Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Roinerstaat Zusätze einigermaßen gefärbt oder wohl gar gefälscht gewesen, so ist doch Im Jahre 498 schlug Vcilcrius, des Publicola Bruder, den Senatoren Der Roinerstaat Zusätze einigermaßen gefärbt oder wohl gar gefälscht gewesen, so ist doch Im Jahre 498 schlug Vcilcrius, des Publicola Bruder, den Senatoren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231490"/> <fw type="header" place="top"> Der Roinerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_995" prev="#ID_994"> Zusätze einigermaßen gefärbt oder wohl gar gefälscht gewesen, so ist doch<lb/> sicherlich gerade das, worauf es nus hier ankommt, richtig wiedergegeben<lb/> worden: die Stimmung und Gesinnung der Parteien, denen ja die Überliefernden<lb/> selbst angehörte»; ist nicht alles, was den Redenden in den Mund gelegt wird,<lb/> wirklich gesprochen worden, so steht wenigstens nichts in diesen Berichten, was<lb/> die handelnden Männer nach der Meinung der ihnen nahestehenden Geschlechter<lb/> nicht gesagt haben könnten. Wir tragen daher kein Bedenken, den Haupt¬<lb/> inhalt einiger der Reden zusammenzustellen, die Dionys von Halikarnaß mit¬<lb/> teilt; in den Schulen wird ja dieser Geschichtschreiber gar nicht, außerhalb<lb/> der Schulen aber wohl nur von Fachmännern gelesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_996" next="#ID_997"> Im Jahre 498 schlug Vcilcrius, des Publicola Bruder, den Senatoren<lb/> einen Schuldeuerlaß vor mit Berufung auf den solonischen; sie hätten, meint<lb/> er in der Begründung, kurz vorher um des Friedens willen den Feinden soviel<lb/> Zugeständnisse gemacht und den Etruskern sogar ein Stück Land abgetreten,<lb/> da sei es doch ungereimt, wenn sie einer Keinigkeit wegen ihren eignen Mit¬<lb/> bürgern den Krieg erklären wollten, Mitbürgern, die ihnen geholfen hätten,<lb/> die Stadt vom Despoten zu befreien, und die so oft Leib und Leben für die<lb/> Stadt gewagt hätten. Appius Claudius bekämpfte den Vorschlag. Ein<lb/> Schuldennachlaß würde die Unruhe» nicht stillen, soudern nur ärger machen,<lb/> denn dnrch ihn würden die guten Bürger, die Reichen, unzufrieden gemacht<lb/> werden, und das sei weit schlimmer, als wenn der Pöbel rumore. Die Wohl¬<lb/> habenden würden es sich nicht gefallen lassen, wenn man ihnen das von den<lb/> Vätern Ererbte und durch Fleiß und Sparsamkeit selbst Erworbne nehmen<lb/> und den schlechtesten und faulsten Bürgern schenken wolle. Es sei eine große<lb/> Thorheit, den schlechten Bürgern zu Gefallen die guten zu erbittern. Niemals<lb/> seien es die Armen und Niedrigen, die den Staat umstürzten, denn die könne<lb/> man zwingen, ihre Schuldigkeit zu thun; wer den Staat umstürze, das seien<lb/> die Wohlhabenden, wenn man ihnen zumute, sich von den untern Stünden<lb/> schlecht behandeln zu lassen. Werfe man das Geld der Reichen den Armen<lb/> hin, so werde es weder ordentlichen Ackerbau, noch Handel, noch sonst eines<lb/> der Gewerbe mehr geben, die für den Staat notwendig sind, denn zu alledem<lb/> gehöre Kapital, und die Reichen würden sich in Zukunft hüten, den Bauern<lb/> und Gewerbtreibenden Geld zu leihen, wenn sie voraushaben, daß sie Kapital<lb/> und Zins verlieren würden. So werde der Wohlstand dnrch den Neid ge¬<lb/> fährdet sein, der Gewerbfleiß aufhören, und die Lage der Liederlichen und Un¬<lb/> redlichen werde besser sein als die der Rechtschaffnen und Wirtschaftlichen.<lb/> Man solle doch nicht die schlechte Gewohnheit in den Staat einführen, jedem<lb/> unverständigen Wunsche der untern Klassen sofort nachzugeben! Diese Un¬<lb/> vernünftigen bekämen niemals genug; kaum hätten sie das Geforderte erlangt,<lb/> so verlangten sie ein mehreres, und so gehe das fort ins Unendliche. Gelee<lb/> das schon vom Einzelnen, so sei die Sache noch schlimmer, wenn das Volk</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Der Roinerstaat
