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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

hatten, und War eine Nachbildung der malerischen Federzeichnung. Und der
Tonschnitt entspricht den koloristischen Bestrebungen des modernen Realismus
und ist eine Nachbildung des Aquarells, der königer lavierten Zeichnung.

Die Frage ist nun die: Haben wir es hier mit einer natürlichen, im
Wesen des Holzschnitts liegenden Entwicklung zu thun, oder mit einer Ver-
irrung, einem Verleugnen seiner reinen Stilprinzipien? Wenn wir den Wort¬
führern der modernen Bewegung glauben wollten, müßten wir das zweite an¬
nehmen. Diese Reformer bezeichnen den Tonschnitt als stillos, wollen die
Technik auf den alten Linienholzschnitt zurückschrauben. Und zwar nicht etwa
ans den Linienholzschnitt Dürers -- der ist ihnen schon viel zu entwickelt --,
sondern auf den des fünfzehnten Jahrhunderts. Vallotton und Otto Eckmaun
zeichnen etwa im Stil der Inkunabeln um 1400, Sattler im Stil der an¬
spruchslosen italienischen Holzschnitte aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts. Zuweilen ist man sogar noch über den Stil der Inkunabeln
zurückgegangen und hat ihn durch einen frei erfundnen Embryostil ersetzt, der
dem Lallen eines kleinen Kindes gleicht. Man behauptet, die spezifischen
Wirkungen des Holzschnitts liegen in dem schroffen Gegensatz von Schwarz
und Weiß, in klotzigen Umrissen und Vermeidung aller Mitteltöne. Und man
begründet das, indem man behauptet, nur so könne sich der Holzschnitt dem
Charakter der Druckerthpe annähern, nur so ein harmonisches Ensemble von
Satz und Illustration entstehen.

Ich will nun durchaus nicht leugnen, daß die Holzschnitte der er¬
wähnten Künstler und andrer, die in ihrem Sinne arbeiten, höchst amüsante
und anregende Experimente sind, die man sich ganz gern einmal gefallen läßt,
weil man das Gefühl hat: das sind Leute, die etwas können, die es versteh",
mit den denkbar geringsten Mitteln überraschende Wirkungen hervorzubringen.
Aber die Behauptung, daß dieser Stil den Beginn einer neuen Ära des Holz¬
schnitts darstelle, daß er der Stil der Zukunft sei, vor dem der ganze "heil¬
lose" Tonschnitt die Segel streichen müsse, kann ich nur für eine arge Selbst¬
täuschung halten. Wie sehr sie das ist, lehren ein paar sehr einfache Er¬
wägungen, die -- wahrscheinlich ihrer Einfachheit wegen -- von den meisten
Kritikern bisher nicht angestellt worden sind.

Zunächst erlaube ich mir zu bemerken, daß der Holzschnitt selbst, d. h.
die Technik als solche, mit dieser Reform nicht das geringste zu thun hat.
Wenn unsre Illustratoren plötzlich aus irgend welchen Gründen, sagen wir
einmal, weil es in England und Frankreich Mode geworden ist, anfangen, ihre
Illustrationen statt malerisch mit dem Pinsel oder der spitzen Feder vielmehr
mit der dicken klotzigen Rohrfeder zu zeichnen, so kann man darüber ja ver¬
schieden urteilen, je nachdem man den Archaismus in der Kunst für etwas
Gesundes oder Ungesundes hält. Den Holzschnitt als solchen geht aber diese
Frage nichts an. Der Holzschnitt kann auf der Stufe, die er im Ton-


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

hatten, und War eine Nachbildung der malerischen Federzeichnung. Und der
Tonschnitt entspricht den koloristischen Bestrebungen des modernen Realismus
und ist eine Nachbildung des Aquarells, der königer lavierten Zeichnung.

Die Frage ist nun die: Haben wir es hier mit einer natürlichen, im
Wesen des Holzschnitts liegenden Entwicklung zu thun, oder mit einer Ver-
irrung, einem Verleugnen seiner reinen Stilprinzipien? Wenn wir den Wort¬
führern der modernen Bewegung glauben wollten, müßten wir das zweite an¬
nehmen. Diese Reformer bezeichnen den Tonschnitt als stillos, wollen die
Technik auf den alten Linienholzschnitt zurückschrauben. Und zwar nicht etwa
ans den Linienholzschnitt Dürers — der ist ihnen schon viel zu entwickelt —,
sondern auf den des fünfzehnten Jahrhunderts. Vallotton und Otto Eckmaun
zeichnen etwa im Stil der Inkunabeln um 1400, Sattler im Stil der an¬
spruchslosen italienischen Holzschnitte aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts. Zuweilen ist man sogar noch über den Stil der Inkunabeln
zurückgegangen und hat ihn durch einen frei erfundnen Embryostil ersetzt, der
dem Lallen eines kleinen Kindes gleicht. Man behauptet, die spezifischen
Wirkungen des Holzschnitts liegen in dem schroffen Gegensatz von Schwarz
und Weiß, in klotzigen Umrissen und Vermeidung aller Mitteltöne. Und man
begründet das, indem man behauptet, nur so könne sich der Holzschnitt dem
Charakter der Druckerthpe annähern, nur so ein harmonisches Ensemble von
Satz und Illustration entstehen.

