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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Wechselprozeß zusammen auftreten. Der Bürger und der Schutzgenosse stehn
sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsverträge gestatten umfassende Rechts¬
gleichheit auch dem Gast; die Frauen sind im Recht mit den Männern völlig
in eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschränkt sind; ja der kaum er¬
wachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht über sein
Vermögen. Wer überhaupt verfügen kann, ist in seinem Kreise so souverän,
wie der Staat herrscht über alle." Scheineigentum wird nicht geduldet. Ein
erbarmungsloses Schuldrecht, das anfangs auch keine Beschränkung der Zins¬
höhe kennt, stellt deu Gläubiger unbedingt sicher und giebt den Schuldner ganz
in seine Hand; kann dieser nicht zahlen, so geht nicht allein sein Besitz, sondern
er selbst mit Weib und Kind ins Eigentum des Gläubigers über; daß sich ein
verschuldeter Grundbesitzer auf seinem Gute uoch jahrelang hält, wenn er die
Zinsen aufbringt und keiner seiner Hhpothekenglänbiger rücksichtslos verfährt
bis an sein Lebensende, das kam in Rom nicht vor. Welche Aussicht auf
Bereicherung für einen kluge" und energischen Manu! Lucumon, der spätere
Tarquinius, erzählt Dionys, habe erfahren, daß Rom alle Fremden bereitwillig
aufnehme, ihnen das Bürgerrecht erteile und jeden nach Verdienst ehre. Nach
Verdienst, das bedeutet natürlich, wie überall, zunächst: nach der Größe seines
Vermögens. Und Livius läßt den Tarquinius erwügeu, daß in einem neu
gegründeten Staate auch der Adel sich neu bilde und durch Tüchtigkeit er¬
worben werde; da sei also der rechte Platz für einen tüchtigen Mann. Rom,
das zugleich grundsätzlich jeden Fremden mit offnen Armen aufnahm, wie schon
die Ashlgeschichte in der Gründungssage andeutet, war demnach das Dorado
für alle energischen und klugen Leute, die Geld hatten. Zugleich aber sorgten
doch die Banernliebe zum Boden und das Kvlonisationssystem dafür, daß den
durch wucherische Ausbeutung Verarmten immer wieder die Möglichkeit neuen
Bodenerwerbs eröffnet wurde, wobei freilich immer wieder das Heil in neues
Unheil umschlug, indem natürlich bei jeder eroberten Feldmark die Privile¬
gierten die nächsten zum Zugreifen waren; unter dem Vorwande, der Neu¬
erwerb dürfe nicht Einzelnen, sondern müsse dem ganzen Staate zu gute
kommen, verstanden sie immer den besten Teil davon der Kolonisation zu ent¬
ziehen und uuter dem Namen des Gemeindeackers für sich auszubeuten. Das
Geheimnis der Größe Roms liegt in der den Römern, wie es scheint, ange-
bornen und sie als unbegreiflicher Instinkt beherrschenden Weisheit in der
Kriegführung. Ihre Kriege waren nicht, gleich den Kriegen der Barbaren und
sogar der kleinen Griechenstaaten, verheerende Züge zum Zweck des Veute-
machens oder zur Kühlung eines Rachegefühls, sondern sie waren nur Mittel
zum Zweck einer den Bedürfnissen der stetig wachsenden Bevölkerung ent¬
sprechenden Erweiterung des Staatsgebiets; kein eroberter Ackerfleck blieb wüst
liegen, sondern jeden Erwerb der schrittweise vorgehenden Eroberung fügte man
sofort organisch in den Staatskörper ein, indem entweder die Besiegten selbst


Grenzboten III 18S9 > 3V
Der Römerstaat

Wechselprozeß zusammen auftreten. Der Bürger und der Schutzgenosse stehn
sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsverträge gestatten umfassende Rechts¬
gleichheit auch dem Gast; die Frauen sind im Recht mit den Männern völlig
in eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschränkt sind; ja der kaum er¬
wachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht über sein
Vermögen. Wer überhaupt verfügen kann, ist in seinem Kreise so souverän,
wie der Staat herrscht über alle." Scheineigentum wird nicht geduldet. Ein
erbarmungsloses Schuldrecht, das anfangs auch keine Beschränkung der Zins¬
höhe kennt, stellt deu Gläubiger unbedingt sicher und giebt den Schuldner ganz
in seine Hand; kann dieser nicht zahlen, so geht nicht allein sein Besitz, sondern
er selbst mit Weib und Kind ins Eigentum des Gläubigers über; daß sich ein
verschuldeter Grundbesitzer auf seinem Gute uoch jahrelang hält, wenn er die
Zinsen aufbringt und keiner seiner Hhpothekenglänbiger rücksichtslos verfährt
bis an sein Lebensende, das kam in Rom nicht vor. Welche Aussicht auf
Bereicherung für einen kluge« und energischen Manu! Lucumon, der spätere
Tarquinius, erzählt Dionys, habe erfahren, daß Rom alle Fremden bereitwillig
aufnehme, ihnen das Bürgerrecht erteile und jeden nach Verdienst ehre. Nach
Verdienst, das bedeutet natürlich, wie überall, zunächst: nach der Größe seines
Vermögens. Und Livius läßt den Tarquinius erwügeu, daß in einem neu
gegründeten Staate auch der Adel sich neu bilde und durch Tüchtigkeit er¬
worben werde; da sei also der rechte Platz für einen tüchtigen Mann. Rom,
das zugleich grundsätzlich jeden Fremden mit offnen Armen aufnahm, wie schon
die Ashlgeschichte in der Gründungssage andeutet, war demnach das Dorado
für alle energischen und klugen Leute, die Geld hatten. Zugleich aber sorgten
doch die Banernliebe zum Boden und das Kvlonisationssystem dafür, daß den
durch wucherische Ausbeutung Verarmten immer wieder die Möglichkeit neuen
Bodenerwerbs eröffnet wurde, wobei freilich immer wieder das Heil in neues
Unheil umschlug, indem natürlich bei jeder eroberten Feldmark die Privile¬
gierten die nächsten zum Zugreifen waren; unter dem Vorwande, der Neu¬
erwerb dürfe nicht Einzelnen, sondern müsse dem ganzen Staate zu gute
kommen, verstanden sie immer den besten Teil davon der Kolonisation zu ent¬
ziehen und uuter dem Namen des Gemeindeackers für sich auszubeuten. Das
Geheimnis der Größe Roms liegt in der den Römern, wie es scheint, ange-
bornen und sie als unbegreiflicher Instinkt beherrschenden Weisheit in der
Kriegführung. Ihre Kriege waren nicht, gleich den Kriegen der Barbaren und
sogar der kleinen Griechenstaaten, verheerende Züge zum Zweck des Veute-
machens oder zur Kühlung eines Rachegefühls, sondern sie waren nur Mittel
zum Zweck einer den Bedürfnissen der stetig wachsenden Bevölkerung ent¬
sprechenden Erweiterung des Staatsgebiets; kein eroberter Ackerfleck blieb wüst
liegen, sondern jeden Erwerb der schrittweise vorgehenden Eroberung fügte man
sofort organisch in den Staatskörper ein, indem entweder die Besiegten selbst


