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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

Kräften und Mitteln erleiden; wir müssen also sowohl schir-Ali als auch
alle unter seinem Einfluß stehenden Emirate zu einem Bündnis mit uns zu
veranlassen suchen. Für den Erfolg derartiger Unterhandlungen sprechen
folgende Umstände: a) der unverwischbare Eindruck der Niederlage der Eng¬
länder im Jahre 1842, b) das Mißtrauen gegen ihre Politik, das sich auch
darin ausspricht, daß schir-Ali heutzutage noch keinen ständigen englischen
Residenten bei sich zuläßt, o) die seit Urzeiten geltend gemachten Ansprüche der
Afghanen auf Peschawar, und was noch mehr bedeuten will, ihre Hoffnung,
das gelobte Land Indien nach Herzenslust ausplündern zu können. -- Unsre
Gesandtschaft müßte nach Karschi, Bates, Chuten und Kabul gehn; je nach dem
Erfolg ihrer Thätigkeit würde die Wahl unsrer Operationslinien entweder auf
Kabul oder auf Herat fallen.

2. Persien muß veranlaßt werden, seine Ansprüche auf Herat zu erneuern.
Das gäbe uns die Möglichkeit an die Hand, im Bedarfsfalle ein dein Schah
unterworfnes Land, vornehmlich Chorassan auszunutzen, würde aber, was noch
wichtiger ist, die Aufmerksamkeit und die Streitkrüfte der persischen Regierung
von unsrer Grenze am Arcixes ablenken; jetzt können unsre Feinde für den Fall
einer uus ungünstigen Gestaltung der Verhältnisse auf der kaukasisch-türkischen
Grenze oder in Kaukasien selbst im stillen auf jene hoffen. Bei einer Offensive
unsrerseits würde die persische Armee im Bunde mit uns in operativer Hin¬
sicht nur geringe Bedeutung haben, wohl aber das Land uns reichliche Trans¬
portmittel stellen können, denn die uralten Handelsbeziehungen Persiens zu
Herat und Kcindahar verfügen darüber."

An dritter Stelle erörtert Skobeljew die Stärke der Truppen, die Zu¬
sammensetzung der Bagagen und Beschaffung der Transportmittel des Osfensiv-
korps. Er hält für ausreichend, bei Ssamarkand 16000 Mann Infanterie
und Kavallerie nebst 60 Geschützen zu konzentrieren. Indem er einen halben
Monat Marsch bis Herat oder Kabul annimmt, verlangt er Zusammen¬
stellung von 70000 Pud Verpflegungsvorrüten auf dem Ann-Darja, ferner
12000 Kamele und 1500 zweirüdrige Karren. Sodann sollte eine Reserve
an Kavallerie formiert und für den Etappendienst verwandt werden. Sollte
sich schir-Ali nicht anschließen, so wären die Truppen Bucharas auf Andshui
und Meimana zu dirigieren, andernfalls Hütten sie gegen die Merw-Turkmenen
zu operieren, damit sie die Verbindungen im Rücken frei machten. So würden
nach Skobeljews Ansicht zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Lande immer
noch gegen 3000 Mann von den dort stehenden Truppen verfügbar bleiben.

Skobeljews Denkschrift hat seiner Zeit Beachtung gefunden. Wenn auch
nicht im Jahre 1876, so wurden doch später, noch vor dem Abschluß des
Berliner Vertrags, einige Detachements gebildet, die auf den drei Operations¬
linien auf Herat, Tschitral und Kabul vormarschieren sollten. Der Vormarsch
unterblieb, und infolge dessen konnte auch bei der Festsetzung der Bedingungen


Russen und Engländer in Zentralasien

Kräften und Mitteln erleiden; wir müssen also sowohl schir-Ali als auch
alle unter seinem Einfluß stehenden Emirate zu einem Bündnis mit uns zu
veranlassen suchen. Für den Erfolg derartiger Unterhandlungen sprechen
folgende Umstände: a) der unverwischbare Eindruck der Niederlage der Eng¬
länder im Jahre 1842, b) das Mißtrauen gegen ihre Politik, das sich auch
darin ausspricht, daß schir-Ali heutzutage noch keinen ständigen englischen
Residenten bei sich zuläßt, o) die seit Urzeiten geltend gemachten Ansprüche der
Afghanen auf Peschawar, und was noch mehr bedeuten will, ihre Hoffnung,
das gelobte Land Indien nach Herzenslust ausplündern zu können. — Unsre
Gesandtschaft müßte nach Karschi, Bates, Chuten und Kabul gehn; je nach dem
Erfolg ihrer Thätigkeit würde die Wahl unsrer Operationslinien entweder auf
Kabul oder auf Herat fallen.

2. Persien muß veranlaßt werden, seine Ansprüche auf Herat zu erneuern.
Das gäbe uns die Möglichkeit an die Hand, im Bedarfsfalle ein dein Schah
unterworfnes Land, vornehmlich Chorassan auszunutzen, würde aber, was noch
wichtiger ist, die Aufmerksamkeit und die Streitkrüfte der persischen Regierung
von unsrer Grenze am Arcixes ablenken; jetzt können unsre Feinde für den Fall
einer uus ungünstigen Gestaltung der Verhältnisse auf der kaukasisch-türkischen
Grenze oder in Kaukasien selbst im stillen auf jene hoffen. Bei einer Offensive
unsrerseits würde die persische Armee im Bunde mit uns in operativer Hin¬
sicht nur geringe Bedeutung haben, wohl aber das Land uns reichliche Trans¬
portmittel stellen können, denn die uralten Handelsbeziehungen Persiens zu
Herat und Kcindahar verfügen darüber."

