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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Ankunft

Denn es ist doch ohne Zweifel eine viel natürlichere Art, einen Schattenton
herzustellen, wenn man den schwarzen Grund durch eingestochne Linien aufhellt,
als wenn man ihn aus schwarzen Linien herstellt, deren jede, um im Holzstock
stehn zu bleiben, sorgfältig umschritten werden muß. Das erste Verfahren ist
ein positives, indem die Linie unmittelbar mit dem Stichel in den Holzstock
gekratzt wird, das letzte ein negatives oder indirektes. Es war in der That
das El des Kolumbus, als Vewick das bis dahin herrschende Verfahren einfach
umdrehte, und man begreift nicht, daß der Tonschnitt nicht schon viel früher
erfunden worden ist, zumal da schon in den Schrotblättern des fünfzehnten
Jahrhunderts im wesentlichen dasselbe Prinzip, wenn auch zunächst ohne
malerische Tendenz, angewandt worden war.

Gewissermaßen eine Mittelstufe zwischen dem ältern Linienschnitt, wie ihn
Dürer und seine Zeitgenossen übten, und dem Tonschnitt, dessen Beispiele man
heutzutage in jedem illustrierten Journal finden kann, nimmt der moderne
Faksimileschnitt ein, der bei uns in den vierziger Jahren des Jahrhunderts
besonders durch die Anregung Menzels von Kretzschmar, den beiden Vogel,
Unzelmann u. a. in Berlin und Leipzig ausgebildet worden ist. Mit dem Ton¬
schnitt hat er gemein das Streben nach malerischer Wirkung, mit dem Linienschnitt
das Arbeiten in Linien, d. h. in schwarzen Linien auf weißem Grunde. Nur sind
diese nicht wie beim ältern deutschen Linienschnitt mit der kräftigen Rohrfeder
oder dem spitzen Pinsel, als parallele oder sich kreuzende Schraffierungen, sondern
mit der spitzen Feder, als seine malerische und unregelmäßig angeordnete Striche
auf den Holzstock gezeichnet. Die Wirkung ist infolgedessen ähnlich wie bei einer
Radierung, die ja auch einer ganz frei und malerisch behandelten Federzeichnung
ähnelt. Es ist dies die Technik, die neben dem Tonschnitt gegenwärtig am
meisten gebräuchlich ist, und in der alle die Illustrationen unsers Jahrhunderts
ausgeführt sind, die keine Nachahmungen des altdeutschen Linienschnitts und doch
auch keine Tonschnitte sind. Das Verfahren bildet, historisch und ästhetisch
betrachtet, ein Übergangsstadium zwischen dem altdeutschen Linienschnitt, wie
ihn besonders Bürkner in Dresden und seine Nachfolger nach Nethel, Richter,
Schwind, Schmorr usw. handhabten, und dem Tonschnitt, den in Frankreich
besonders Dore kultivierte, und der in den siebziger Jahren zu uns gelangt ist.
Die Entwicklung des Holzschnitts in unserm Jahrhundert stellt also eine immer
größere Annäherung an malerische Prinzipien dar und im Zusammenhang
damit eine immer größere Vergeistigung der Technik. Der altertümliche Linien¬
schnitt, mit dem nach der Wiedererweckung des Holzschnitts natürlich angefangen
werden mußte, und auf den auch die romantische Bewegung mit Notwendigkeit
hinwies, war rein zeichnerisch, d. h. ein Abbild der Federzeichnung oder Blei¬
stiftzeichnung in Konturen, wie sie damals herrschte. Der moderne Fakstmile-
schnitt trug den malerischen Bestrebungen Rechnung, die seit den vierziger
Jahren von Frankreich und Belgien her in Deutschland Eingang gefunden


Der moderne Holzschnitt und seine Ankunft

Denn es ist doch ohne Zweifel eine viel natürlichere Art, einen Schattenton
herzustellen, wenn man den schwarzen Grund durch eingestochne Linien aufhellt,
als wenn man ihn aus schwarzen Linien herstellt, deren jede, um im Holzstock
stehn zu bleiben, sorgfältig umschritten werden muß. Das erste Verfahren ist
ein positives, indem die Linie unmittelbar mit dem Stichel in den Holzstock
gekratzt wird, das letzte ein negatives oder indirektes. Es war in der That
das El des Kolumbus, als Vewick das bis dahin herrschende Verfahren einfach
umdrehte, und man begreift nicht, daß der Tonschnitt nicht schon viel früher
erfunden worden ist, zumal da schon in den Schrotblättern des fünfzehnten
Jahrhunderts im wesentlichen dasselbe Prinzip, wenn auch zunächst ohne
malerische Tendenz, angewandt worden war.