Grenzboten III 18S9 > 3V
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[0313] Der Römerstaat Wechselprozeß zusammen auftreten. Der Bürger und der Schutzgenosse stehn sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsverträge gestatten umfassende Rechts¬ gleichheit auch dem Gast; die Frauen sind im Recht mit den Männern völlig in eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschränkt sind; ja der kaum er¬ wachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht über sein Vermögen. Wer überhaupt verfügen kann, ist in seinem Kreise so souverän, wie der Staat herrscht über alle." Scheineigentum wird nicht geduldet. Ein erbarmungsloses Schuldrecht, das anfangs auch keine Beschränkung der Zins¬ höhe kennt, stellt deu Gläubiger unbedingt sicher und giebt den Schuldner ganz in seine Hand; kann dieser nicht zahlen, so geht nicht allein sein Besitz, sondern er selbst mit Weib und Kind ins Eigentum des Gläubigers über; daß sich ein verschuldeter Grundbesitzer auf seinem Gute uoch jahrelang hält, wenn er die Zinsen aufbringt und keiner seiner Hhpothekenglänbiger rücksichtslos verfährt bis an sein Lebensende, das kam in Rom nicht vor. Welche Aussicht auf Bereicherung für einen kluge« und energischen Manu! Lucumon, der spätere Tarquinius, erzählt Dionys, habe erfahren, daß Rom alle Fremden bereitwillig aufnehme, ihnen das Bürgerrecht erteile und jeden nach Verdienst ehre. Nach Verdienst, das bedeutet natürlich, wie überall, zunächst: nach der Größe seines Vermögens. Und Livius läßt den Tarquinius erwügeu, daß in einem neu gegründeten Staate auch der Adel sich neu bilde und durch Tüchtigkeit er¬ worben werde; da sei also der rechte Platz für einen tüchtigen Mann. Rom, das zugleich grundsätzlich jeden Fremden mit offnen Armen aufnahm, wie schon die Ashlgeschichte in der Gründungssage andeutet, war demnach das Dorado für alle energischen und klugen Leute, die Geld hatten. Zugleich aber sorgten doch die Banernliebe zum Boden und das Kvlonisationssystem dafür, daß den durch wucherische Ausbeutung Verarmten immer wieder die Möglichkeit neuen Bodenerwerbs eröffnet wurde, wobei freilich immer wieder das Heil in neues Unheil umschlug, indem natürlich bei jeder eroberten Feldmark die Privile¬ gierten die nächsten zum Zugreifen waren; unter dem Vorwande, der Neu¬ erwerb dürfe nicht Einzelnen, sondern müsse dem ganzen Staate zu gute kommen, verstanden sie immer den besten Teil davon der Kolonisation zu ent¬ ziehen und uuter dem Namen des Gemeindeackers für sich auszubeuten. Das Geheimnis der Größe Roms liegt in der den Römern, wie es scheint, ange- bornen und sie als unbegreiflicher Instinkt beherrschenden Weisheit in der Kriegführung. Ihre Kriege waren nicht, gleich den Kriegen der Barbaren und sogar der kleinen Griechenstaaten, verheerende Züge zum Zweck des Veute- machens oder zur Kühlung eines Rachegefühls, sondern sie waren nur Mittel zum Zweck einer den Bedürfnissen der stetig wachsenden Bevölkerung ent¬ sprechenden Erweiterung des Staatsgebiets; kein eroberter Ackerfleck blieb wüst liegen, sondern jeden Erwerb der schrittweise vorgehenden Eroberung fügte man sofort organisch in den Staatskörper ein, indem entweder die Besiegten selbst Grenzboten III 18S9 > 3V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/313>, abgerufen am 15.01.2025.