaum, kleinen Geschenken, Karpfenschmaus und Punsch und
machte dann die Runde durch die katholischen Kirchen, um die Christmette an¬
zuhören, wobei sich der gute Wasmaun, wie er gewissenhaft berichtet, ver¬
geblich anstrengte, in eine andächtige Stimmung zu kommen. Mit köstlichem
Humor schildert er die Feier eines Shlvesterabends und die verschiedenartige
Wirkung des Weins auf die einzelnen Landsmannschaften: „Wir Hamburger
fingen an, wie Matrosen uns einander ans der Bank zu schieben und zu stoßen.
Etliche Oldenburger mit dickeren Geblüt blieben apathisch sitzen, die Rheinländer
und Düsseldorfer machten Gesichter wie die Recken der Nibelungen und übten
sich in kühnen, ritterlichen Stellungen. In einem Winkel der engen Stube
saß eine trauernde Gruppe gleich den Juden auf den Trümmern des Tempels.
Als ich näher kam, erkannte ich lauter Sachsen, deren einer, um die Ursache
des Leids befragt, untröstlich und laut schluchzend sagte: der beste Schüler
des Cornelius, ihr Landsmann, der Maler Hermann, sei bis dahin immer
verkannt und zurückgesetzt worden. Man hatte nämlich an diesem Abend seine
Gesundheit ausgebracht, worauf er sich beschämt in eine Ecke setzte und zu
weinen anfing. Auf dieses hinauf setzten sich seine Landsleute um ihn herum
und weinten ebenfalls." An diesem lustigen Sylvesterabend sah Wasmann


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231599"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein deutsches Kiinstlerleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1377" prev="#ID_1376"> Arbeiten zu legen, z. B. ein Peter Haß, ein Heidegger; der &#x201E;Troß der krassen<lb/>
Naturalisten" mußte sich bescheiden zurückhalten, solange noch Cornelius und<lb/>
seine Schüler als Autorität galten. Erst später wurden sie Herren des<lb/>
Gebietes. Neben Cornelius wirkten Schlotthauer, Schmorr und Heinrich Heß.<lb/>
Besonders das Lehrtalent des letzten hebt Wasmann rühmend hervor. Auf<lb/>
die Akademie war man nicht gut zu sprechen; auch Wasmann hielt sich von<lb/>
ihr fern nach dem Beispiel vieler andrer Künstler. Entweder versuchten diese<lb/>
auf eigne Faust, etwas zu lernen, oder sie traten nach alter guter Weise zu<lb/>
tüchtigen Meistern in ein Gesellen- oder Lehrlingsverhültnis. So verstand<lb/>
Heinrich Heß &#x201E;mit Takt und Sachkenntnis auf einfache Weise junge Leute zu<lb/>
Künstlern zu bilden, indem er sie ohne das Mittel der Akademie und lange<lb/>
Übergänge rasch in die praktische Übung der kirchlichen Kunst mitten hinein¬<lb/>
setzte, sie von Lehrbuben zu bessern Arbeitern aufsteigen ließ und endlich zu<lb/>
großen monumentalen Werken in der Kirche verwendete." Diese Stelle ist<lb/>
äußerst charakteristisch sür die Kunstzustünde der Cornelianischen Zeit. Was<lb/>
bei dem Studiengang der Kunstjünger von vornherein als Ziel feststand, war<lb/>
die Ausübung kirchlicher Kunst; man trennte die Kunst von Leben und Natur<lb/>
und machte sie zu einem Mittel kirchlicher Andachtsübnng; das klösterliche<lb/>
Leben des frommen Fr« Angelico schwebte auch vielen als das ideale Künstler¬<lb/>
dasein vor Augen, und mancher, der mit kindlich frommem Ernst zur Akademie<lb/>
zog, starb als Laienbruder in einem Kloster.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1378" next="#ID_1379"> Wasmann hielt sich an seine Hamburger Kunstgenossen, die, wie auch die<lb/>
übrigen, zu einer Art Landsmannschaft zusammentraten. Man feierte Weih¬<lb/>
nachten mit Tannenbaum, kleinen Geschenken, Karpfenschmaus und Punsch und<lb/>
machte dann die Runde durch die katholischen Kirchen, um die Christmette an¬<lb/>
zuhören, wobei sich der gute Wasmaun, wie er gewissenhaft berichtet, ver¬<lb/>
geblich anstrengte, in eine andächtige Stimmung zu kommen. Mit köstlichem<lb/>
Humor schildert er die Feier eines Shlvesterabends und die verschiedenartige<lb/>
Wirkung des Weins auf die einzelnen Landsmannschaften: &#x201E;Wir Hamburger<lb/>
fingen an, wie Matrosen uns einander ans der Bank zu schieben und zu stoßen.<lb/>
