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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasie"

für den Frieden mit der Türkei kein wirksamer Druck ausgeübt werden. Der
Feldzug von 1880/81 befestigte, wie ja auch nicht anders zu erwarten war,
Skobeljew in seinen Ansichten über die Lösung der orientalischen Frage.

"Ohne eine ernsthafte Demonstration gegen Indien, schreibt er dem ver¬
storbnen Katkow, etwa in der Richtung auf Kandahar ist ein Krieg um die
Balkanhalbinsel undenkbar. Die Vorhalle des Kriegstheaters wird im Falle
so schwerer Verwicklungen wie im Jahre 1878 zweifellos der jetzt eroberte
Landstrich sein, wozu wir anstreben müssen, in Persten einen allein aus¬
schlaggebenden Einfluß zu gewinnen."


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Früher schrieben in Rußland nur Staatsmänner und Generale über einen
Kriegszug nach Indien; seit Skobeljew ist diese Frage populärer geworden
und beschäftigt besonders auch den militärischen Nachwuchs. Voriges Jahr
erschien z. V. eine Broschüre unter dem Titel: "Nach Indien," worin der
junge Verfasser, Lebedjew, einen ziemlich eingehenden Kriegsplan entwirft. Hat
dieser Plan auch nur rein theoretische" Wert, so ist aus der Schrift doch
zu ersehen, daß dem Verfasser ein reichliches gedrucktes Material zur Ver¬
fügung gestanden hat, in das er sich mit großem Eifer vertieft hat.

Die Untersuchung Lebedjews ist auch deshalb nicht ohne Wert, weil der
Verfasser zu der Überzeugung gelangt ist, daß ein Kriegszug nach Indien nicht
so leicht sei und jedenfalls recht große Opfer an Menschen und Geldmitteln
erheischt. Es ist dies um so beachtenswerter schon aus dem Grunde, weil
wir jetzt über eine lange Eisenbahnlinie verfügen, näher an Indien heran¬
gerückt sind und genauere Kenntnisse über die an die indische Grenze führenden
Straßen erworben haben, um so beachtenswerter, weil vor nicht gar zu langer
Zeit General Stoljetow (in einer Denkschrift vom 16./28. Mai 1870) einen
Vormarsch mit sechs Regimentern Infanterie und sechs Regimentern Kavallerie
vom Kaukasus aus an den Indus für ausführbar hielt, wofern er nur von
Turkestan aus durch eine Scheinbewegung unterstützt würde.

Der Versasser geht bei seineu Auseinandersetzungen, um seine Aufgabe zu
vereinfachen, von der Annahme aus, daß mit England allein Krieg geführt
werde, und spart in seinen Berechnungen nicht an Truppen. Von den trans¬
kaspischen Grenzen Rußlands bis zum Indus beträgt die Entfernung 1500 Werst.
Dieses ganze Gebiet will der Verfasser nicht auf einmal durchschreiten, sondern,
da er alle möglichen hindernden Umstände berücksichtigen zu müssen glaubt,
im Verlauf dreier Feldzüge nehmen.

Zuerst wird Herat besetzt, dort eine feste Operationsbasis geschaffen, mit
der transkaspischen Eisenbahn vereinigt und der Schienenweg bis Farcch ver¬
längert. Nunmehr sucht man Afghanistan in unsre Einflußsphäre zu ziehen
und dressiert es für die Rolle eines Verbündeten bei weiteren Fortschreiten der


Russen und Engländer in Zentralasie»

für den Frieden mit der Türkei kein wirksamer Druck ausgeübt werden. Der
Feldzug von 1880/81 befestigte, wie ja auch nicht anders zu erwarten war,
Skobeljew in seinen Ansichten über die Lösung der orientalischen Frage.

„Ohne eine ernsthafte Demonstration gegen Indien, schreibt er dem ver¬
storbnen Katkow, etwa in der Richtung auf Kandahar ist ein Krieg um die
Balkanhalbinsel undenkbar. Die Vorhalle des Kriegstheaters wird im Falle
so schwerer Verwicklungen wie im Jahre 1878 zweifellos der jetzt eroberte
Landstrich sein, wozu wir anstreben müssen, in Persten einen allein aus¬
schlaggebenden Einfluß zu gewinnen."


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Früher schrieben in Rußland nur Staatsmänner und Generale über einen
Kriegszug nach Indien; seit Skobeljew ist diese Frage populärer geworden
und beschäftigt besonders auch den militärischen Nachwuchs. Voriges Jahr
erschien z. V. eine Broschüre unter dem Titel: „Nach Indien," worin der
junge Verfasser, Lebedjew, einen ziemlich eingehenden Kriegsplan entwirft. Hat
dieser Plan auch nur rein theoretische» Wert, so ist aus der Schrift doch
zu ersehen, daß dem Verfasser ein reichliches gedrucktes Material zur Ver¬
fügung gestanden hat, in das er sich mit großem Eifer vertieft hat.