Gewissermaßen eine Mittelstufe zwischen dem ältern Linienschnitt, wie ihn
Dürer und seine Zeitgenossen übten, und dem Tonschnitt, dessen Beispiele man
heutzutage in jedem illustrierten Journal finden kann, nimmt der moderne
Faksimileschnitt ein, der bei uns in den vierziger Jahren des Jahrhunderts
besonders durch die Anregung Menzels von Kretzschmar, den beiden Vogel,
Unzelmann u. a. in Berlin und Leipzig ausgebildet worden ist. Mit dem Ton¬
schnitt hat er gemein das Streben nach malerischer Wirkung, mit dem Linienschnitt
das Arbeiten in Linien, d. h. in schwarzen Linien auf weißem Grunde. Nur sind
diese nicht wie beim ältern deutschen Linienschnitt mit der kräftigen Rohrfeder
oder dem spitzen Pinsel, als parallele oder sich kreuzende Schraffierungen, sondern
mit der spitzen Feder, als seine malerische und unregelmäßig angeordnete Striche
auf den Holzstock gezeichnet. Die Wirkung ist infolgedessen ähnlich wie bei einer
Radierung, die ja auch einer ganz frei und malerisch behandelten Federzeichnung
ähnelt. Es ist dies die Technik, die neben dem Tonschnitt gegenwärtig am
meisten gebräuchlich ist, und in der alle die Illustrationen unsers Jahrhunderts
ausgeführt sind, die keine Nachahmungen des altdeutschen Linienschnitts und doch
auch keine Tonschnitte sind. Das Verfahren bildet, historisch und ästhetisch
betrachtet, ein Übergangsstadium zwischen dem altdeutschen Linienschnitt, wie
ihn besonders Bürkner in Dresden und seine Nachfolger nach Nethel, Richter,
Schwind, Schmorr usw. handhabten, und dem Tonschnitt, den in Frankreich
besonders Dore kultivierte, und der in den siebziger Jahren zu uns gelangt ist.
Die Entwicklung des Holzschnitts in unserm Jahrhundert stellt also eine immer
größere Annäherung an malerische Prinzipien dar und im Zusammenhang
damit eine immer größere Vergeistigung der Technik. Der altertümliche Linien¬
schnitt, mit dem nach der Wiedererweckung des Holzschnitts natürlich angefangen
werden mußte, und auf den auch die romantische Bewegung mit Notwendigkeit
hinwies, war rein zeichnerisch, d. h. ein Abbild der Federzeichnung oder Blei¬
stiftzeichnung in Konturen, wie sie damals herrschte. Der moderne Fakstmile-
schnitt trug den malerischen Bestrebungen Rechnung, die seit den vierziger
Jahren von Frankreich und Belgien her in Deutschland Eingang gefunden


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[0231] Der moderne Holzschnitt und seine Ankunft Denn es ist doch ohne Zweifel eine viel natürlichere Art, einen Schattenton herzustellen, wenn man den schwarzen Grund durch eingestochne Linien aufhellt, als wenn man ihn aus schwarzen Linien herstellt, deren jede, um im Holzstock stehn zu bleiben, sorgfältig umschritten werden muß. Das erste Verfahren ist ein positives, indem die Linie unmittelbar mit dem Stichel in den Holzstock gekratzt wird, das letzte ein negatives oder indirektes. Es war in der That das El des Kolumbus, als Vewick das bis dahin herrschende Verfahren einfach umdrehte, und man begreift nicht, daß der Tonschnitt nicht schon viel früher erfunden worden ist, zumal da schon in den Schrotblättern des fünfzehnten Jahrhunderts im wesentlichen dasselbe Prinzip, wenn auch zunächst ohne malerische Tendenz, angewandt worden war. Gewissermaßen eine Mittelstufe zwischen dem ältern Linienschnitt, wie ihn Dürer und seine Zeitgenossen übten, und dem Tonschnitt, dessen Beispiele man heutzutage in jedem illustrierten Journal finden kann, nimmt der moderne Faksimileschnitt ein, der bei uns in den vierziger Jahren des Jahrhunderts besonders durch die Anregung Menzels von Kretzschmar, den beiden Vogel, Unzelmann u. a. in Berlin und Leipzig ausgebildet worden ist. Mit dem Ton¬ schnitt hat er gemein das Streben nach malerischer Wirkung, mit dem Linienschnitt das Arbeiten in Linien, d. h. in schwarzen Linien auf weißem Grunde. Nur sind diese nicht wie beim ältern deutschen Linienschnitt mit der kräftigen Rohrfeder oder dem spitzen Pinsel, als parallele oder sich kreuzende Schraffierungen, sondern mit der spitzen Feder, als seine malerische und unregelmäßig angeordnete Striche auf den Holzstock gezeichnet. Die Wirkung ist infolgedessen ähnlich wie bei einer Radierung, die ja auch einer ganz frei und malerisch behandelten Federzeichnung ähnelt. Es ist dies die Technik, die neben dem Tonschnitt gegenwärtig am meisten gebräuchlich ist, und in der alle die Illustrationen unsers Jahrhunderts ausgeführt sind, die keine Nachahmungen des altdeutschen Linienschnitts und doch auch keine Tonschnitte sind. Das Verfahren bildet, historisch und ästhetisch betrachtet, ein Übergangsstadium zwischen dem altdeutschen Linienschnitt, wie ihn besonders Bürkner in Dresden und seine Nachfolger nach Nethel, Richter, Schwind, Schmorr usw. handhabten, und dem Tonschnitt, den in Frankreich besonders Dore kultivierte, und der in den siebziger Jahren zu uns gelangt ist. Die Entwicklung des Holzschnitts in unserm Jahrhundert stellt also eine immer größere Annäherung an malerische Prinzipien dar und im Zusammenhang damit eine immer größere Vergeistigung der Technik. Der altertümliche Linien¬ schnitt, mit dem nach der Wiedererweckung des Holzschnitts natürlich angefangen werden mußte, und auf den auch die romantische Bewegung mit Notwendigkeit hinwies, war rein zeichnerisch, d. h. ein Abbild der Federzeichnung oder Blei¬ stiftzeichnung in Konturen, wie sie damals herrschte. Der moderne Fakstmile- schnitt trug den malerischen Bestrebungen Rechnung, die seit den vierziger Jahren von Frankreich und Belgien her in Deutschland Eingang gefunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/231>, abgerufen am 15.01.2025.