Etliche Oldenburger mit dickeren Geblüt blieben apathisch sitzen, die Rheinländer<lb/>
und Düsseldorfer machten Gesichter wie die Recken der Nibelungen und übten<lb/>
sich in kühnen, ritterlichen Stellungen. In einem Winkel der engen Stube<lb/>
saß eine trauernde Gruppe gleich den Juden auf den Trümmern des Tempels.<lb/>
Als ich näher kam, erkannte ich lauter Sachsen, deren einer, um die Ursache<lb/>
des Leids befragt, untröstlich und laut schluchzend sagte: der beste Schüler<lb/>
des Cornelius, ihr Landsmann, der Maler Hermann, sei bis dahin immer<lb/>
verkannt und zurückgesetzt worden. Man hatte nämlich an diesem Abend seine<lb/>
Gesundheit ausgebracht, worauf er sich beschämt in eine Ecke setzte und zu<lb/>
weinen anfing. Auf dieses hinauf setzten sich seine Landsleute um ihn herum<lb/>
und weinten ebenfalls."  An diesem lustigen Sylvesterabend sah Wasmann</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Ein deutsches Kiinstlerleben Arbeiten zu legen, z. B. ein Peter Haß, ein Heidegger; der „Troß der krassen Naturalisten" mußte sich bescheiden zurückhalten, solange noch Cornelius und seine Schüler als Autorität galten. Erst später wurden sie Herren des Gebietes. Neben Cornelius wirkten Schlotthauer, Schmorr und Heinrich Heß. Besonders das Lehrtalent des letzten hebt Wasmann rühmend hervor. Auf die Akademie war man nicht gut zu sprechen; auch Wasmann hielt sich von ihr fern nach dem Beispiel vieler andrer Künstler. Entweder versuchten diese auf eigne Faust, etwas zu lernen, oder sie traten nach alter guter Weise zu tüchtigen Meistern in ein Gesellen- oder Lehrlingsverhültnis. So verstand Heinrich Heß „mit Takt und Sachkenntnis auf einfache Weise junge Leute zu Künstlern zu bilden, indem er sie ohne das Mittel der Akademie und lange Übergänge rasch in die praktische Übung der kirchlichen Kunst mitten hinein¬ setzte, sie von Lehrbuben zu bessern Arbeitern aufsteigen ließ und endlich zu großen monumentalen Werken in der Kirche verwendete." Diese Stelle ist äußerst charakteristisch sür die Kunstzustünde der Cornelianischen Zeit. Was bei dem Studiengang der Kunstjünger von vornherein als Ziel feststand, war die Ausübung kirchlicher Kunst; man trennte die Kunst von Leben und Natur und machte sie zu einem Mittel kirchlicher Andachtsübnng; das klösterliche Leben des frommen Fr« Angelico schwebte auch vielen als das ideale Künstler¬ dasein vor Augen, und mancher, der mit kindlich frommem Ernst zur Akademie zog, starb als Laienbruder in einem Kloster. Wasmann hielt sich an seine Hamburger Kunstgenossen, die, wie auch die übrigen, zu einer Art Landsmannschaft zusammentraten. Man feierte Weih¬ nachten mit Tannenbaum, kleinen Geschenken, Karpfenschmaus und Punsch und machte dann die Runde durch die katholischen Kirchen, um die Christmette an¬ zuhören, wobei sich der gute Wasmaun, wie er gewissenhaft berichtet, ver¬ geblich anstrengte, in eine andächtige Stimmung zu kommen. Mit köstlichem Humor schildert er die Feier eines Shlvesterabends und die verschiedenartige Wirkung des Weins auf die einzelnen Landsmannschaften: „Wir Hamburger fingen an, wie Matrosen uns einander ans der Bank zu schieben und zu stoßen. Etliche Oldenburger mit dickeren Geblüt blieben apathisch sitzen, die Rheinländer und Düsseldorfer machten Gesichter wie die Recken der Nibelungen und übten sich in kühnen, ritterlichen Stellungen. In einem Winkel der engen Stube saß eine trauernde Gruppe gleich den Juden auf den Trümmern des Tempels. Als ich näher kam, erkannte ich lauter Sachsen, deren einer, um die Ursache des Leids befragt, untröstlich und laut schluchzend sagte: der beste Schüler des Cornelius, ihr Landsmann, der Maler Hermann, sei bis dahin immer verkannt und zurückgesetzt worden. Man hatte nämlich an diesem Abend seine Gesundheit ausgebracht, worauf er sich beschämt in eine Ecke setzte und zu weinen anfing. Auf dieses hinauf setzten sich seine Landsleute um ihn herum und weinten ebenfalls." An diesem lustigen Sylvesterabend sah Wasmann

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/429>, abgerufen am 15.01.2025.