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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Ro>nerstaat

in Masse fordernd auftrete, denn was der Einzelne aus Furcht vor den Mäch¬
tigen nicht wage, das thäten sie vereinigt unbedenklich, da sich jeder durch die
Menge der Mitfordernden stark fühle. Man müsse daher solches Beginnen
unterdrücken, so lange die Bewegung noch schwach sei; erstarke sie, so könne
man ihrer dann vielleicht nicht mehr Herr werden. Lasse sich der Senat vom
Volke beherrschen, so sei das geradeso, wie wenn im Menschen der Geist die
Herrschaft über die leiblichen Begierden verliere. Verweigerten die Armen den
Dienst, so sei das kein großer Verlust für den Staat; sie taugten ja nicht viel
und dienten nur als Schleuderer in den hintersten Reihen. Denen aber, die
Mitleid mit den Armen predigten, sei zu entgegnen, daß diese Leute selbst
schuld seien an ihrer Not. Sie hätten ihre Hufe ererbt gehabt, sie hätten
ihren Anteil an der Kriegsbeute und am konfiszierten Vermögen der Tarquinier
bekommen, wo sei das alles geblieben? Verfressen und ver-- hätten sich,
eine Schande für den Staat sei das Gesindel, und wenn sie auswanderten, so
müsse man das als einen Gewinn sür den Staat ansehen. Sollte es aber
einige darunter geben, die durch unverschuldetes Unglück verarmt wären, so
möchten denen die Wohlthäter aus eignen Mitteln und nicht aus andrer Leute
Taschen spenden. Den Wohlhabenden das Geld für einen guten Zweck zwangs¬
weise abnehmen, sodaß dem Wohlthäter nicht einmal der Dank übrig bleibe,
das sei nicht römische Tugend.

Ganz anders ernst nahm der Konsul Titus Lartius die Sache; als im
Jahre 494 während eines Aufstands der Armen Feinde von allen Seiten ins
römische Gebiet einbrachen, da sprach er im Senat u. ni.: die äußere Gefahr
erscheine ihm weit weniger fürchterlich als die innere; "wir sind in zwei
Staaten zerrissen, deren einer von Armut und Not geplagt wird, während im
andern Überfluß und Übermut herrschen; Ehrgefühl, Sitte und Ordnung finden
sich in keinem dieser beiden Staaten mehr. Mit der Faust suchen wir unser
Recht zu erlangen und halten Gewalt für Recht; gleich wilden Tieren wollen
wir lieber unsre Gegner zu unserm eignen Schaden vernichten als mit ihnen
gerettet werden." Nachdem die Plebejer auf deu heiligen Berg ausgewandert
waren, riet in der Senatssitzung Menenius Agrippa zur Nachgiebigkeit. Er
warnte vor dem Experimente, die Ausgewanderten durch herbeigerufne Ein¬
wandrer zu ersetzen; man wisse nicht, was man um solchen bekommen werde,
namentlich ob sie kriegstüchtig seien, und ob sie nicht am Ende noch größere
Ansprüche erheben würden als die Ausgewanderten. Daß sich die Armen und
Niedrigen gegen die Reichen und Angesehenen empörten, sei ja nichts neues
und nichts Rom eigentümliches, sondern es geschehe von jeher in allen Staaten
ohne Ausnahme. In solchen Krisen hänge es von den Machthabern ab, ob
sie das Vaterland durch Mäßigung und Besonnenheit retten oder durch Hart¬
näckigkeit und Selbstsucht verderben wollten. Die Plebejer auf dem mon8
siunr seien durch viele teure Pfänder: ihre Kinder, Gattinnen und Eltern, vor


Grmzlwten IU 1899 40
Der Ro>nerstaat

in Masse fordernd auftrete, denn was der Einzelne aus Furcht vor den Mäch¬
tigen nicht wage, das thäten sie vereinigt unbedenklich, da sich jeder durch die
Menge der Mitfordernden stark fühle. Man müsse daher solches Beginnen
unterdrücken, so lange die Bewegung noch schwach sei; erstarke sie, so könne
man ihrer dann vielleicht nicht mehr Herr werden. Lasse sich der Senat vom
Volke beherrschen, so sei das geradeso, wie wenn im Menschen der Geist die
Herrschaft über die leiblichen Begierden verliere. Verweigerten die Armen den
Dienst, so sei das kein großer Verlust für den Staat; sie taugten ja nicht viel
und dienten nur als Schleuderer in den hintersten Reihen. Denen aber, die
Mitleid mit den Armen predigten, sei zu entgegnen, daß diese Leute selbst
schuld seien an ihrer Not. Sie hätten ihre Hufe ererbt gehabt, sie hätten
ihren Anteil an der Kriegsbeute und am konfiszierten Vermögen der Tarquinier
bekommen, wo sei das alles geblieben? Verfressen und ver— hätten sich,
eine Schande für den Staat sei das Gesindel, und wenn sie auswanderten, so
müsse man das als einen Gewinn sür den Staat ansehen. Sollte es aber
einige darunter geben, die durch unverschuldetes Unglück verarmt wären, so
möchten denen die Wohlthäter aus eignen Mitteln und nicht aus andrer Leute
Taschen spenden. Den Wohlhabenden das Geld für einen guten Zweck zwangs¬
weise abnehmen, sodaß dem Wohlthäter nicht einmal der Dank übrig bleibe,
das sei nicht römische Tugend.

