Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Mit aller Bestimmtheit sehen wir also den Hauptreferenten des Vereins Aber wie urteilte Löning über den Stand des Vereins- und Versamm- Er äußerte sich darüber im wesentlichen wie folgt: Es sei unrichtig, Er ist dabei aber der Meinung, daß, solange Frauen kein politisches Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Mit aller Bestimmtheit sehen wir also den Hauptreferenten des Vereins Aber wie urteilte Löning über den Stand des Vereins- und Versamm- Er äußerte sich darüber im wesentlichen wie folgt: Es sei unrichtig, Er ist dabei aber der Meinung, daß, solange Frauen kein politisches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231382"/> <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/> <p xml:id="ID_665"> Mit aller Bestimmtheit sehen wir also den Hauptreferenten des Vereins<lb/> für Sozialpolitik für die Erweiterung und Verschärfung des Z 153 der Ge¬<lb/> werbeordnung eintreten. Schon nach dem bisher Mitgeteilten muß eigentlich<lb/> jeder, der bei nüchternem Verstände ist und die Wahrheit sagen will, anerkennen,<lb/> daß, wenn sich der Verein für Sozialpolitik nicht über Lönings Referat von<lb/> 1897 entrüstete, der Reichstag keinen Grund hat, sich über die gesetzgeberische<lb/> Absicht der verbündeten Regierungen von 1899 zu entrüsten.</p><lb/> <p xml:id="ID_666"> Aber wie urteilte Löning über den Stand des Vereins- und Versamm-<lb/> lnngsrechts überhaupt? Hat er wenigstens insoweit den Entrüsteten ein Recht<lb/> gegeben, sich auf ihn zu berufen, als sie das Vereinsrecht und seine Hand¬<lb/> habung als so entsetzlich ungerecht, arbeiterfeindlich, unerträglich und deshalb<lb/> die Arbeitermassen so aufs äußerste erbitternd hinstellten, daß vor einer voll¬<lb/> ständigen Umgestaltung der Vereinsgesetzgebung von einer Existenz der Koalitions¬<lb/> freiheit überhaupt nicht die Rede sein könne, und schon deshalb die Verschärfung<lb/> der Strafen für den Mißbrauch dieses Rechts als unvernünftig mit Entrüstung<lb/> zurückgewiesen werden müsse?</p><lb/> <p xml:id="ID_667"> Er äußerte sich darüber im wesentlichen wie folgt: Es sei unrichtig,<lb/> wenn behauptet werde, daß durch die enge Umgrenzung, die der 8 152 der<lb/> Gewerbeordnung seinen die Aufhebung des alten Kvalitionsvervots enthaltenden<lb/> Bestimmungen gegeben habe, die Koalitionsfreiheit selbst in diese engen Schranken<lb/> gebannt und damit zum großen Teil illusorisch gemacht worden sei. Schon<lb/> die große Zahl der Arbeiterkoalitionen, die Jahr für Jahr erstünden, lieferten<lb/> den Gegenbeweis. Vereine und Versammlungen, die günstigere Lohn- und<lb/> Arbeitsbedingungen zu erlangen suchten, seien deshalb noch nicht verboten,<lb/> weil in ihnen allgemeine öffentliche Angelegenheiten erörtert würden, oder weil<lb/> sie auf öffentliche Angelegenheiten einzuwirken suchten, sondern sie stünden dann<lb/> eben nur unter dem Landesrecht über „politische" Versammlungen und Vereine.<lb/> In dem größten Teile von Deutschland seien die politischen Versammlungen<lb/> und Vereine nicht solchen Beschränkungen unterworfen, „daß dadurch die<lb/> Arbeiter in der Bethätigung der Koalitionsfreiheit beschränkt würden, abgesehen<lb/> von den Vorschriften, daß politische Vereine mit andern Vereinen nicht zu<lb/> gleichen Zwecken in Verbindung treten und Frauen und Minderjährige an<lb/> ihnen und an politischen Versammlungen nicht teilnehmen dürfen."</p><lb/> <p xml:id="ID_668"> Er ist dabei aber der Meinung, daß, solange Frauen kein politisches<lb/> Stimmrecht haben ^ und die Zeit dafür dürfte, wie er glaubt, noch lauge<lb/> nicht gekommen sein ^, die Frau auch den „politischen" Vereinen und Ver¬<lb/> sammlungen fern bleiben solle. Bei dem gegenwärtigen Stande der Gesetz¬<lb/> gebung seien dadurch die Frauen allerdings in ungerechter Weise in der Aus¬<lb/> übung des Koalitionsrechts beschränkt, und eine Änderung in dieser Richtung<lb/> sei erforderlich. Er halte es ferner auch für gerechtfertigt, daß Minderjährige<lb/> nicht an „politischen" Vereinen teilnehmen dürften.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
Mit aller Bestimmtheit sehen wir also den Hauptreferenten des Vereins
für Sozialpolitik für die Erweiterung und Verschärfung des Z 153 der Ge¬
werbeordnung eintreten. Schon nach dem bisher Mitgeteilten muß eigentlich
jeder, der bei nüchternem Verstände ist und die Wahrheit sagen will, anerkennen,
daß, wenn sich der Verein für Sozialpolitik nicht über Lönings Referat von
1897 entrüstete, der Reichstag keinen Grund hat, sich über die gesetzgeberische
Absicht der verbündeten Regierungen von 1899 zu entrüsten.
