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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

Jahre, als durch die Starke unsrer dort dislozierten Truppen gehalten. Es
unterliegt ferner keinem Zweifel, daß in den Augen der Engländer und in den
Augen aller Asiaten unser Ansehen schwindet, wenn bei der in Europa fallenden
Entscheidung der Geschicke unsers Vaterlandes Turkestan ein unbeteiligter Zu¬
schauer bleibt. Sobald jetzt unsre Truppen mit Hurra auf Asiaten einstürmen,
scheinen sie diesen Feuer zu speien; ein englischer Generalstabsoffizier bezeichnet
unsre Macht in Turkestan, die ja in unmittelbarer Verbindung mit Moskau
steht, als eine waffeustarrende Heerstraße. Was muß es aber für einen Ein¬
druck machen, wenn in der Stunde der Entscheidung unsre Feinde aus unsrer
Unthätigkeit ersehen, daß wir selbst nicht wissen oder vielmehr uicht versteh"
wollen, weshalb wir in Turkestan eingedrungen sind?"

Die Bildung eines Generalgouvernements Turkestan wäre der erste
Schritt dazu, die bisher des Zusammenhangs entbehrenden Vorstöße einzelner
Truppenführer für das große Ziel zu verwerten; vorbereitet ist der Weg zu
diesem Ziele durch die Eroberung von Chiwa und Kokan und durch die zehn¬
jährige Russifiziernng von Sscimarkand; nur dieses Ziel rechtfertigt unser Vor¬
dringen in Mittelasien, denn sonst wäre der Liebe Müh umsonst gewesen. Auch
der Umstand weist auf die Beteiligung Turkestans an den kommenden Er¬
eignissen hin, daß wir im Falle eines unglücklichen Kriegs Turkestan ganz
räumen oder uns dort wenigstens eine Verschlechterung unsrer Position ge¬
fallen lassen müssen. Wenn wir dagegen, selbst im Falle eines vollkommnen
Mißerfolgs, auf dem europäischen und asiatischen Kriegsschauplatze bewiesen
haben werden, wie ernstlich unsre heutige Stellung in Mittelasien den Gegner
bedroht, so kann sich Rußland, wenn es einen ungünstigen Frieden schließen
muß, durch die Abtretung von Turkestan, das alsdann im Preise gestiegen ist,
vorteilhaftere Bedingungen erkaufen.

"Eine Demonstration gegen die Engländer in Indien, fährt Skobeljew
fort, erscheint bei der heutigen politischen Konstellation und bei den Mitteln
der Kriegführung, über die wir verfügen, ganz gut ausführbar. Ich kann
natürlich nicht so unbescheiden sein, meine Ansicht über die Ausführung einer
so großartigen Unternehmung als einzig richtig hinzustellen, glaubte jedoch
mit nachfolgenden Bemerkungen dem Interesse unsers Vaterlandes zu dienen.
Überhaupt habe ich mich zu dieser Frage nur äußern wollen, um Eurer
Hohen Exzellenz (dem General Kaufmann) die Ansichten von Engländern zur
Kenntnis zu bringen, die sich speziell damit beschäftigt haben und zweifellos
in ihrem Vaterland als Autorität gelten. Die Schlüsse ergeben sich daraus
von selbst; sie sind gewissermaßen auch die Antwort auf die Äußerungen unsrer
Feinde:

1. Wir müßten möglichst bald eine Gesandtschaft nach Kabul schicken, denn
es ist mindestens wünschenswert, daß wir im Falle einer Offensivbewegung
durch keinerlei Zufälligkeiten aufgehalten werden und keinerlei Einbuße an


Russen und Engländer in Zentralasien

Jahre, als durch die Starke unsrer dort dislozierten Truppen gehalten. Es
unterliegt ferner keinem Zweifel, daß in den Augen der Engländer und in den
Augen aller Asiaten unser Ansehen schwindet, wenn bei der in Europa fallenden
Entscheidung der Geschicke unsers Vaterlandes Turkestan ein unbeteiligter Zu¬
schauer bleibt. Sobald jetzt unsre Truppen mit Hurra auf Asiaten einstürmen,
scheinen sie diesen Feuer zu speien; ein englischer Generalstabsoffizier bezeichnet
unsre Macht in Turkestan, die ja in unmittelbarer Verbindung mit Moskau
steht, als eine waffeustarrende Heerstraße. Was muß es aber für einen Ein¬
druck machen, wenn in der Stunde der Entscheidung unsre Feinde aus unsrer
Unthätigkeit ersehen, daß wir selbst nicht wissen oder vielmehr uicht versteh»
wollen, weshalb wir in Turkestan eingedrungen sind?"

Die Bildung eines Generalgouvernements Turkestan wäre der erste
Schritt dazu, die bisher des Zusammenhangs entbehrenden Vorstöße einzelner
Truppenführer für das große Ziel zu verwerten; vorbereitet ist der Weg zu
diesem Ziele durch die Eroberung von Chiwa und Kokan und durch die zehn¬
jährige Russifiziernng von Sscimarkand; nur dieses Ziel rechtfertigt unser Vor¬
dringen in Mittelasien, denn sonst wäre der Liebe Müh umsonst gewesen. Auch
der Umstand weist auf die Beteiligung Turkestans an den kommenden Er¬
eignissen hin, daß wir im Falle eines unglücklichen Kriegs Turkestan ganz
räumen oder uns dort wenigstens eine Verschlechterung unsrer Position ge¬
fallen lassen müssen. Wenn wir dagegen, selbst im Falle eines vollkommnen
Mißerfolgs, auf dem europäischen und asiatischen Kriegsschauplatze bewiesen
haben werden, wie ernstlich unsre heutige Stellung in Mittelasien den Gegner
bedroht, so kann sich Rußland, wenn es einen ungünstigen Frieden schließen
muß, durch die Abtretung von Turkestan, das alsdann im Preise gestiegen ist,
vorteilhaftere Bedingungen erkaufen.

