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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

kaum einen andern als den, der in der Benutzung der nationalen Stimmung
in Volk und Heer zu energischen Forderungen lag. Wer diese Zeit mit erlebt
hat, der weiß auch, wie tief der Unmut war über die Schwierigkeiten, die vor
allem Bayern dem deutschen Einheitswerke entgegenstellte, und der wird auch
den Kronprinzen besser begreifen, als wenn man zwanzig bis dreißig Jahre
später nach dem Erfolge darüber urteilt. Ist denn nicht auch der bayrische
Landtag thatsächlich gewissermaßen vergewaltigt worden, da die Kaiserprokla¬
mation eher stattfand, als er die Verträge genehmigt hatte? Daß Bismarck
richtiger sah und die Gesamtlage Europas dabei mehr in Rechnung zog als
der Thronfolger, ist sehr natürlich, denn dieser wurde von den wichtigsten
Beratungen grundsätzlich ferngehalten,^) konnte also auch die Dinge nicht so
würdigen wie der Kanzler.

(Schluß folgt)




Der Römerstaat
2. soziale Aämpfe
(Fortsetzung)

n der Natur der lebenden Wesen liegt es, daß ihnen Segen und
Verderben, Tod und Leben aus derselben Wurzel quillt, daß
eines jeden Untergang in seiner eigentümlichen Organisation be¬
gründet ist. Als politische Grundeigenschaft der alten Sieben¬
hügelgemeinde kann man die Vereinigung des Bauern- und
Kaufmannsgeistes mit einem wunderbar stark entwickelten organisatorischen
Kolonisationstriebe bezeichnen. Darüber, daß die Römer, gleich allen ihren
ladinischen Stammgenossen und den übrigen italischen Stammverwandten, ein
echtes Bauernvolk gewesen sind, voll leidenschaftlicher Liebe zu ihrer Scholle
und zu ihrem landwirtschaftlichen Gewerbe, hat niemals ein Zweifel gewaltet;
daß sie zugleich auch Virtuosen im Kaufmannsgeschäft gewesen sein sollen,
klingt von vornherein unglaublich, aber man muß es Mommsen, der zuerst
auf diese Eigentümlichkeit hingewiesen hat, dennoch glauben. Ihr Güterrecht
sei durchaus ein Kaufmannsrecht. "Hand in Hand gehn die größte Liberalität
in der Gestaltung des Verkehrs und das strengste Exekutionssystem, ganz wie
heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfähigkeit und der strengste



') Einleitung zum Jmmediatbericht, ngl. Busch III, 244.
Der Römerstaat

kaum einen andern als den, der in der Benutzung der nationalen Stimmung
in Volk und Heer zu energischen Forderungen lag. Wer diese Zeit mit erlebt
hat, der weiß auch, wie tief der Unmut war über die Schwierigkeiten, die vor
allem Bayern dem deutschen Einheitswerke entgegenstellte, und der wird auch
den Kronprinzen besser begreifen, als wenn man zwanzig bis dreißig Jahre
später nach dem Erfolge darüber urteilt. Ist denn nicht auch der bayrische
Landtag thatsächlich gewissermaßen vergewaltigt worden, da die Kaiserprokla¬
mation eher stattfand, als er die Verträge genehmigt hatte? Daß Bismarck
richtiger sah und die Gesamtlage Europas dabei mehr in Rechnung zog als
der Thronfolger, ist sehr natürlich, denn dieser wurde von den wichtigsten
Beratungen grundsätzlich ferngehalten,^) konnte also auch die Dinge nicht so
würdigen wie der Kanzler.

(Schluß folgt)




Der Römerstaat
2. soziale Aämpfe
(Fortsetzung)

n der Natur der lebenden Wesen liegt es, daß ihnen Segen und
Verderben, Tod und Leben aus derselben Wurzel quillt, daß
eines jeden Untergang in seiner eigentümlichen Organisation be¬
gründet ist. Als politische Grundeigenschaft der alten Sieben¬
hügelgemeinde kann man die Vereinigung des Bauern- und
Kaufmannsgeistes mit einem wunderbar stark entwickelten organisatorischen
Kolonisationstriebe bezeichnen. Darüber, daß die Römer, gleich allen ihren
ladinischen Stammgenossen und den übrigen italischen Stammverwandten, ein
echtes Bauernvolk gewesen sind, voll leidenschaftlicher Liebe zu ihrer Scholle
und zu ihrem landwirtschaftlichen Gewerbe, hat niemals ein Zweifel gewaltet;
daß sie zugleich auch Virtuosen im Kaufmannsgeschäft gewesen sein sollen,
klingt von vornherein unglaublich, aber man muß es Mommsen, der zuerst
auf diese Eigentümlichkeit hingewiesen hat, dennoch glauben. Ihr Güterrecht
sei durchaus ein Kaufmannsrecht. „Hand in Hand gehn die größte Liberalität
in der Gestaltung des Verkehrs und das strengste Exekutionssystem, ganz wie
heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfähigkeit und der strengste



') Einleitung zum Jmmediatbericht, ngl. Busch III, 244.
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[0312] Der Römerstaat kaum einen andern als den, der in der Benutzung der nationalen Stimmung in Volk und Heer zu energischen Forderungen lag. Wer diese Zeit mit erlebt hat, der weiß auch, wie tief der Unmut war über die Schwierigkeiten, die vor allem Bayern dem deutschen Einheitswerke entgegenstellte, und der wird auch den Kronprinzen besser begreifen, als wenn man zwanzig bis dreißig Jahre später nach dem Erfolge darüber urteilt. Ist denn nicht auch der bayrische Landtag thatsächlich gewissermaßen vergewaltigt worden, da die Kaiserprokla¬ mation eher stattfand, als er die Verträge genehmigt hatte? Daß Bismarck richtiger sah und die Gesamtlage Europas dabei mehr in Rechnung zog als der Thronfolger, ist sehr natürlich, denn dieser wurde von den wichtigsten Beratungen grundsätzlich ferngehalten,^) konnte also auch die Dinge nicht so würdigen wie der Kanzler. (Schluß folgt) Der Römerstaat 2. soziale Aämpfe (Fortsetzung) n der Natur der lebenden Wesen liegt es, daß ihnen Segen und Verderben, Tod und Leben aus derselben Wurzel quillt, daß eines jeden Untergang in seiner eigentümlichen Organisation be¬ gründet ist. Als politische Grundeigenschaft der alten Sieben¬ hügelgemeinde kann man die Vereinigung des Bauern- und Kaufmannsgeistes mit einem wunderbar stark entwickelten organisatorischen Kolonisationstriebe bezeichnen. Darüber, daß die Römer, gleich allen ihren ladinischen Stammgenossen und den übrigen italischen Stammverwandten, ein echtes Bauernvolk gewesen sind, voll leidenschaftlicher Liebe zu ihrer Scholle und zu ihrem landwirtschaftlichen Gewerbe, hat niemals ein Zweifel gewaltet; daß sie zugleich auch Virtuosen im Kaufmannsgeschäft gewesen sein sollen, klingt von vornherein unglaublich, aber man muß es Mommsen, der zuerst auf diese Eigentümlichkeit hingewiesen hat, dennoch glauben. Ihr Güterrecht sei durchaus ein Kaufmannsrecht. „Hand in Hand gehn die größte Liberalität in der Gestaltung des Verkehrs und das strengste Exekutionssystem, ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfähigkeit und der strengste ') Einleitung zum Jmmediatbericht, ngl. Busch III, 244.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/312>, abgerufen am 15.01.2025.