Ich will nun durchaus nicht leugnen, daß die Holzschnitte der er¬
wähnten Künstler und andrer, die in ihrem Sinne arbeiten, höchst amüsante
und anregende Experimente sind, die man sich ganz gern einmal gefallen läßt,
weil man das Gefühl hat: das sind Leute, die etwas können, die es versteh»,
mit den denkbar geringsten Mitteln überraschende Wirkungen hervorzubringen.
Aber die Behauptung, daß dieser Stil den Beginn einer neuen Ära des Holz¬
schnitts darstelle, daß er der Stil der Zukunft sei, vor dem der ganze „heil¬
lose" Tonschnitt die Segel streichen müsse, kann ich nur für eine arge Selbst¬
täuschung halten. Wie sehr sie das ist, lehren ein paar sehr einfache Er¬
wägungen, die — wahrscheinlich ihrer Einfachheit wegen — von den meisten
Kritikern bisher nicht angestellt worden sind.

Zunächst erlaube ich mir zu bemerken, daß der Holzschnitt selbst, d. h.
die Technik als solche, mit dieser Reform nicht das geringste zu thun hat.
Wenn unsre Illustratoren plötzlich aus irgend welchen Gründen, sagen wir
einmal, weil es in England und Frankreich Mode geworden ist, anfangen, ihre
Illustrationen statt malerisch mit dem Pinsel oder der spitzen Feder vielmehr
mit der dicken klotzigen Rohrfeder zu zeichnen, so kann man darüber ja ver¬
schieden urteilen, je nachdem man den Archaismus in der Kunst für etwas
Gesundes oder Ungesundes hält. Den Holzschnitt als solchen geht aber diese
Frage nichts an. Der Holzschnitt kann auf der Stufe, die er im Ton-


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[0232] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft hatten, und War eine Nachbildung der malerischen Federzeichnung. Und der Tonschnitt entspricht den koloristischen Bestrebungen des modernen Realismus und ist eine Nachbildung des Aquarells, der königer lavierten Zeichnung. Die Frage ist nun die: Haben wir es hier mit einer natürlichen, im Wesen des Holzschnitts liegenden Entwicklung zu thun, oder mit einer Ver- irrung, einem Verleugnen seiner reinen Stilprinzipien? Wenn wir den Wort¬ führern der modernen Bewegung glauben wollten, müßten wir das zweite an¬ nehmen. Diese Reformer bezeichnen den Tonschnitt als stillos, wollen die Technik auf den alten Linienholzschnitt zurückschrauben. Und zwar nicht etwa ans den Linienholzschnitt Dürers — der ist ihnen schon viel zu entwickelt —, sondern auf den des fünfzehnten Jahrhunderts. Vallotton und Otto Eckmaun zeichnen etwa im Stil der Inkunabeln um 1400, Sattler im Stil der an¬ spruchslosen italienischen Holzschnitte aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Zuweilen ist man sogar noch über den Stil der Inkunabeln zurückgegangen und hat ihn durch einen frei erfundnen Embryostil ersetzt, der dem Lallen eines kleinen Kindes gleicht. Man behauptet, die spezifischen Wirkungen des Holzschnitts liegen in dem schroffen Gegensatz von Schwarz und Weiß, in klotzigen Umrissen und Vermeidung aller Mitteltöne. Und man begründet das, indem man behauptet, nur so könne sich der Holzschnitt dem Charakter der Druckerthpe annähern, nur so ein harmonisches Ensemble von Satz und Illustration entstehen. Ich will nun durchaus nicht leugnen, daß die Holzschnitte der er¬ wähnten Künstler und andrer, die in ihrem Sinne arbeiten, höchst amüsante und anregende Experimente sind, die man sich ganz gern einmal gefallen läßt, weil man das Gefühl hat: das sind Leute, die etwas können, die es versteh», mit den denkbar geringsten Mitteln überraschende Wirkungen hervorzubringen. Aber die Behauptung, daß dieser Stil den Beginn einer neuen Ära des Holz¬ schnitts darstelle, daß er der Stil der Zukunft sei, vor dem der ganze „heil¬ lose" Tonschnitt die Segel streichen müsse, kann ich nur für eine arge Selbst¬ täuschung halten. Wie sehr sie das ist, lehren ein paar sehr einfache Er¬ wägungen, die — wahrscheinlich ihrer Einfachheit wegen — von den meisten Kritikern bisher nicht angestellt worden sind. Zunächst erlaube ich mir zu bemerken, daß der Holzschnitt selbst, d. h. die Technik als solche, mit dieser Reform nicht das geringste zu thun hat. Wenn unsre Illustratoren plötzlich aus irgend welchen Gründen, sagen wir einmal, weil es in England und Frankreich Mode geworden ist, anfangen, ihre Illustrationen statt malerisch mit dem Pinsel oder der spitzen Feder vielmehr mit der dicken klotzigen Rohrfeder zu zeichnen, so kann man darüber ja ver¬ schieden urteilen, je nachdem man den Archaismus in der Kunst für etwas Gesundes oder Ungesundes hält. Den Holzschnitt als solchen geht aber diese Frage nichts an. Der Holzschnitt kann auf der Stufe, die er im Ton-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/232>, abgerufen am 15.01.2025.