Zusätze einigermaßen gefärbt oder wohl gar gefälscht gewesen, so ist doch
sicherlich gerade das, worauf es nus hier ankommt, richtig wiedergegeben
worden: die Stimmung und Gesinnung der Parteien, denen ja die Überliefernden
selbst angehörte»; ist nicht alles, was den Redenden in den Mund gelegt wird,
wirklich gesprochen worden, so steht wenigstens nichts in diesen Berichten, was
die handelnden Männer nach der Meinung der ihnen nahestehenden Geschlechter
nicht gesagt haben könnten. Wir tragen daher kein Bedenken, den Haupt¬
inhalt einiger der Reden zusammenzustellen, die Dionys von Halikarnaß mit¬
teilt; in den Schulen wird ja dieser Geschichtschreiber gar nicht, außerhalb
der Schulen aber wohl nur von Fachmännern gelesen.
Im Jahre 498 schlug Vcilcrius, des Publicola Bruder, den Senatoren
einen Schuldeuerlaß vor mit Berufung auf den solonischen; sie hätten, meint
er in der Begründung, kurz vorher um des Friedens willen den Feinden soviel
Zugeständnisse gemacht und den Etruskern sogar ein Stück Land abgetreten,
da sei es doch ungereimt, wenn sie einer Keinigkeit wegen ihren eignen Mit¬
bürgern den Krieg erklären wollten, Mitbürgern, die ihnen geholfen hätten,
die Stadt vom Despoten zu befreien, und die so oft Leib und Leben für die
Stadt gewagt hätten. Appius Claudius bekämpfte den Vorschlag. Ein
Schuldennachlaß würde die Unruhe» nicht stillen, soudern nur ärger machen,
denn dnrch ihn würden die guten Bürger, die Reichen, unzufrieden gemacht
werden, und das sei weit schlimmer, als wenn der Pöbel rumore. Die Wohl¬
habenden würden es sich nicht gefallen lassen, wenn man ihnen das von den
Vätern Ererbte und durch Fleiß und Sparsamkeit selbst Erworbne nehmen
und den schlechtesten und faulsten Bürgern schenken wolle. Es sei eine große
Thorheit, den schlechten Bürgern zu Gefallen die guten zu erbittern. Niemals
seien es die Armen und Niedrigen, die den Staat umstürzten, denn die könne
man zwingen, ihre Schuldigkeit zu thun; wer den Staat umstürze, das seien
die Wohlhabenden, wenn man ihnen zumute, sich von den untern Stünden
schlecht behandeln zu lassen. Werfe man das Geld der Reichen den Armen
hin, so werde es weder ordentlichen Ackerbau, noch Handel, noch sonst eines
der Gewerbe mehr geben, die für den Staat notwendig sind, denn zu alledem
gehöre Kapital, und die Reichen würden sich in Zukunft hüten, den Bauern
und Gewerbtreibenden Geld zu leihen, wenn sie voraushaben, daß sie Kapital
und Zins verlieren würden. So werde der Wohlstand dnrch den Neid ge¬
fährdet sein, der Gewerbfleiß aufhören, und die Lage der Liederlichen und Un¬
redlichen werde besser sein als die der Rechtschaffnen und Wirtschaftlichen.
Man solle doch nicht die schlechte Gewohnheit in den Staat einführen, jedem
unverständigen Wunsche der untern Klassen sofort nachzugeben! Diese Un¬
vernünftigen bekämen niemals genug; kaum hätten sie das Geforderte erlangt,
so verlangten sie ein mehreres, und so gehe das fort ins Unendliche. Gelee
das schon vom Einzelnen, so sei die Sache noch schlimmer, wenn das Volk
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