Ganz anders ernst nahm der Konsul Titus Lartius die Sache; als im
Jahre 494 während eines Aufstands der Armen Feinde von allen Seiten ins
römische Gebiet einbrachen, da sprach er im Senat u. ni.: die äußere Gefahr
erscheine ihm weit weniger fürchterlich als die innere; „wir sind in zwei
Staaten zerrissen, deren einer von Armut und Not geplagt wird, während im
andern Überfluß und Übermut herrschen; Ehrgefühl, Sitte und Ordnung finden
sich in keinem dieser beiden Staaten mehr. Mit der Faust suchen wir unser
Recht zu erlangen und halten Gewalt für Recht; gleich wilden Tieren wollen
wir lieber unsre Gegner zu unserm eignen Schaden vernichten als mit ihnen
gerettet werden." Nachdem die Plebejer auf deu heiligen Berg ausgewandert
waren, riet in der Senatssitzung Menenius Agrippa zur Nachgiebigkeit. Er
warnte vor dem Experimente, die Ausgewanderten durch herbeigerufne Ein¬
wandrer zu ersetzen; man wisse nicht, was man um solchen bekommen werde,
namentlich ob sie kriegstüchtig seien, und ob sie nicht am Ende noch größere
Ansprüche erheben würden als die Ausgewanderten. Daß sich die Armen und
Niedrigen gegen die Reichen und Angesehenen empörten, sei ja nichts neues
und nichts Rom eigentümliches, sondern es geschehe von jeher in allen Staaten
ohne Ausnahme. In solchen Krisen hänge es von den Machthabern ab, ob
sie das Vaterland durch Mäßigung und Besonnenheit retten oder durch Hart¬
näckigkeit und Selbstsucht verderben wollten. Die Plebejer auf dem mon8
siunr seien durch viele teure Pfänder: ihre Kinder, Gattinnen und Eltern, vor


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[0321] Der Ro>nerstaat in Masse fordernd auftrete, denn was der Einzelne aus Furcht vor den Mäch¬ tigen nicht wage, das thäten sie vereinigt unbedenklich, da sich jeder durch die Menge der Mitfordernden stark fühle. Man müsse daher solches Beginnen unterdrücken, so lange die Bewegung noch schwach sei; erstarke sie, so könne man ihrer dann vielleicht nicht mehr Herr werden. Lasse sich der Senat vom Volke beherrschen, so sei das geradeso, wie wenn im Menschen der Geist die Herrschaft über die leiblichen Begierden verliere. Verweigerten die Armen den Dienst, so sei das kein großer Verlust für den Staat; sie taugten ja nicht viel und dienten nur als Schleuderer in den hintersten Reihen. Denen aber, die Mitleid mit den Armen predigten, sei zu entgegnen, daß diese Leute selbst schuld seien an ihrer Not. Sie hätten ihre Hufe ererbt gehabt, sie hätten ihren Anteil an der Kriegsbeute und am konfiszierten Vermögen der Tarquinier bekommen, wo sei das alles geblieben? Verfressen und ver— hätten sich, eine Schande für den Staat sei das Gesindel, und wenn sie auswanderten, so müsse man das als einen Gewinn sür den Staat ansehen. Sollte es aber einige darunter geben, die durch unverschuldetes Unglück verarmt wären, so möchten denen die Wohlthäter aus eignen Mitteln und nicht aus andrer Leute Taschen spenden. Den Wohlhabenden das Geld für einen guten Zweck zwangs¬ weise abnehmen, sodaß dem Wohlthäter nicht einmal der Dank übrig bleibe, das sei nicht römische Tugend. Ganz anders ernst nahm der Konsul Titus Lartius die Sache; als im Jahre 494 während eines Aufstands der Armen Feinde von allen Seiten ins römische Gebiet einbrachen, da sprach er im Senat u. ni.: die äußere Gefahr erscheine ihm weit weniger fürchterlich als die innere; „wir sind in zwei Staaten zerrissen, deren einer von Armut und Not geplagt wird, während im andern Überfluß und Übermut herrschen; Ehrgefühl, Sitte und Ordnung finden sich in keinem dieser beiden Staaten mehr. Mit der Faust suchen wir unser Recht zu erlangen und halten Gewalt für Recht; gleich wilden Tieren wollen wir lieber unsre Gegner zu unserm eignen Schaden vernichten als mit ihnen gerettet werden." Nachdem die Plebejer auf deu heiligen Berg ausgewandert waren, riet in der Senatssitzung Menenius Agrippa zur Nachgiebigkeit. Er warnte vor dem Experimente, die Ausgewanderten durch herbeigerufne Ein¬ wandrer zu ersetzen; man wisse nicht, was man um solchen bekommen werde, namentlich ob sie kriegstüchtig seien, und ob sie nicht am Ende noch größere Ansprüche erheben würden als die Ausgewanderten. Daß sich die Armen und Niedrigen gegen die Reichen und Angesehenen empörten, sei ja nichts neues und nichts Rom eigentümliches, sondern es geschehe von jeher in allen Staaten ohne Ausnahme. In solchen Krisen hänge es von den Machthabern ab, ob sie das Vaterland durch Mäßigung und Besonnenheit retten oder durch Hart¬ näckigkeit und Selbstsucht verderben wollten. Die Plebejer auf dem mon8 siunr seien durch viele teure Pfänder: ihre Kinder, Gattinnen und Eltern, vor Grmzlwten IU 1899 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/321>, abgerufen am 15.01.2025.