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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Mas lehrt der erste Tuberkulosekongreß?

(Potsdam) in Übereinstimmung mit allen frühern Forschern auf diesem Gebiet,
ist die Verhütung der Einatmung des feuchten und getrockneten Auswurfs,
sowie der beim Husten, Niesen, Räuspern usw. verspritzten Tröpfchen. Das ist
theoretisch sehr einfach, praktisch wohl in Krankenhäusern, vielleicht teilweise
auch in Schulen und Gefängnissen durchzuführen, aber doch wahrlich nicht im
freien Verkehrsleben, selbst wenn noch so viele belehrende Vorträge gehalten
und Schriften verteilt werden. Es ist unmöglich, daß sich Maßregeln, die
eine kurze Zeit lang bei akut eintretenden und akut verlaufenden Infektions¬
krankheiten wie Cholera und Pocken möglich sind, bei einer chronischen In¬
fektionskrankheit durchführen lassen, die eben, weil sie einen sehr großen Bruchteil
des Volkes ergreift, jetzt eine Volksseuche genannt wird. Man sollte vielmehr
die Prophhlaxe bei der Tuberkulose ebenso an der Wurzel anfassen wie bei den
genannten und andern akuten Seuchen. Der Pocken ist man durch die Schutz¬
pockenimpfung Herr geworden. Die Cholera hat man durch Verstopfung ihrer
Quelle, durch Absperrung des als schlecht erkannten Wassers beseitigt; den
Typhus hat man durch die Kanalisation der großen Städte in diesen zu einer
sporadischen Erscheinung gemacht. Die Malaria hat man nach Trockenlegung
sumpfiger Gegenden fast von der Bildfläche verschwinden sehen. Deshalb wäre
es folgerichtig, bei der Bekämpfung der Tuberkulose da mit aller Energie zu
beginnen, wo eine Aussicht aus Erfolg besteht: nicht nur beim Tuberkelbazillus,
dessen Wege bis zum Menschen oft recht verschlungen sind, sondern vor allem
bei dem für seine Entwicklung disponierten Menschen, bei seinem Nährboden,
wie der technische Ausdruck der Bakteriologen lautet. Dies hat auch der
Präsident des Neichsgcsundheitsamts in einer These zum Ausdruck gebracht:
"Es ist daher Pflicht, mit aller Kraft in den Kampf einzutreten, und kommen
in dieser Hinsicht sowohl solche Maßregeln in Betracht, welche sich gegen die
Krankheitserreger richten, als auch solche, welche auf Hebung der Widerstands¬
fähigkeit des menschlichen Körpers abzielen." Und noch deutlicher für den
Sozialpolitiker ist der erste Leitsatz des Herrn Krieger (Straßburg): "Die
äußern Lebensverhältnisse können die Ausbreitung der Tuberkulose entweder
in der Weise beeinflussen, daß sie den Körper örtlich oder allgemein dem Krank¬
heitserreger gegenüber in besondern: Maße empfänglich machen." Auch der
Bakteriologe Löffler, der gegen das früher herrschende Dogma von der Erblichkeit
der Tuberkulose nochmals zu Felde zieht und eine natürliche Empfänglichkeit
oder Unempfänglichkeit gegenüber dem Tuberkelbazillus bestreitet, führt aus, es
werde vor allem darauf ankommen, den menschlichen Organismus im allgemeinen
widerstandsfähig zu machen. Damit muß natürlich im Kindesalter begonnen
werden. So führt Heubner, der Berliner Professor der Kinderheilkunde, aus:
Eine Verminderung dieser Empfänglichkeit (für den Tuberkelbazillus) ist auf
diätetischem Wege, im weitesten Sinne des Wortes, anzustreben. Zur Diät
in diesem Sinne gehören aber vor allein ausreichende Ernährung und gesunde


Mas lehrt der erste Tuberkulosekongreß?

