Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.ivas lehrt der erste Tuberkillosekongresz? Wohnung. -- Die Wohnungsfrage wurde vom Hygieniker Rubner (Berlin) Ebenso wichtig wie eine gesunde Wohnung, wenn nicht noch wichtiger, ivas lehrt der erste Tuberkillosekongresz? Wohnung. — Die Wohnungsfrage wurde vom Hygieniker Rubner (Berlin) Ebenso wichtig wie eine gesunde Wohnung, wenn nicht noch wichtiger, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231280"/> <fw type="header" place="top"> ivas lehrt der erste Tuberkillosekongresz?</fw><lb/> <p xml:id="ID_307" prev="#ID_306"> Wohnung. — Die Wohnungsfrage wurde vom Hygieniker Rubner (Berlin)<lb/> behandelt. Er hält den Erlaß eines Wohuungsgesetzes und die Anstellung von<lb/> Wohnungsinspektoren für notwendig. Und jeder, der unsre Arbeiterwohnungen<lb/> in den großen Städten kennt, der weiß, wie dicht sie bevölkert sind, wie selten<lb/> ein Sonnenstrahl in sie hineingelange, wie oft im Winter der seinem Zwecke<lb/> hohnsprechende Ofen beim Heizen versagt, muß das von Rubner und von<lb/> andern schon früher hingestellte Ziel vor Auge» haben und anstreben helfen,<lb/> daß dieser wichtige Teil der sozialen Frage bald auf gesetzlichem Wege gelöst<lb/> werde. Wieviel Katarrhe der Arbeiterkinder während des Winters in solchen<lb/> Wohnungen umgehend bleiben, weil sich die kleinen Patienten entweder in der<lb/> unheizbaren Stube oder in der überheizten und mit Stickluft erfüllten Küche<lb/> aufhalten müssen, wie oft die dann chronisch werdenden Neste des Katarrhs<lb/> den Nährboden für die Tuberkulose abgeben, ohne daß ein Tuberkulöser in der<lb/> Familie war — das wissen nur die praktischen Ärzte, die solchen Zustünden<lb/> machtlos gegenüber stehen. Würde jeder Verwaltungsbeamte am Beginn seiner<lb/> Laufbahn nur acht Tage lang einen Armen- oder Krankenkassenarzt bei seinen<lb/> Krankenbesuchen begleiten, so würde ihm die Welt der Wirklichkeit bald anders<lb/> erscheinen, als dies am grünen Tische möglich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Ebenso wichtig wie eine gesunde Wohnung, wenn nicht noch wichtiger,<lb/> um den Körper, insbesondre den kindlichen, weniger empfänglich für den Er¬<lb/> reger der Tuberkulose zu machen, ist die ausreichende Ernährung. Für Gefäng¬<lb/> nisse, Irrenhäuser, Armenhäuser usw. wird genau berechnet, wieviel Nährstoffe<lb/> (Eiweiß, Kohlenhydrat und Fett) den Insassen zur Erhaltung der Gesundheit<lb/> notwendig sind. Und nnn beobachte man die Ernährung einer Arbeiterfamilie,<lb/> besonders die der Kinder, die für ihr Wachstum, für den Aufbau des Orga¬<lb/> nismus mehr nährende als sättigende Stoffe erhalten müßten! Man sehe sich<lb/> ihre an Eiweiß und Fett so arme, wenn nicht dieser Stoffe ganz bare Mit¬<lb/> tagsmahlzeit doch an, wenn man wirkliches Interesse für Sozialpolitik hat!<lb/> Da erst erkennt man, wie und wo die Disposition für eine Volksseuche ge¬<lb/> züchtet wird, deren Opfer nur zu einem kleinen Teil durch eine — wer weiß,<lb/> ob je erreichbare — Millionen-Wohlthätigkeit geheilt oder gebessert werden<lb/> können. Die sozialpolitischen Aufgaben müssen unsers Erachtens viel weiter<lb/> gefaßt werden, als dies von den Kongreßrednern geschehen ist. Das Resultat<lb/> eines solchen Kongresses darf nicht allein das sein, was wohl die Einberufer<lb/> im Auge gehabt haben, daß noch für ein paar Tausend Betten in Heilstätten<lb/> die Mittel gewährt werden, was ja möglich ist, wenn die Träger der drei<lb/> Arbeiterversicherungen (Kranken-, Alters- und Invaliden-) sich inniger verbinden.<lb/> Es muß vielmehr durch eine gesunde Sozialpolitik der Nachwuchs für die<lb/> Tuberkulose, der bei der steten Zunahme der Bevölkerung und den immer<lb/> schwieriger werdenden Existenzbedingungen größer zu werden droht, vermindert<lb/> werden. „Alle Kräfte indessen in diesem sozialen Kampfe gegen die Tuberkulose</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
ivas lehrt der erste Tuberkillosekongresz?
