Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft schnitt erreicht hat, alles, was man von ihm verlangt, ausführen. Er strebt Aber auch die schlechten Holzschneider würden es so nicht lange treiben, Man kann es den modernen Holzschneidern nicht übel nehmen, wenn sie Grenzboten IN 189g 29
Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft schnitt erreicht hat, alles, was man von ihm verlangt, ausführen. Er strebt Aber auch die schlechten Holzschneider würden es so nicht lange treiben, Man kann es den modernen Holzschneidern nicht übel nehmen, wenn sie Grenzboten IN 189g 29
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231403"/> <fw type="header" place="top"> Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_734" prev="#ID_733"> schnitt erreicht hat, alles, was man von ihm verlangt, ausführen. Er strebt<lb/> wie jede normal entwickelte Kunst nach höchster Steigerung des technischen<lb/> Könnens. Ein besserer Xylograph kann die feinste Pinselzcichnuug, das male¬<lb/> rischste Gemälde mit verblüffender Wahrheit wiedergeben. Er kann natürlich<lb/> auch einfachere Vorlagen ausführen. Verlangt man das von ihm, giebt man<lb/> ihm Vorlagen, die statt mit dem Grabstichel auch allenfalls mit einem Küchen¬<lb/> messer oder einem rostigen Nagel in den Holzstock eingekratzt werden könnten,<lb/> nun gut, so wird er sie mit einem Küchenmesser oder einem rostigen Nagel<lb/> einkratzen. Oder besser gesagt, er wird sie einem Lehrling oder Stümper über¬<lb/> lassen, der einer solchen Arbeit genau so gut gewachsen ist wie er, dessen<lb/> Arbeitskraft verhältnismäßig teuer bezahlt werden muß. Dem Vorstand einer<lb/> xylographischen Anstalt könnte gewiß nichts Angenehmeres passieren, als wenn<lb/> ihm lauter solche Zeichnungen zur Ausführung übergeben und die danach aus¬<lb/> geführten Holzschnitte als Kunstleistungen ersten Ranges bezahlt würden. Er<lb/> würde sofort die bessern und teurem Arbeiter entlassen und sich mit den<lb/> schlechter bezahlten behelfen. Man sage nicht: Zur Ausführung dieser Zeich¬<lb/> nungen gehören denkende Künstler, die den Intentionen der geistreichen Zeichner<lb/> bis in die feinsten Feinheiten nachzukommen verstehen. Denn wenn man nur<lb/> einige Kenntnis der Technik hat, so weiß man, daß diese Zeichnungen durch die<lb/> Photographie, also rein mechanisch auf den Holzstock übertragen werden, und<lb/> daß es nachher — da es sich ja um Faksimileschnitt handelt — nur noch<lb/> darauf ankommt, Strich für Strich so genau wie möglich nachzuschreiben. Und<lb/> das ist natürlich umso leichter, je gröber die Striche sind, mögen sie auch im<lb/> künstlerischen Sinne noch so ausdrucksvoll sein. Die einfache Folge dieser Reform<lb/> wäre also die, daß die wirklich guten Holzschneider entweder verhungerten oder<lb/> sich einem lohnendem Beruf zuwendeten. Der Holzschnitt würde unrettbar<lb/> verfallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_735"> Aber auch die schlechten Holzschneider würden es so nicht lange treiben,<lb/> da ja Zeichner und Besteller sehr bald auf den schlauem Gedanken kommen<lb/> würden, daß für Zeichnungen dieser Art nicht der Holzschnitt, sondern die<lb/> Zinkographie die gegebne Technik ist. Was hat es für einen Zweck, die mensch¬<lb/> liche Hand und die teure menschliche Arbeitskraft in Anspruch zu nehmen, wo<lb/> die Zinkhochätzung mit photographischer Übertragung der Zeichnung auf die<lb/> Platte genau dasselbe leistet? Hier würde also thatsächlich der Holzschnitt<lb/> von der photomcchanischen Vervielfältigungsart verdrängt werden. Und wenn<lb/> dann der Verleger schließlich eine auf diesem Wege