Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

Auch in dem Recht des Staats, Vereine und Versammlungen aufzulösen,
kann natürlich unter Umständen eine Beeinträchtigung des Koalitionsrechts der
Arbeiter gefunden werden, wodurch die Notwendigkeit des staatlichen Auf¬
lösungsrechts selbstverständlich nicht bestritten ist. "Der einzige deutsche Staat,
sagte darüber Löning wörtlich, in dem Vereine und Versammlungen gegen
willkürliche Auflösungen gesetzlich so weit geschützt sind, als dies durch Gesetz
überhaupt möglich ist, ist Preußen."

Und das alles hat der Verein für Sozialpolitik keineswegs mit Entrüstung
zurückgewiesen. Der Vorsitzende hat zwar in seiner zu einer scharfen Kritik
geradezu herausfordernden Zusammenfassung der Ergebnisse der Debatte einfach
gesagt: "Die größte Meinungsverschiedenheit blieb aber bestehn in der Frage:
Sollen die Strafbestimmungen des Z 153 aufrecht erhalten bleiben, verschärft
oder vermindert werden; darüber hat sich eine abschließende Anschauung nicht
gebildet." Schon das würde ja dem Entrüstuugsschwindel jede Berechtigung
nehmen; das Verhandlnngsprotokoll ergiebt aber, daß Löning von niemand
widerlegt und auch nur von einer Anzahl Exaltados, die ganz gewiß nicht als
Stimmführer der deutschen Staatswissenschaft angesehen werden können, aus¬
drücklich angefochten worden ist.

Natürlich hat es an Opposition oder doch an scharf abweichenden An¬
sichten nicht gefehlt. Außer dem Hauptoppoueuteu Dr. Jastrow (Berlin)
thaten sich dabei hervor der Mitrcferent Professor Herkner (Karlsruhe) und
Professor Tönnies (Kiel). Sie hatten sich auch unter den gelehrten Schürern
und Protektoren des Hamburger Hafenarbeiterausstands besonders hervor¬
gethan. Dann ist der um die Schulung gewisser dazu geeigneter Arbeitskreise
zum verständigen Gebrauch des Koalitionsrechts gewiß hochverdiente Dr. Max
Hirsch hier zu nennen, der von seiner Parteibefangenheit zu argen Extravaganzen
getrieben wurde. Schließlich sind Professor Pierstorff (Jena) und der so
rühmlich bekannte Professor Quitte nicht zu vergessen, wenn sie auch direkt
gegen Lönings Referat nichts von irgend welcher Bedeutung vorzubringen
wußten. Brentano und Schmoller sprachen überhaupt nicht.

Die Professoren Neumann (Tübingen), Wagner (Berlin), Gierke (Berlin),
Hasbach (Kiel) und Dr. Ehrenberg (Altona, jetzt Professor in Göttingen) wiesen
dagegen die Übertreibungen der Opponenten zum Teil scharf zurück, zum Teil
übten sie eine Kritik an dem Wesen und am Wert der ganzen Koalitions¬
schwärmerei, die an dem fünfundzwanzigjührigen Jnbilüum ihrer Pflege durch
den Verein für Sozialpolitik um so lehrreicher war und praktisch nichts weiter
bedeutete, als einen Verzicht der ehrlichen, ernsthaften Kathedersvzialisten darauf,
die Staatsgewalt fernerhin in ihrer verantwortlichen Sorge für das Gemein¬
wohl und die öffentliche Ordnung mit dieser unklaren und verantwortungs¬
freien Lehrmeinung und Doktorfrage zu behelligen. Professor Hasbach sagte
in dieser Beziehung wörtlich folgendes:


Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

Auch in dem Recht des Staats, Vereine und Versammlungen aufzulösen,
kann natürlich unter Umständen eine Beeinträchtigung des Koalitionsrechts der
Arbeiter gefunden werden, wodurch die Notwendigkeit des staatlichen Auf¬
lösungsrechts selbstverständlich nicht bestritten ist. „Der einzige deutsche Staat,
sagte darüber Löning wörtlich, in dem Vereine und Versammlungen gegen
willkürliche Auflösungen gesetzlich so weit geschützt sind, als dies durch Gesetz
überhaupt möglich ist, ist Preußen."

Und das alles hat der Verein für Sozialpolitik keineswegs mit Entrüstung
zurückgewiesen. Der Vorsitzende hat zwar in seiner zu einer scharfen Kritik
geradezu herausfordernden Zusammenfassung der Ergebnisse der Debatte einfach
gesagt: „Die größte Meinungsverschiedenheit blieb aber bestehn in der Frage:
Sollen die Strafbestimmungen des Z 153 aufrecht erhalten bleiben, verschärft
oder vermindert werden; darüber hat sich eine abschließende Anschauung nicht
gebildet." Schon das würde ja dem Entrüstuugsschwindel jede Berechtigung
nehmen; das Verhandlnngsprotokoll ergiebt aber, daß Löning von niemand
widerlegt und auch nur von einer Anzahl Exaltados, die ganz gewiß nicht als
Stimmführer der deutschen Staatswissenschaft angesehen werden können, aus¬
drücklich angefochten worden ist.