Die Untersuchung Lebedjews ist auch deshalb nicht ohne Wert, weil der
Verfasser zu der Überzeugung gelangt ist, daß ein Kriegszug nach Indien nicht
so leicht sei und jedenfalls recht große Opfer an Menschen und Geldmitteln
erheischt. Es ist dies um so beachtenswerter schon aus dem Grunde, weil
wir jetzt über eine lange Eisenbahnlinie verfügen, näher an Indien heran¬
gerückt sind und genauere Kenntnisse über die an die indische Grenze führenden
Straßen erworben haben, um so beachtenswerter, weil vor nicht gar zu langer
Zeit General Stoljetow (in einer Denkschrift vom 16./28. Mai 1870) einen
Vormarsch mit sechs Regimentern Infanterie und sechs Regimentern Kavallerie
vom Kaukasus aus an den Indus für ausführbar hielt, wofern er nur von
Turkestan aus durch eine Scheinbewegung unterstützt würde.

Der Versasser geht bei seineu Auseinandersetzungen, um seine Aufgabe zu
vereinfachen, von der Annahme aus, daß mit England allein Krieg geführt
werde, und spart in seinen Berechnungen nicht an Truppen. Von den trans¬
kaspischen Grenzen Rußlands bis zum Indus beträgt die Entfernung 1500 Werst.
Dieses ganze Gebiet will der Verfasser nicht auf einmal durchschreiten, sondern,
da er alle möglichen hindernden Umstände berücksichtigen zu müssen glaubt,
im Verlauf dreier Feldzüge nehmen.

Zuerst wird Herat besetzt, dort eine feste Operationsbasis geschaffen, mit
der transkaspischen Eisenbahn vereinigt und der Schienenweg bis Farcch ver¬
längert. Nunmehr sucht man Afghanistan in unsre Einflußsphäre zu ziehen
und dressiert es für die Rolle eines Verbündeten bei weiteren Fortschreiten der


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[0407] Russen und Engländer in Zentralasie» für den Frieden mit der Türkei kein wirksamer Druck ausgeübt werden. Der Feldzug von 1880/81 befestigte, wie ja auch nicht anders zu erwarten war, Skobeljew in seinen Ansichten über die Lösung der orientalischen Frage. „Ohne eine ernsthafte Demonstration gegen Indien, schreibt er dem ver¬ storbnen Katkow, etwa in der Richtung auf Kandahar ist ein Krieg um die Balkanhalbinsel undenkbar. Die Vorhalle des Kriegstheaters wird im Falle so schwerer Verwicklungen wie im Jahre 1878 zweifellos der jetzt eroberte Landstrich sein, wozu wir anstreben müssen, in Persten einen allein aus¬ schlaggebenden Einfluß zu gewinnen." 3 Früher schrieben in Rußland nur Staatsmänner und Generale über einen Kriegszug nach Indien; seit Skobeljew ist diese Frage populärer geworden und beschäftigt besonders auch den militärischen Nachwuchs. Voriges Jahr erschien z. V. eine Broschüre unter dem Titel: „Nach Indien," worin der junge Verfasser, Lebedjew, einen ziemlich eingehenden Kriegsplan entwirft. Hat dieser Plan auch nur rein theoretische» Wert, so ist aus der Schrift doch zu ersehen, daß dem Verfasser ein reichliches gedrucktes Material zur Ver¬ fügung gestanden hat, in das er sich mit großem Eifer vertieft hat. Die Untersuchung Lebedjews ist auch deshalb nicht ohne Wert, weil der Verfasser zu der Überzeugung gelangt ist, daß ein Kriegszug nach Indien nicht so leicht sei und jedenfalls recht große Opfer an Menschen und Geldmitteln erheischt. Es ist dies um so beachtenswerter schon aus dem Grunde, weil wir jetzt über eine lange Eisenbahnlinie verfügen, näher an Indien heran¬ gerückt sind und genauere Kenntnisse über die an die indische Grenze führenden Straßen erworben haben, um so beachtenswerter, weil vor nicht gar zu langer Zeit General Stoljetow (in einer Denkschrift vom 16./28. Mai 1870) einen Vormarsch mit sechs Regimentern Infanterie und sechs Regimentern Kavallerie vom Kaukasus aus an den Indus für ausführbar hielt, wofern er nur von Turkestan aus durch eine Scheinbewegung unterstützt würde. Der Versasser geht bei seineu Auseinandersetzungen, um seine Aufgabe zu vereinfachen, von der Annahme aus, daß mit England allein Krieg geführt werde, und spart in seinen Berechnungen nicht an Truppen. Von den trans¬ kaspischen Grenzen Rußlands bis zum Indus beträgt die Entfernung 1500 Werst. Dieses ganze Gebiet will der Verfasser nicht auf einmal durchschreiten, sondern, da er alle möglichen hindernden Umstände berücksichtigen zu müssen glaubt, im Verlauf dreier Feldzüge nehmen. Zuerst wird Herat besetzt, dort eine feste Operationsbasis geschaffen, mit der transkaspischen Eisenbahn vereinigt und der Schienenweg bis Farcch ver¬ längert. Nunmehr sucht man Afghanistan in unsre Einflußsphäre zu ziehen und dressiert es für die Rolle eines Verbündeten bei weiteren Fortschreiten der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/407>, abgerufen am 15.01.2025.