An dritter Stelle erörtert Skobeljew die Stärke der Truppen, die Zu¬
sammensetzung der Bagagen und Beschaffung der Transportmittel des Osfensiv-
korps. Er hält für ausreichend, bei Ssamarkand 16000 Mann Infanterie
und Kavallerie nebst 60 Geschützen zu konzentrieren. Indem er einen halben
Monat Marsch bis Herat oder Kabul annimmt, verlangt er Zusammen¬
stellung von 70000 Pud Verpflegungsvorrüten auf dem Ann-Darja, ferner
12000 Kamele und 1500 zweirüdrige Karren. Sodann sollte eine Reserve
an Kavallerie formiert und für den Etappendienst verwandt werden. Sollte
sich schir-Ali nicht anschließen, so wären die Truppen Bucharas auf Andshui
und Meimana zu dirigieren, andernfalls Hütten sie gegen die Merw-Turkmenen
zu operieren, damit sie die Verbindungen im Rücken frei machten. So würden
nach Skobeljews Ansicht zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Lande immer
noch gegen 3000 Mann von den dort stehenden Truppen verfügbar bleiben.

Skobeljews Denkschrift hat seiner Zeit Beachtung gefunden. Wenn auch
nicht im Jahre 1876, so wurden doch später, noch vor dem Abschluß des
Berliner Vertrags, einige Detachements gebildet, die auf den drei Operations¬
linien auf Herat, Tschitral und Kabul vormarschieren sollten. Der Vormarsch
unterblieb, und infolge dessen konnte auch bei der Festsetzung der Bedingungen


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[0406] Russen und Engländer in Zentralasien Kräften und Mitteln erleiden; wir müssen also sowohl schir-Ali als auch alle unter seinem Einfluß stehenden Emirate zu einem Bündnis mit uns zu veranlassen suchen. Für den Erfolg derartiger Unterhandlungen sprechen folgende Umstände: a) der unverwischbare Eindruck der Niederlage der Eng¬ länder im Jahre 1842, b) das Mißtrauen gegen ihre Politik, das sich auch darin ausspricht, daß schir-Ali heutzutage noch keinen ständigen englischen Residenten bei sich zuläßt, o) die seit Urzeiten geltend gemachten Ansprüche der Afghanen auf Peschawar, und was noch mehr bedeuten will, ihre Hoffnung, das gelobte Land Indien nach Herzenslust ausplündern zu können. — Unsre Gesandtschaft müßte nach Karschi, Bates, Chuten und Kabul gehn; je nach dem Erfolg ihrer Thätigkeit würde die Wahl unsrer Operationslinien entweder auf Kabul oder auf Herat fallen. 2. Persien muß veranlaßt werden, seine Ansprüche auf Herat zu erneuern. Das gäbe uns die Möglichkeit an die Hand, im Bedarfsfalle ein dein Schah unterworfnes Land, vornehmlich Chorassan auszunutzen, würde aber, was noch wichtiger ist, die Aufmerksamkeit und die Streitkrüfte der persischen Regierung von unsrer Grenze am Arcixes ablenken; jetzt können unsre Feinde für den Fall einer uus ungünstigen Gestaltung der Verhältnisse auf der kaukasisch-türkischen Grenze oder in Kaukasien selbst im stillen auf jene hoffen. Bei einer Offensive unsrerseits würde die persische Armee im Bunde mit uns in operativer Hin¬ sicht nur geringe Bedeutung haben, wohl aber das Land uns reichliche Trans¬ portmittel stellen können, denn die uralten Handelsbeziehungen Persiens zu Herat und Kcindahar verfügen darüber." An dritter Stelle erörtert Skobeljew die Stärke der Truppen, die Zu¬ sammensetzung der Bagagen und Beschaffung der Transportmittel des Osfensiv- korps. Er hält für ausreichend, bei Ssamarkand 16000 Mann Infanterie und Kavallerie nebst 60 Geschützen zu konzentrieren. Indem er einen halben Monat Marsch bis Herat oder Kabul annimmt, verlangt er Zusammen¬ stellung von 70000 Pud Verpflegungsvorrüten auf dem Ann-Darja, ferner 12000 Kamele und 1500 zweirüdrige Karren. Sodann sollte eine Reserve an Kavallerie formiert und für den Etappendienst verwandt werden. Sollte sich schir-Ali nicht anschließen, so wären die Truppen Bucharas auf Andshui und Meimana zu dirigieren, andernfalls Hütten sie gegen die Merw-Turkmenen zu operieren, damit sie die Verbindungen im Rücken frei machten. So würden nach Skobeljews Ansicht zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Lande immer noch gegen 3000 Mann von den dort stehenden Truppen verfügbar bleiben. Skobeljews Denkschrift hat seiner Zeit Beachtung gefunden. Wenn auch nicht im Jahre 1876, so wurden doch später, noch vor dem Abschluß des Berliner Vertrags, einige Detachements gebildet, die auf den drei Operations¬ linien auf Herat, Tschitral und Kabul vormarschieren sollten. Der Vormarsch unterblieb, und infolge dessen konnte auch bei der Festsetzung der Bedingungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/406>, abgerufen am 15.01.2025.