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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

Kneipenpatriotismus entsprungen waren, der nur in einer ganz engen Atmo¬
sphäre gedeiht. Diese hat aber nie auf die Dauer unserm atlantischen Stnrm-
klima Stand gehalten. Es ist ein großer Fortschritt, daß sich der überseeische
Deutsche in die Vorstellung einlebt, Deutschland sei so gut wie England kraft
seiner Lebensinteressen überall auf der Welt, wo Deutsche leben. Wo der
Deutsche seinem alten Lande die Lösung weltpolitischer Aufgaben zutraut, hat
seine Vereinzelung aufgehört, und sein Nationalgefühl ist nicht mehr ein
Pflünzchen unter Glas, das mit kleinlicher Sorge mühsam gehegt werden muß.

Warum sollten wir es nicht offen bekennen, daß die große Mehrzahl der
Deutschen in den Vereinigten Staaten im Grunde nie so recht an ihre volle
politische Gleichberechtigung mit den Anglolelten geglaubt, sie nicht mit dem
Feuer herzlicher Überzeugung angestrebt hat? Sie sind politisch anders an¬
gelegt, können politisch nicht dasselbe und mit denselben Mitteln wollen.
Selbst ein Karl Schurz, als Redner bewundert und bewundernswert, ist nicht
ganz der Politiker, wie er für Amerika sein müßte. Man müßte den Deutschen
viel gründlicher ausgezogen haben, daß man ganz sicher im Tritt mit den
Amerikanern zu marschieren vermag. Das gelingt nur den Deutschen der
dritten und vierten Generation, an denen dann leider nur noch der Name
deutsch ist, der Name Astor, Kautz, Havemeyer und so weiter. Es hangt
mit ganz guten Elementen des deutschen Charakters zusammen, daß wir
keine lebhaften Bewunderer der Politik als Handwerk sind, und demgemäß
in der handwerksmäßigen Politik, wie sie in den parlamentarischen Staaten
West- und Mitteleuropas betrieben wird, übrigens auch in der lebhaftern,
gewaltthätigern und spannenden Innenpolitik der Vereinigten Staaten keine
großen Anstrengungen machen. Diese Politik ist zu dilettantisch, zu phrasen¬
haft, als daß dem ehrlichen Deutschen so recht wohl in dem rasselnden
Betrieb dieser Mühle werden könnte, von der man Mirza Schaffhs Wort ge¬
brauchen möchte: Das Klappern der Ruder höre ich Wohl, aber ich sehe kein
Mehl. Der Deutsche hat Interesse für die lokale Politik der Gemeinde des
Bezirks, des kleinen Staats, wo er die Verhältnisse kennt und überschaut;
hier entwickelt er sogar manchmal eine unverhältnismäßig große Leidenschaft,
die höherer Siegespreise würdig wäre. Aber den Blick fürs Große des Staates
glaubt er seinen Staatsmännern, seinen erprobten Beamten überlassen zu
können. Diese bequeme Auffassung führt indessen zu Übeln Ausgängen. Des¬
wegen vertritt der minder gebildete Jrlcinder den gebildeten Deutschen in den
Legislaturen der Vereinigten Staaten, und wenn je ein Deutscher, wie Karl
Schurz, mit in den Vordergrund tritt, sind seine Landsleute unter denen, die
ihn schmähen und nicht versteh" wollen. Darum vertritt eben der Magyar
im Pester Reichstag die Millionen von Deutschen des Bauens, Westungarns
und der Zips. Selbst in Preußen, wo zweifellos das Staatsbewußtsein der
Deutschen eine höhere Stufe erstiegen hat als je vorher im ganzen Verlauf


Briefe eines Zurückgekehrten

Kneipenpatriotismus entsprungen waren, der nur in einer ganz engen Atmo¬
sphäre gedeiht. Diese hat aber nie auf die Dauer unserm atlantischen Stnrm-
klima Stand gehalten. Es ist ein großer Fortschritt, daß sich der überseeische
Deutsche in die Vorstellung einlebt, Deutschland sei so gut wie England kraft
seiner Lebensinteressen überall auf der Welt, wo Deutsche leben. Wo der
Deutsche seinem alten Lande die Lösung weltpolitischer Aufgaben zutraut, hat
seine Vereinzelung aufgehört, und sein Nationalgefühl ist nicht mehr ein
Pflünzchen unter Glas, das mit kleinlicher Sorge mühsam gehegt werden muß.