Wohnung. — Die Wohnungsfrage wurde vom Hygieniker Rubner (Berlin)
behandelt. Er hält den Erlaß eines Wohuungsgesetzes und die Anstellung von
Wohnungsinspektoren für notwendig. Und jeder, der unsre Arbeiterwohnungen
in den großen Städten kennt, der weiß, wie dicht sie bevölkert sind, wie selten
ein Sonnenstrahl in sie hineingelange, wie oft im Winter der seinem Zwecke
hohnsprechende Ofen beim Heizen versagt, muß das von Rubner und von
andern schon früher hingestellte Ziel vor Auge» haben und anstreben helfen,
daß dieser wichtige Teil der sozialen Frage bald auf gesetzlichem Wege gelöst
werde. Wieviel Katarrhe der Arbeiterkinder während des Winters in solchen
Wohnungen umgehend bleiben, weil sich die kleinen Patienten entweder in der
unheizbaren Stube oder in der überheizten und mit Stickluft erfüllten Küche
aufhalten müssen, wie oft die dann chronisch werdenden Neste des Katarrhs
den Nährboden für die Tuberkulose abgeben, ohne daß ein Tuberkulöser in der
Familie war — das wissen nur die praktischen Ärzte, die solchen Zustünden
machtlos gegenüber stehen. Würde jeder Verwaltungsbeamte am Beginn seiner
Laufbahn nur acht Tage lang einen Armen- oder Krankenkassenarzt bei seinen
Krankenbesuchen begleiten, so würde ihm die Welt der Wirklichkeit bald anders
erscheinen, als dies am grünen Tische möglich ist.
Ebenso wichtig wie eine gesunde Wohnung, wenn nicht noch wichtiger,
um den Körper, insbesondre den kindlichen, weniger empfänglich für den Er¬
reger der Tuberkulose zu machen, ist die ausreichende Ernährung. Für Gefäng¬
nisse, Irrenhäuser, Armenhäuser usw. wird genau berechnet, wieviel Nährstoffe
(Eiweiß, Kohlenhydrat und Fett) den Insassen zur Erhaltung der Gesundheit
notwendig sind. Und nnn beobachte man die Ernährung einer Arbeiterfamilie,
besonders die der Kinder, die für ihr Wachstum, für den Aufbau des Orga¬
nismus mehr nährende als sättigende Stoffe erhalten müßten! Man sehe sich
ihre an Eiweiß und Fett so arme, wenn nicht dieser Stoffe ganz bare Mit¬
tagsmahlzeit doch an, wenn man wirkliches Interesse für Sozialpolitik hat!
Da erst erkennt man, wie und wo die Disposition für eine Volksseuche ge¬
züchtet wird, deren Opfer nur zu einem kleinen Teil durch eine — wer weiß,
ob je erreichbare — Millionen-Wohlthätigkeit geheilt oder gebessert werden
können. Die sozialpolitischen Aufgaben müssen unsers Erachtens viel weiter
gefaßt werden, als dies von den Kongreßrednern geschehen ist. Das Resultat
eines solchen Kongresses darf nicht allein das sein, was wohl die Einberufer
im Auge gehabt haben, daß noch für ein paar Tausend Betten in Heilstätten
die Mittel gewährt werden, was ja möglich ist, wenn die Träger der drei
Arbeiterversicherungen (Kranken-, Alters- und Invaliden-) sich inniger verbinden.
Es muß vielmehr durch eine gesunde Sozialpolitik der Nachwuchs für die
Tuberkulose, der bei der steten Zunahme der Bevölkerung und den immer
schwieriger werdenden Existenzbedingungen größer zu werden droht, vermindert
werden. „Alle Kräfte indessen in diesem sozialen Kampfe gegen die Tuberkulose
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