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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Samoa

Um den Keim internationalen Unfriedens ein für allemal aus der Welt
zu schaffen, läge es am nächsten, daß sich die drei Vertragsmächte darüber
einigten, welche von ihnen dieses kleine Stückchen kolonialen Besitzes über¬
nehmen sollte. Bei dem, was sich nach reiflicher gegenseitiger Überlegung als
das verständige erweisen würde, käme nichts von der "nationalen Ehre" in
Mitbetracht, mit der "patriotisch exaltierter Enthusiasmus oder parteiisch ver¬
bittertes Gesetz unbefugterweise umher zu flunkern beliebt." "Ist die Ehre
verpfändet, so hat man sie einzulösen; aber so lange sie mit der Sache über¬
haupt noch nichts zu thun hat, wird der Verständige sich besser hüten, sie bis
zu einem Ehrenpunkt zuzuspitzen, wo es dann zu spät sein könnte, die Konse¬
quenzen abzulehnen."

Sofern es sich um eine Aufteilung der Samoainseln handeln sollte, würden
-- mich Bastians optimistischer Auffassung von den noch immer fortdauernden
Einflüssen imperialistischer Verrücktheit jenseits des Atlantischen Meeres -- die
Amerikaner "vermutlich nicht mitthun wollen." Der Vorgeschmack kolonialen
Besitzes, der ihnen von den Philippinen her noch auf der Zunge prickle, dürfte
ihnen den Appetit, so glaubt er, ähnlich verdorben haben, wie den Italienern
ihre erythräischen Erfahrungen. Den amerikanischen Ansprüchen würde voraus¬
sichtlich mit ihrer Kohlenstation Pago-Pago auf Tuituila im Träte der austra¬
lisch-kalifornischen Dampferlinie genügt sein. Es käme also in der Hauptsache
auf ein Abkommen zwischen England und Deutschland hinaus, wobei Deutsch¬
land "aus alten Anrechten und weitem Überwiegen der kommerziell faktischen
Interessen" ein Vorrecht oder ein Vorrang auch von sachkundigen Engländern
zugestanden werde. Eingewandt werde andrerseits gegen die Überlassung an
Deutschland, daß Samoa in deutschem Besitz "den Anlaß zu fernern inter¬
nationalen Verwicklungen weniger radikal beseitigen würde, als wenn dieses
Fleckchen Erde mit dem in dortiger Örtlichkeit überwiegenden Besitzstand Eng¬
lands vereinigt wäre." Die Inseln würden nun einmal von den australischen
Kolonien als im Vereich ihrer geographisch umzogner Interessensphäre liegend
betrachtet, und bei jedem Anlaß würde von ihnen durch Querulieren dem bri¬
tischen Mutterlande die Hölle heiß gemacht werden. Vielleicht wäre es vor¬
sichtiger, sich den daraus zu erwartenden Unannehmlichkeiten zu entziehen,
zumal da den deutschen kommerziellen Interessen, ans die es hierbei vorwiegend
ankomme, genügend Rechnung getragen werden könnte durch die Zusicherung
begünstigender Privilegien für den deutscheu Handel durch die zukünftige Regie¬
rung. Und bei der mit der Herstellung des zentralamerikanischen Durchstichs
vielleicht zu verankerten Steigerung der Bedeutung Samoas für den ozea-
nischen Seeverkehr könnte sich auch Deutschland dort eine Flotten- und
Kohlenstation reservieren. So sprächen Gründe sowohl für deutschen wie für
englischen Besitz, und bei den schwebenden Verhandlungen könnte das weitere
dein Scharfblick der leitenden Staatsmänner überlassen werden. Es läge zur
Zeit alles in den besten Händen, und gerade weil früher oder später einmal


Samoa

Um den Keim internationalen Unfriedens ein für allemal aus der Welt
zu schaffen, läge es am nächsten, daß sich die drei Vertragsmächte darüber
einigten, welche von ihnen dieses kleine Stückchen kolonialen Besitzes über¬
nehmen sollte. Bei dem, was sich nach reiflicher gegenseitiger Überlegung als
das verständige erweisen würde, käme nichts von der „nationalen Ehre" in
Mitbetracht, mit der „patriotisch exaltierter Enthusiasmus oder parteiisch ver¬
bittertes Gesetz unbefugterweise umher zu flunkern beliebt." „Ist die Ehre
verpfändet, so hat man sie einzulösen; aber so lange sie mit der Sache über¬
haupt noch nichts zu thun hat, wird der Verständige sich besser hüten, sie bis
zu einem Ehrenpunkt zuzuspitzen, wo es dann zu spät sein könnte, die Konse¬
quenzen abzulehnen."