Warum sollten wir es nicht offen bekennen, daß die große Mehrzahl der
Deutschen in den Vereinigten Staaten im Grunde nie so recht an ihre volle
politische Gleichberechtigung mit den Anglolelten geglaubt, sie nicht mit dem
Feuer herzlicher Überzeugung angestrebt hat? Sie sind politisch anders an¬
gelegt, können politisch nicht dasselbe und mit denselben Mitteln wollen.
Selbst ein Karl Schurz, als Redner bewundert und bewundernswert, ist nicht
ganz der Politiker, wie er für Amerika sein müßte. Man müßte den Deutschen
viel gründlicher ausgezogen haben, daß man ganz sicher im Tritt mit den
Amerikanern zu marschieren vermag. Das gelingt nur den Deutschen der
dritten und vierten Generation, an denen dann leider nur noch der Name
deutsch ist, der Name Astor, Kautz, Havemeyer und so weiter. Es hangt
mit ganz guten Elementen des deutschen Charakters zusammen, daß wir
keine lebhaften Bewunderer der Politik als Handwerk sind, und demgemäß
in der handwerksmäßigen Politik, wie sie in den parlamentarischen Staaten
West- und Mitteleuropas betrieben wird, übrigens auch in der lebhaftern,
gewaltthätigern und spannenden Innenpolitik der Vereinigten Staaten keine
großen Anstrengungen machen. Diese Politik ist zu dilettantisch, zu phrasen¬
haft, als daß dem ehrlichen Deutschen so recht wohl in dem rasselnden
Betrieb dieser Mühle werden könnte, von der man Mirza Schaffhs Wort ge¬
brauchen möchte: Das Klappern der Ruder höre ich Wohl, aber ich sehe kein
Mehl. Der Deutsche hat Interesse für die lokale Politik der Gemeinde des
Bezirks, des kleinen Staats, wo er die Verhältnisse kennt und überschaut;
hier entwickelt er sogar manchmal eine unverhältnismäßig große Leidenschaft,
die höherer Siegespreise würdig wäre. Aber den Blick fürs Große des Staates
glaubt er seinen Staatsmännern, seinen erprobten Beamten überlassen zu
können. Diese bequeme Auffassung führt indessen zu Übeln Ausgängen. Des¬
wegen vertritt der minder gebildete Jrlcinder den gebildeten Deutschen in den
Legislaturen der Vereinigten Staaten, und wenn je ein Deutscher, wie Karl
Schurz, mit in den Vordergrund tritt, sind seine Landsleute unter denen, die
ihn schmähen und nicht versteh» wollen. Darum vertritt eben der Magyar
im Pester Reichstag die Millionen von Deutschen des Bauens, Westungarns
und der Zips. Selbst in Preußen, wo zweifellos das Staatsbewußtsein der
Deutschen eine höhere Stufe erstiegen hat als je vorher im ganzen Verlauf


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[0348] Briefe eines Zurückgekehrten Kneipenpatriotismus entsprungen waren, der nur in einer ganz engen Atmo¬ sphäre gedeiht. Diese hat aber nie auf die Dauer unserm atlantischen Stnrm- klima Stand gehalten. Es ist ein großer Fortschritt, daß sich der überseeische Deutsche in die Vorstellung einlebt, Deutschland sei so gut wie England kraft seiner Lebensinteressen überall auf der Welt, wo Deutsche leben. Wo der Deutsche seinem alten Lande die Lösung weltpolitischer Aufgaben zutraut, hat seine Vereinzelung aufgehört, und sein Nationalgefühl ist nicht mehr ein Pflünzchen unter Glas, das mit kleinlicher Sorge mühsam gehegt werden muß. Warum sollten wir es nicht offen bekennen, daß die große Mehrzahl der Deutschen in den Vereinigten Staaten im Grunde nie so recht an ihre volle politische Gleichberechtigung mit den Anglolelten geglaubt, sie nicht mit dem Feuer herzlicher Überzeugung angestrebt hat? Sie sind politisch anders an¬ gelegt, können politisch nicht dasselbe und mit denselben Mitteln wollen. Selbst ein Karl Schurz, als Redner bewundert und bewundernswert, ist nicht ganz der Politiker, wie er für Amerika sein müßte. Man müßte den Deutschen viel gründlicher ausgezogen haben, daß man ganz sicher im Tritt mit den Amerikanern zu marschieren vermag. Das gelingt nur den Deutschen der dritten und vierten Generation, an denen dann leider nur noch der Name deutsch ist, der Name Astor, Kautz, Havemeyer und so weiter. Es hangt mit ganz guten Elementen des deutschen Charakters zusammen, daß wir keine lebhaften Bewunderer der Politik als Handwerk sind, und demgemäß in der handwerksmäßigen Politik, wie sie in den parlamentarischen Staaten West- und Mitteleuropas betrieben wird, übrigens auch in der lebhaftern, gewaltthätigern und spannenden Innenpolitik der Vereinigten Staaten keine großen Anstrengungen machen. Diese Politik ist zu dilettantisch, zu phrasen¬ haft, als daß dem ehrlichen Deutschen so recht wohl in dem rasselnden Betrieb dieser Mühle werden könnte, von der man Mirza Schaffhs Wort ge¬ brauchen möchte: Das Klappern der Ruder höre ich Wohl, aber ich sehe kein Mehl. Der Deutsche hat Interesse für die lokale Politik der Gemeinde des Bezirks, des kleinen Staats, wo er die Verhältnisse kennt und überschaut; hier entwickelt er sogar manchmal eine unverhältnismäßig große Leidenschaft, die höherer Siegespreise würdig wäre. Aber den Blick fürs Große des Staates glaubt er seinen Staatsmännern, seinen erprobten Beamten überlassen zu können. Diese bequeme Auffassung führt indessen zu Übeln Ausgängen. Des¬ wegen vertritt der minder gebildete Jrlcinder den gebildeten Deutschen in den Legislaturen der Vereinigten Staaten, und wenn je ein Deutscher, wie Karl Schurz, mit in den Vordergrund tritt, sind seine Landsleute unter denen, die ihn schmähen und nicht versteh» wollen. Darum vertritt eben der Magyar im Pester Reichstag die Millionen von Deutschen des Bauens, Westungarns und der Zips. Selbst in Preußen, wo zweifellos das Staatsbewußtsein der Deutschen eine höhere Stufe erstiegen hat als je vorher im ganzen Verlauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/348>, abgerufen am 15.01.2025.