(Potsdam) in Übereinstimmung mit allen frühern Forschern auf diesem Gebiet,
ist die Verhütung der Einatmung des feuchten und getrockneten Auswurfs,
sowie der beim Husten, Niesen, Räuspern usw. verspritzten Tröpfchen. Das ist
theoretisch sehr einfach, praktisch wohl in Krankenhäusern, vielleicht teilweise
auch in Schulen und Gefängnissen durchzuführen, aber doch wahrlich nicht im
freien Verkehrsleben, selbst wenn noch so viele belehrende Vorträge gehalten
und Schriften verteilt werden. Es ist unmöglich, daß sich Maßregeln, die
eine kurze Zeit lang bei akut eintretenden und akut verlaufenden Infektions¬
krankheiten wie Cholera und Pocken möglich sind, bei einer chronischen In¬
fektionskrankheit durchführen lassen, die eben, weil sie einen sehr großen Bruchteil
des Volkes ergreift, jetzt eine Volksseuche genannt wird. Man sollte vielmehr
die Prophhlaxe bei der Tuberkulose ebenso an der Wurzel anfassen wie bei den
genannten und andern akuten Seuchen. Der Pocken ist man durch die Schutz¬
pockenimpfung Herr geworden. Die Cholera hat man durch Verstopfung ihrer
Quelle, durch Absperrung des als schlecht erkannten Wassers beseitigt; den
Typhus hat man durch die Kanalisation der großen Städte in diesen zu einer
sporadischen Erscheinung gemacht. Die Malaria hat man nach Trockenlegung
sumpfiger Gegenden fast von der Bildfläche verschwinden sehen. Deshalb wäre
es folgerichtig, bei der Bekämpfung der Tuberkulose da mit aller Energie zu
beginnen, wo eine Aussicht aus Erfolg besteht: nicht nur beim Tuberkelbazillus,
dessen Wege bis zum Menschen oft recht verschlungen sind, sondern vor allem
bei dem für seine Entwicklung disponierten Menschen, bei seinem Nährboden,
wie der technische Ausdruck der Bakteriologen lautet. Dies hat auch der
Präsident des Neichsgcsundheitsamts in einer These zum Ausdruck gebracht:
„Es ist daher Pflicht, mit aller Kraft in den Kampf einzutreten, und kommen
in dieser Hinsicht sowohl solche Maßregeln in Betracht, welche sich gegen die
Krankheitserreger richten, als auch solche, welche auf Hebung der Widerstands¬
fähigkeit des menschlichen Körpers abzielen." Und noch deutlicher für den
Sozialpolitiker ist der erste Leitsatz des Herrn Krieger (Straßburg): „Die
äußern Lebensverhältnisse können die Ausbreitung der Tuberkulose entweder
in der Weise beeinflussen, daß sie den Körper örtlich oder allgemein dem Krank¬
heitserreger gegenüber in besondern: Maße empfänglich machen." Auch der
Bakteriologe Löffler, der gegen das früher herrschende Dogma von der Erblichkeit
der Tuberkulose nochmals zu Felde zieht und eine natürliche Empfänglichkeit
oder Unempfänglichkeit gegenüber dem Tuberkelbazillus bestreitet, führt aus, es
werde vor allem darauf ankommen, den menschlichen Organismus im allgemeinen
widerstandsfähig zu machen. Damit muß natürlich im Kindesalter begonnen
werden. So führt Heubner, der Berliner Professor der Kinderheilkunde, aus:
Eine Verminderung dieser Empfänglichkeit (für den Tuberkelbazillus) ist auf
diätetischem Wege, im weitesten Sinne des Wortes, anzustreben. Zur Diät
in diesem Sinne gehören aber vor allein ausreichende Ernährung und gesunde


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[0109] Mas lehrt der erste Tuberkulosekongreß? (Potsdam) in Übereinstimmung mit allen frühern Forschern auf diesem Gebiet, ist die Verhütung der Einatmung des feuchten und getrockneten Auswurfs, sowie der beim Husten, Niesen, Räuspern usw. verspritzten Tröpfchen. Das ist theoretisch sehr einfach, praktisch wohl in Krankenhäusern, vielleicht teilweise auch in Schulen und Gefängnissen durchzuführen, aber doch wahrlich nicht im freien Verkehrsleben, selbst wenn noch so viele belehrende Vorträge gehalten und Schriften verteilt werden. Es ist unmöglich, daß sich Maßregeln, die eine kurze Zeit lang bei akut eintretenden und akut verlaufenden Infektions¬ krankheiten wie Cholera und Pocken möglich sind, bei einer chronischen In¬ fektionskrankheit durchführen lassen, die eben, weil sie einen sehr großen Bruchteil des Volkes ergreift, jetzt eine Volksseuche genannt wird. Man sollte vielmehr die Prophhlaxe bei der Tuberkulose ebenso an der Wurzel anfassen wie bei den genannten und andern akuten Seuchen. Der Pocken ist man durch die Schutz¬ pockenimpfung Herr geworden. Die Cholera hat man durch Verstopfung ihrer Quelle, durch Absperrung des als schlecht erkannten Wassers beseitigt; den Typhus hat man durch die Kanalisation der großen Städte in diesen zu einer sporadischen Erscheinung gemacht. Die Malaria hat man nach Trockenlegung sumpfiger Gegenden fast von der Bildfläche verschwinden sehen. Deshalb wäre es folgerichtig, bei der Bekämpfung der Tuberkulose da mit aller Energie zu beginnen, wo eine Aussicht aus Erfolg besteht: nicht nur beim Tuberkelbazillus, dessen Wege bis zum Menschen oft recht verschlungen sind, sondern vor allem bei dem für seine Entwicklung disponierten Menschen, bei seinem Nährboden, wie der technische Ausdruck der Bakteriologen lautet. Dies hat auch der Präsident des Neichsgcsundheitsamts in einer These zum Ausdruck gebracht: „Es ist daher Pflicht, mit aller Kraft in den Kampf einzutreten, und kommen in dieser Hinsicht sowohl solche Maßregeln in Betracht, welche sich gegen die Krankheitserreger richten, als auch solche, welche auf Hebung der Widerstands¬ fähigkeit des menschlichen Körpers abzielen." Und noch deutlicher für den Sozialpolitiker ist der erste Leitsatz des Herrn Krieger (Straßburg): „Die äußern Lebensverhältnisse können die Ausbreitung der Tuberkulose entweder in der Weise beeinflussen, daß sie den Körper örtlich oder allgemein dem Krank¬ heitserreger gegenüber in besondern: Maße empfänglich machen." Auch der Bakteriologe Löffler, der gegen das früher herrschende Dogma von der Erblichkeit der Tuberkulose nochmals zu Felde zieht und eine natürliche Empfänglichkeit oder Unempfänglichkeit gegenüber dem Tuberkelbazillus bestreitet, führt aus, es werde vor allem darauf ankommen, den menschlichen Organismus im allgemeinen widerstandsfähig zu machen. Damit muß natürlich im Kindesalter begonnen werden. So führt Heubner, der Berliner Professor der Kinderheilkunde, aus: Eine Verminderung dieser Empfänglichkeit (für den Tuberkelbazillus) ist auf diätetischem Wege, im weitesten Sinne des Wortes, anzustreben. Zur Diät in diesem Sinne gehören aber vor allein ausreichende Ernährung und gesunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/109>, abgerufen am 15.01.2025.