Sofern es sich um eine Aufteilung der Samoainseln handeln sollte, würden
— mich Bastians optimistischer Auffassung von den noch immer fortdauernden
Einflüssen imperialistischer Verrücktheit jenseits des Atlantischen Meeres — die
Amerikaner „vermutlich nicht mitthun wollen." Der Vorgeschmack kolonialen
Besitzes, der ihnen von den Philippinen her noch auf der Zunge prickle, dürfte
ihnen den Appetit, so glaubt er, ähnlich verdorben haben, wie den Italienern
ihre erythräischen Erfahrungen. Den amerikanischen Ansprüchen würde voraus¬
sichtlich mit ihrer Kohlenstation Pago-Pago auf Tuituila im Träte der austra¬
lisch-kalifornischen Dampferlinie genügt sein. Es käme also in der Hauptsache
auf ein Abkommen zwischen England und Deutschland hinaus, wobei Deutsch¬
land „aus alten Anrechten und weitem Überwiegen der kommerziell faktischen
Interessen" ein Vorrecht oder ein Vorrang auch von sachkundigen Engländern
zugestanden werde. Eingewandt werde andrerseits gegen die Überlassung an
Deutschland, daß Samoa in deutschem Besitz „den Anlaß zu fernern inter¬
nationalen Verwicklungen weniger radikal beseitigen würde, als wenn dieses
Fleckchen Erde mit dem in dortiger Örtlichkeit überwiegenden Besitzstand Eng¬
lands vereinigt wäre." Die Inseln würden nun einmal von den australischen
Kolonien als im Vereich ihrer geographisch umzogner Interessensphäre liegend
betrachtet, und bei jedem Anlaß würde von ihnen durch Querulieren dem bri¬
tischen Mutterlande die Hölle heiß gemacht werden. Vielleicht wäre es vor¬
sichtiger, sich den daraus zu erwartenden Unannehmlichkeiten zu entziehen,
zumal da den deutschen kommerziellen Interessen, ans die es hierbei vorwiegend
ankomme, genügend Rechnung getragen werden könnte durch die Zusicherung
begünstigender Privilegien für den deutscheu Handel durch die zukünftige Regie¬
rung. Und bei der mit der Herstellung des zentralamerikanischen Durchstichs
vielleicht zu verankerten Steigerung der Bedeutung Samoas für den ozea-
nischen Seeverkehr könnte sich auch Deutschland dort eine Flotten- und
Kohlenstation reservieren. So sprächen Gründe sowohl für deutschen wie für
englischen Besitz, und bei den schwebenden Verhandlungen könnte das weitere
dein Scharfblick der leitenden Staatsmänner überlassen werden. Es läge zur
Zeit alles in den besten Händen, und gerade weil früher oder später einmal


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[0395] Samoa Um den Keim internationalen Unfriedens ein für allemal aus der Welt zu schaffen, läge es am nächsten, daß sich die drei Vertragsmächte darüber einigten, welche von ihnen dieses kleine Stückchen kolonialen Besitzes über¬ nehmen sollte. Bei dem, was sich nach reiflicher gegenseitiger Überlegung als das verständige erweisen würde, käme nichts von der „nationalen Ehre" in Mitbetracht, mit der „patriotisch exaltierter Enthusiasmus oder parteiisch ver¬ bittertes Gesetz unbefugterweise umher zu flunkern beliebt." „Ist die Ehre verpfändet, so hat man sie einzulösen; aber so lange sie mit der Sache über¬ haupt noch nichts zu thun hat, wird der Verständige sich besser hüten, sie bis zu einem Ehrenpunkt zuzuspitzen, wo es dann zu spät sein könnte, die Konse¬ quenzen abzulehnen." Sofern es sich um eine Aufteilung der Samoainseln handeln sollte, würden — mich Bastians optimistischer Auffassung von den noch immer fortdauernden Einflüssen imperialistischer Verrücktheit jenseits des Atlantischen Meeres — die Amerikaner „vermutlich nicht mitthun wollen." Der Vorgeschmack kolonialen Besitzes, der ihnen von den Philippinen her noch auf der Zunge prickle, dürfte ihnen den Appetit, so glaubt er, ähnlich verdorben haben, wie den Italienern ihre erythräischen Erfahrungen. Den amerikanischen Ansprüchen würde voraus¬ sichtlich mit ihrer Kohlenstation Pago-Pago auf Tuituila im Träte der austra¬ lisch-kalifornischen Dampferlinie genügt sein. Es käme also in der Hauptsache auf ein Abkommen zwischen England und Deutschland hinaus, wobei Deutsch¬ land „aus alten Anrechten und weitem Überwiegen der kommerziell faktischen Interessen" ein Vorrecht oder ein Vorrang auch von sachkundigen Engländern zugestanden werde. Eingewandt werde andrerseits gegen die Überlassung an Deutschland, daß Samoa in deutschem Besitz „den Anlaß zu fernern inter¬ nationalen Verwicklungen weniger radikal beseitigen würde, als wenn dieses Fleckchen Erde mit dem in dortiger Örtlichkeit überwiegenden Besitzstand Eng¬ lands vereinigt wäre." Die Inseln würden nun einmal von den australischen Kolonien als im Vereich ihrer geographisch umzogner Interessensphäre liegend betrachtet, und bei jedem Anlaß würde von ihnen durch Querulieren dem bri¬ tischen Mutterlande die Hölle heiß gemacht werden. Vielleicht wäre es vor¬ sichtiger, sich den daraus zu erwartenden Unannehmlichkeiten zu entziehen, zumal da den deutschen kommerziellen Interessen, ans die es hierbei vorwiegend ankomme, genügend Rechnung getragen werden könnte durch die Zusicherung begünstigender Privilegien für den deutscheu Handel durch die zukünftige Regie¬ rung. Und bei der mit der Herstellung des zentralamerikanischen Durchstichs vielleicht zu verankerten Steigerung der Bedeutung Samoas für den ozea- nischen Seeverkehr könnte sich auch Deutschland dort eine Flotten- und Kohlenstation reservieren. So sprächen Gründe sowohl für deutschen wie für englischen Besitz, und bei den schwebenden Verhandlungen könnte das weitere dein Scharfblick der leitenden Staatsmänner überlassen werden. Es läge zur Zeit alles in den besten Händen, und gerade weil früher oder später einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/395>, abgerufen am 15.01.2025.