Natürlich hat es an Opposition oder doch an scharf abweichenden An¬
sichten nicht gefehlt. Außer dem Hauptoppoueuteu Dr. Jastrow (Berlin)
thaten sich dabei hervor der Mitrcferent Professor Herkner (Karlsruhe) und
Professor Tönnies (Kiel). Sie hatten sich auch unter den gelehrten Schürern
und Protektoren des Hamburger Hafenarbeiterausstands besonders hervor¬
gethan. Dann ist der um die Schulung gewisser dazu geeigneter Arbeitskreise
zum verständigen Gebrauch des Koalitionsrechts gewiß hochverdiente Dr. Max
Hirsch hier zu nennen, der von seiner Parteibefangenheit zu argen Extravaganzen
getrieben wurde. Schließlich sind Professor Pierstorff (Jena) und der so
rühmlich bekannte Professor Quitte nicht zu vergessen, wenn sie auch direkt
gegen Lönings Referat nichts von irgend welcher Bedeutung vorzubringen
wußten. Brentano und Schmoller sprachen überhaupt nicht.

Die Professoren Neumann (Tübingen), Wagner (Berlin), Gierke (Berlin),
Hasbach (Kiel) und Dr. Ehrenberg (Altona, jetzt Professor in Göttingen) wiesen
dagegen die Übertreibungen der Opponenten zum Teil scharf zurück, zum Teil
übten sie eine Kritik an dem Wesen und am Wert der ganzen Koalitions¬
schwärmerei, die an dem fünfundzwanzigjührigen Jnbilüum ihrer Pflege durch
den Verein für Sozialpolitik um so lehrreicher war und praktisch nichts weiter
bedeutete, als einen Verzicht der ehrlichen, ernsthaften Kathedersvzialisten darauf,
die Staatsgewalt fernerhin in ihrer verantwortlichen Sorge für das Gemein¬
wohl und die öffentliche Ordnung mit dieser unklaren und verantwortungs¬
freien Lehrmeinung und Doktorfrage zu behelligen. Professor Hasbach sagte
in dieser Beziehung wörtlich folgendes:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231383"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_669"> Auch in dem Recht des Staats, Vereine und Versammlungen aufzulösen,<lb/>
kann natürlich unter Umständen eine Beeinträchtigung des Koalitionsrechts der<lb/>
Arbeiter gefunden werden, wodurch die Notwendigkeit des staatlichen Auf¬<lb/>
lösungsrechts selbstverständlich nicht bestritten ist. &#x201E;Der einzige deutsche Staat,<lb/>
sagte darüber Löning wörtlich, in dem Vereine und Versammlungen gegen<lb/>
willkürliche Auflösungen gesetzlich so weit geschützt sind, als dies durch Gesetz<lb/>
überhaupt möglich ist, ist Preußen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_670"> Und das alles hat der Verein für Sozialpolitik keineswegs mit Entrüstung<lb/>
zurückgewiesen. Der Vorsitzende hat zwar in seiner zu einer scharfen Kritik<lb/>
geradezu herausfordernden Zusammenfassung der Ergebnisse der Debatte einfach<lb/>
gesagt: &#x201E;Die größte Meinungsverschiedenheit blieb aber bestehn in der Frage:<lb/>
Sollen die Strafbestimmungen des Z 153 aufrecht erhalten bleiben, verschärft<lb/>
oder vermindert werden; darüber hat sich eine abschließende Anschauung nicht<lb/>
gebildet." Schon das würde ja dem Entrüstuugsschwindel jede Berechtigung<lb/>
nehmen; das Verhandlnngsprotokoll ergiebt aber, daß Löning von niemand<lb/>
widerlegt und auch nur von einer Anzahl Exaltados, die ganz gewiß nicht als<lb/>
Stimmführer der deutschen Staatswissenschaft angesehen werden können, aus¬<lb/>
drücklich angefochten worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_671"> Natürlich hat es an Opposition oder doch an scharf abweichenden An¬<lb/>
sichten nicht gefehlt. Außer dem Hauptoppoueuteu Dr. Jastrow (Berlin)<lb/>
thaten sich dabei hervor der Mitrcferent Professor Herkner (Karlsruhe) und<lb/>
Professor Tönnies (Kiel). Sie hatten sich auch unter den gelehrten Schürern<lb/>
und Protektoren des Hamburger Hafenarbeiterausstands besonders hervor¬<lb/>
gethan. Dann ist der um die Schulung gewisser dazu geeigneter Arbeitskreise<lb/>
zum verständigen Gebrauch des Koalitionsrechts gewiß hochverdiente Dr. Max<lb/>
Hirsch hier zu nennen, der von seiner Parteibefangenheit zu argen Extravaganzen<lb/>
getrieben wurde. Schließlich sind Professor Pierstorff (Jena) und der so<lb/>
rühmlich bekannte Professor Quitte nicht zu vergessen, wenn sie auch direkt<lb/>