hergestellte Zinkplatte durch<lb/> einen Xylographen retouchieren ließe, so würde sich dieser mit dem erhebenden<lb/> Bewußtsein trösten können, daß diese Thätigkeit das einzige wäre, was als¬<lb/> dann die moderne Nückwärtsreform noch vom modernen Holzschnitt übrig ge¬<lb/> lassen hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_736" next="#ID_737"> Man kann es den modernen Holzschneidern nicht übel nehmen, wenn sie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IN 189g 29</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0233]
Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft
schnitt erreicht hat, alles, was man von ihm verlangt, ausführen. Er strebt
wie jede normal entwickelte Kunst nach höchster Steigerung des technischen
Könnens. Ein besserer Xylograph kann die feinste Pinselzcichnuug, das male¬
rischste Gemälde mit verblüffender Wahrheit wiedergeben. Er kann natürlich
auch einfachere Vorlagen ausführen. Verlangt man das von ihm, giebt man
ihm Vorlagen, die statt mit dem Grabstichel auch allenfalls mit einem Küchen¬
messer oder einem rostigen Nagel in den Holzstock eingekratzt werden könnten,
nun gut, so wird er sie mit einem Küchenmesser oder einem rostigen Nagel
einkratzen. Oder besser gesagt, er wird sie einem Lehrling oder Stümper über¬
lassen, der einer solchen Arbeit genau so gut gewachsen ist wie er, dessen
Arbeitskraft verhältnismäßig teuer bezahlt werden muß. Dem Vorstand einer
xylographischen Anstalt könnte gewiß nichts Angenehmeres passieren, als wenn
ihm lauter solche Zeichnungen zur Ausführung übergeben und die danach aus¬
geführten Holzschnitte als Kunstleistungen ersten Ranges bezahlt würden. Er
würde sofort die bessern und teurem Arbeiter entlassen und sich mit den
schlechter bezahlten behelfen. Man sage nicht: Zur Ausführung dieser Zeich¬
nungen gehören denkende Künstler, die den Intentionen der geistreichen Zeichner
bis in die feinsten Feinheiten nachzukommen verstehen. Denn wenn man nur
einige Kenntnis der Technik hat, so weiß man, daß diese Zeichnungen durch die
Photographie, also rein mechanisch auf den Holzstock übertragen werden, und
daß es nachher — da es sich ja um Faksimileschnitt handelt — nur noch
darauf ankommt, Strich für Strich so genau wie möglich nachzuschreiben. Und
das ist natürlich umso leichter, je gröber die Striche sind, mögen sie auch im
künstlerischen Sinne noch so ausdrucksvoll sein. Die einfache Folge dieser Reform
wäre also die, daß die wirklich guten Holzschneider entweder verhungerten oder
sich einem lohnendem Beruf zuwendeten. Der Holzschnitt würde unrettbar
verfallen.
Aber auch die schlechten Holzschneider würden es so nicht lange treiben,
da ja Zeichner und Besteller sehr bald auf den schlauem Gedanken kommen
würden, daß für Zeichnungen dieser Art nicht der Holzschnitt, sondern die
Zinkographie die gegebne Technik ist. Was hat es für einen Zweck, die mensch¬
liche Hand und die teure menschliche Arbeitskraft in Anspruch zu nehmen, wo
die Zinkhochätzung mit photographischer Übertragung der Zeichnung auf die
Platte genau dasselbe leistet? Hier würde also thatsächlich der Holzschnitt
von der photomcchanischen Vervielfältigungsart verdrängt werden. Und wenn
dann der Verleger schließlich eine auf diesem Wege hergestellte Zinkplatte durch
einen Xylographen retouchieren ließe, so würde sich dieser mit dem erhebenden
Bewußtsein trösten können, daß diese Thätigkeit das einzige wäre, was als¬
dann die moderne Nückwärtsreform noch vom modernen Holzschnitt übrig ge¬
lassen hätte.
Man kann es den modernen Holzschneidern nicht übel nehmen, wenn sie
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