Aber wie urteilte Löning über den Stand des Vereins- und Versamm-
lnngsrechts überhaupt? Hat er wenigstens insoweit den Entrüsteten ein Recht
gegeben, sich auf ihn zu berufen, als sie das Vereinsrecht und seine Hand¬
habung als so entsetzlich ungerecht, arbeiterfeindlich, unerträglich und deshalb
die Arbeitermassen so aufs äußerste erbitternd hinstellten, daß vor einer voll¬
ständigen Umgestaltung der Vereinsgesetzgebung von einer Existenz der Koalitions¬
freiheit überhaupt nicht die Rede sein könne, und schon deshalb die Verschärfung
der Strafen für den Mißbrauch dieses Rechts als unvernünftig mit Entrüstung
zurückgewiesen werden müsse?
Er äußerte sich darüber im wesentlichen wie folgt: Es sei unrichtig,
wenn behauptet werde, daß durch die enge Umgrenzung, die der 8 152 der
Gewerbeordnung seinen die Aufhebung des alten Kvalitionsvervots enthaltenden
Bestimmungen gegeben habe, die Koalitionsfreiheit selbst in diese engen Schranken
gebannt und damit zum großen Teil illusorisch gemacht worden sei. Schon
die große Zahl der Arbeiterkoalitionen, die Jahr für Jahr erstünden, lieferten
den Gegenbeweis. Vereine und Versammlungen, die günstigere Lohn- und
Arbeitsbedingungen zu erlangen suchten, seien deshalb noch nicht verboten,
weil in ihnen allgemeine öffentliche Angelegenheiten erörtert würden, oder weil
sie auf öffentliche Angelegenheiten einzuwirken suchten, sondern sie stünden dann
eben nur unter dem Landesrecht über „politische" Versammlungen und Vereine.
In dem größten Teile von Deutschland seien die politischen Versammlungen
und Vereine nicht solchen Beschränkungen unterworfen, „daß dadurch die
Arbeiter in der Bethätigung der Koalitionsfreiheit beschränkt würden, abgesehen
von den Vorschriften, daß politische Vereine mit andern Vereinen nicht zu
gleichen Zwecken in Verbindung treten und Frauen und Minderjährige an
ihnen und an politischen Versammlungen nicht teilnehmen dürfen."
Er ist dabei aber der Meinung, daß, solange Frauen kein politisches
Stimmrecht haben ^ und die Zeit dafür dürfte, wie er glaubt, noch lauge
nicht gekommen sein ^, die Frau auch den „politischen" Vereinen und Ver¬
sammlungen fern bleiben solle. Bei dem gegenwärtigen Stande der Gesetz¬
gebung seien dadurch die Frauen allerdings in ungerechter Weise in der Aus¬
übung des Koalitionsrechts beschränkt, und eine Änderung in dieser Richtung
sei erforderlich. Er halte es ferner auch für gerechtfertigt, daß Minderjährige
nicht an „politischen" Vereinen teilnehmen dürften.
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