gegen Lönings Referat nichts von irgend welcher Bedeutung vorzubringen<lb/>
wußten.  Brentano und Schmoller sprachen überhaupt nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_672"> Die Professoren Neumann (Tübingen), Wagner (Berlin), Gierke (Berlin),<lb/>
Hasbach (Kiel) und Dr. Ehrenberg (Altona, jetzt Professor in Göttingen) wiesen<lb/>
dagegen die Übertreibungen der Opponenten zum Teil scharf zurück, zum Teil<lb/>
übten sie eine Kritik an dem Wesen und am Wert der ganzen Koalitions¬<lb/>
schwärmerei, die an dem fünfundzwanzigjührigen Jnbilüum ihrer Pflege durch<lb/>
den Verein für Sozialpolitik um so lehrreicher war und praktisch nichts weiter<lb/>
bedeutete, als einen Verzicht der ehrlichen, ernsthaften Kathedersvzialisten darauf,<lb/>
die Staatsgewalt fernerhin in ihrer verantwortlichen Sorge für das Gemein¬<lb/>
wohl und die öffentliche Ordnung mit dieser unklaren und verantwortungs¬<lb/>
freien Lehrmeinung und Doktorfrage zu behelligen. Professor Hasbach sagte<lb/>
in dieser Beziehung wörtlich folgendes:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Auch in dem Recht des Staats, Vereine und Versammlungen aufzulösen, kann natürlich unter Umständen eine Beeinträchtigung des Koalitionsrechts der Arbeiter gefunden werden, wodurch die Notwendigkeit des staatlichen Auf¬ lösungsrechts selbstverständlich nicht bestritten ist. „Der einzige deutsche Staat, sagte darüber Löning wörtlich, in dem Vereine und Versammlungen gegen willkürliche Auflösungen gesetzlich so weit geschützt sind, als dies durch Gesetz überhaupt möglich ist, ist Preußen." Und das alles hat der Verein für Sozialpolitik keineswegs mit Entrüstung zurückgewiesen. Der Vorsitzende hat zwar in seiner zu einer scharfen Kritik geradezu herausfordernden Zusammenfassung der Ergebnisse der Debatte einfach gesagt: „Die größte Meinungsverschiedenheit blieb aber bestehn in der Frage: Sollen die Strafbestimmungen des Z 153 aufrecht erhalten bleiben, verschärft oder vermindert werden; darüber hat sich eine abschließende Anschauung nicht gebildet." Schon das würde ja dem Entrüstuugsschwindel jede Berechtigung nehmen; das Verhandlnngsprotokoll ergiebt aber, daß Löning von niemand widerlegt und auch nur von einer Anzahl Exaltados, die ganz gewiß nicht als Stimmführer der deutschen Staatswissenschaft angesehen werden können, aus¬ drücklich angefochten worden ist. Natürlich hat es an Opposition oder doch an scharf abweichenden An¬ sichten nicht gefehlt. Außer dem Hauptoppoueuteu Dr. Jastrow (Berlin) thaten sich dabei hervor der Mitrcferent Professor Herkner (Karlsruhe) und Professor Tönnies (Kiel). Sie hatten sich auch unter den gelehrten Schürern und Protektoren des Hamburger Hafenarbeiterausstands besonders hervor¬ gethan. Dann ist der um die Schulung gewisser dazu geeigneter Arbeitskreise zum verständigen Gebrauch des Koalitionsrechts gewiß hochverdiente Dr. Max Hirsch hier zu nennen, der von seiner Parteibefangenheit zu argen Extravaganzen getrieben wurde. Schließlich sind Professor Pierstorff (Jena) und der so rühmlich bekannte Professor Quitte nicht zu vergessen, wenn sie auch direkt gegen Lönings Referat nichts von irgend welcher Bedeutung vorzubringen wußten. Brentano und Schmoller sprachen überhaupt nicht. Die Professoren Neumann (Tübingen), Wagner (Berlin), Gierke (Berlin), Hasbach (Kiel) und Dr. Ehrenberg (Altona, jetzt Professor in Göttingen) wiesen dagegen die Übertreibungen der Opponenten zum Teil scharf zurück, zum Teil übten sie eine Kritik an dem Wesen und am Wert der ganzen Koalitions¬ schwärmerei, die an dem fünfundzwanzigjührigen Jnbilüum ihrer Pflege durch den Verein für Sozialpolitik um so lehrreicher war und praktisch nichts weiter bedeutete, als einen Verzicht der ehrlichen, ernsthaften Kathedersvzialisten darauf, die Staatsgewalt fernerhin in ihrer verantwortlichen Sorge für das Gemein¬ wohl und die öffentliche Ordnung mit dieser unklaren und verantwortungs¬ freien Lehrmeinung und Doktorfrage zu behelligen. Professor Hasbach sagte in dieser Beziehung wörtlich folgendes:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/213>, abgerufen am 15.01.2025.