„Eine Demonstration gegen die Engländer in Indien, fährt Skobeljew
fort, erscheint bei der heutigen politischen Konstellation und bei den Mitteln
der Kriegführung, über die wir verfügen, ganz gut ausführbar. Ich kann
natürlich nicht so unbescheiden sein, meine Ansicht über die Ausführung einer
so großartigen Unternehmung als einzig richtig hinzustellen, glaubte jedoch
mit nachfolgenden Bemerkungen dem Interesse unsers Vaterlandes zu dienen.
Überhaupt habe ich mich zu dieser Frage nur äußern wollen, um Eurer
Hohen Exzellenz (dem General Kaufmann) die Ansichten von Engländern zur
Kenntnis zu bringen, die sich speziell damit beschäftigt haben und zweifellos
in ihrem Vaterland als Autorität gelten. Die Schlüsse ergeben sich daraus
von selbst; sie sind gewissermaßen auch die Antwort auf die Äußerungen unsrer
Feinde:

1. Wir müßten möglichst bald eine Gesandtschaft nach Kabul schicken, denn
es ist mindestens wünschenswert, daß wir im Falle einer Offensivbewegung
durch keinerlei Zufälligkeiten aufgehalten werden und keinerlei Einbuße an


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[0405] Russen und Engländer in Zentralasien Jahre, als durch die Starke unsrer dort dislozierten Truppen gehalten. Es unterliegt ferner keinem Zweifel, daß in den Augen der Engländer und in den Augen aller Asiaten unser Ansehen schwindet, wenn bei der in Europa fallenden Entscheidung der Geschicke unsers Vaterlandes Turkestan ein unbeteiligter Zu¬ schauer bleibt. Sobald jetzt unsre Truppen mit Hurra auf Asiaten einstürmen, scheinen sie diesen Feuer zu speien; ein englischer Generalstabsoffizier bezeichnet unsre Macht in Turkestan, die ja in unmittelbarer Verbindung mit Moskau steht, als eine waffeustarrende Heerstraße. Was muß es aber für einen Ein¬ druck machen, wenn in der Stunde der Entscheidung unsre Feinde aus unsrer Unthätigkeit ersehen, daß wir selbst nicht wissen oder vielmehr uicht versteh» wollen, weshalb wir in Turkestan eingedrungen sind?" Die Bildung eines Generalgouvernements Turkestan wäre der erste Schritt dazu, die bisher des Zusammenhangs entbehrenden Vorstöße einzelner Truppenführer für das große Ziel zu verwerten; vorbereitet ist der Weg zu diesem Ziele durch die Eroberung von Chiwa und Kokan und durch die zehn¬ jährige Russifiziernng von Sscimarkand; nur dieses Ziel rechtfertigt unser Vor¬ dringen in Mittelasien, denn sonst wäre der Liebe Müh umsonst gewesen. Auch der Umstand weist auf die Beteiligung Turkestans an den kommenden Er¬ eignissen hin, daß wir im Falle eines unglücklichen Kriegs Turkestan ganz räumen oder uns dort wenigstens eine Verschlechterung unsrer Position ge¬ fallen lassen müssen. Wenn wir dagegen, selbst im Falle eines vollkommnen Mißerfolgs, auf dem europäischen und asiatischen Kriegsschauplatze bewiesen haben werden, wie ernstlich unsre heutige Stellung in Mittelasien den Gegner bedroht, so kann sich Rußland, wenn es einen ungünstigen Frieden schließen muß, durch die Abtretung von Turkestan, das alsdann im Preise gestiegen ist, vorteilhaftere Bedingungen erkaufen. „Eine Demonstration gegen die Engländer in Indien, fährt Skobeljew fort, erscheint bei der heutigen politischen Konstellation und bei den Mitteln der Kriegführung, über die wir verfügen, ganz gut ausführbar. Ich kann natürlich nicht so unbescheiden sein, meine Ansicht über die Ausführung einer so großartigen Unternehmung als einzig richtig hinzustellen, glaubte jedoch mit nachfolgenden Bemerkungen dem Interesse unsers Vaterlandes zu dienen. Überhaupt habe ich mich zu dieser Frage nur äußern wollen, um Eurer Hohen Exzellenz (dem General Kaufmann) die Ansichten von Engländern zur Kenntnis zu bringen, die sich speziell damit beschäftigt haben und zweifellos in ihrem Vaterland als Autorität gelten. Die Schlüsse ergeben sich daraus von selbst; sie sind gewissermaßen auch die Antwort auf die Äußerungen unsrer Feinde: 1. Wir müßten möglichst bald eine Gesandtschaft nach Kabul schicken, denn es ist mindestens wünschenswert, daß wir im Falle einer Offensivbewegung durch keinerlei Zufälligkeiten aufgehalten werden und keinerlei Einbuße an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/405>, abgerufen am 15.01.2025.