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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

er von ihm herrühre!), um wieviel mehr in der Thronbesteigung eines deutschen
und hohenzollernschen Prinzen! Gar nicht abweisen läßt sich doch auch hier
die Parallele mit der Beförderung des Prinzen Karl von Hohenzollern zum
Fürsten von Rumänien, die Bismarck glücklich (Mai 1866) durchsetzte in einem
Augenblick, wo er zum Bruche mit Österreich erlebt) Wie aber hat er sich
nun das Verhältnis Frankreichs und Napoleons dazu gedacht? Ohne Zweifel
bestanden zwischen den Sigmaringer Hohenzollern und Napoleon III. verwandt¬
schaftliche und freundschaftliche Beziehungen; ohne Zweifel ist dem Kaiser der
erste Plan, den Prinzen Leopold zu berufen, 1869 bekannt gewesen, und er
hat nicht dagegen protestiert, sodaß sich die Hohenzollern auch 1870 mit ihm
friedlich verständigen zu können meinten. Aber zu Benedetti äußerte er schon
im Mai 1869, diese Kandidatur sei "antinational," und das Land ^Frankreichs
ertrüge sie nicht. Davon hat Benedetti allerdings Bismarck nichts gesagt, aber
sollte dem Kanzler diese französische Stimmung, der auch der französische Bot¬
schafter in Madrid, Mercier de Lostande, sofort gegenüber Prim Ausdruck gab, als
dieser ihm am 2. Juli 1870 die vollendete Thatsache mitteilte, wirklich unbekannt
geblieben sein? ^) Das ist doch undenkbar, zumal da er in dem Botschaftsattache
Grafen Solms-Sonnenwalde einen sehr scharfen Beobachter in Paris hattet)
Er muß sie also mit in Rechnung gestellt haben, kann auf eine friedliche
Lösung nicht unbedingt gerechnet, muß die Möglichkeit einer Explosion in Frank¬
reich mit in Betracht gezogen haben, die Möglichkeit, nicht die Notwendigkeit,
vielleicht nicht einmal die Wahrscheinlichkeit. Eben deshalb wollten er und die
Spanier Napoleon vor eine vollendete Thatsache stellen, vielleicht daß der
kränkliche und alternde Herrscher dann doch nichts wagte; eben deshalb wurde
das Geheimnis, trotz des Mißtrauens, das man in Paris schon im April 1870
gegen Buchers Reise hegte, so streng gewahrt, daß nicht einmal Olozaga, der
spanische Botschafter dort, etwas davon erführe) Aber die Gefahr eines Zu¬
sammenstoßes mit Frankreich mußte Bismarck, namentlich seit Gramonts Amts¬
antritt (15. Mai), laufen und wollte er laufen. Angesichts der werdenden Koalition
und damit der steigenden Kriegsgefahr wollte er Napoleon "eine spanische
Fliege in den Nacken setzen"! Man stelle sich nur vor, was geschehen wäre,
wenn die Cortes nach Verabredung die Wahl Leopolds zu Anfang Juli 1870
wirklich vollzogen und dieser den Thron Spaniens wirklich bestiegen hätte.
Dann war die Wirkung der Revolution von 1868, Napoleons Politik
empfindlich zu lähmen, in gesteigertem Maße eingetreten, dann war Spanien,
erhob der Kaiser dagegen Einsprache, mit Frankreich verfeindet um seiner
nationalen Ehre und Selbständigkeit willen. Die Schärfe, mit der sich






") Aus dem Leben König Karls von Rumänien I, 17 f. 27.
") Sohel VII, 240 ff. 261. Ergänzungen 59.
") Busch III, 287, vergl. III, 247.
'
>) Aus dem Leben Karls von Rumänien II, 70. 98.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

er von ihm herrühre!), um wieviel mehr in der Thronbesteigung eines deutschen
und hohenzollernschen Prinzen! Gar nicht abweisen läßt sich doch auch hier
die Parallele mit der Beförderung des Prinzen Karl von Hohenzollern zum
Fürsten von Rumänien, die Bismarck glücklich (Mai 1866) durchsetzte in einem
Augenblick, wo er zum Bruche mit Österreich erlebt) Wie aber hat er sich
nun das Verhältnis Frankreichs und Napoleons dazu gedacht? Ohne Zweifel
bestanden zwischen den Sigmaringer Hohenzollern und Napoleon III. verwandt¬
schaftliche und freundschaftliche Beziehungen; ohne Zweifel ist dem Kaiser der
erste Plan, den Prinzen Leopold zu berufen, 1869 bekannt gewesen, und er
hat nicht dagegen protestiert, sodaß sich die Hohenzollern auch 1870 mit ihm
friedlich verständigen zu können meinten. Aber zu Benedetti äußerte er schon
im Mai 1869, diese Kandidatur sei „antinational," und das Land ^Frankreichs
ertrüge sie nicht. Davon hat Benedetti allerdings Bismarck nichts gesagt, aber
sollte dem Kanzler diese französische Stimmung, der auch der französische Bot¬
schafter in Madrid, Mercier de Lostande, sofort gegenüber Prim Ausdruck gab, als
dieser ihm am 2. Juli 1870 die vollendete Thatsache mitteilte, wirklich unbekannt
geblieben sein? ^) Das ist doch undenkbar, zumal da er in dem Botschaftsattache
Grafen Solms-Sonnenwalde einen sehr scharfen Beobachter in Paris hattet)
Er muß sie also mit in Rechnung gestellt haben, kann auf eine friedliche
Lösung nicht unbedingt gerechnet, muß die Möglichkeit einer Explosion in Frank¬
reich mit in Betracht gezogen haben, die Möglichkeit, nicht die Notwendigkeit,
vielleicht nicht einmal die Wahrscheinlichkeit. Eben deshalb wollten er und die
Spanier Napoleon vor eine vollendete Thatsache stellen, vielleicht daß der
kränkliche und alternde Herrscher dann doch nichts wagte; eben deshalb wurde
das Geheimnis, trotz des Mißtrauens, das man in Paris schon im April 1870
gegen Buchers Reise hegte, so streng gewahrt, daß nicht einmal Olozaga, der
spanische Botschafter dort, etwas davon erführe) Aber die Gefahr eines Zu¬
sammenstoßes mit Frankreich mußte Bismarck, namentlich seit Gramonts Amts¬
antritt (15. Mai), laufen und wollte er laufen. Angesichts der werdenden Koalition
und damit der steigenden Kriegsgefahr wollte er Napoleon „eine spanische
Fliege in den Nacken setzen"! Man stelle sich nur vor, was geschehen wäre,
wenn die Cortes nach Verabredung die Wahl Leopolds zu Anfang Juli 1870
wirklich vollzogen und dieser den Thron Spaniens wirklich bestiegen hätte.
Dann war die Wirkung der Revolution von 1868, Napoleons Politik
empfindlich zu lähmen, in gesteigertem Maße eingetreten, dann war Spanien,
erhob der Kaiser dagegen Einsprache, mit Frankreich verfeindet um seiner
nationalen Ehre und Selbständigkeit willen. Die Schärfe, mit der sich






") Aus dem Leben König Karls von Rumänien I, 17 f. 27.
") Sohel VII, 240 ff. 261. Ergänzungen 59.
") Busch III, 287, vergl. III, 247.
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[0638] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen er von ihm herrühre!), um wieviel mehr in der Thronbesteigung eines deutschen und hohenzollernschen Prinzen! Gar nicht abweisen läßt sich doch auch hier die Parallele mit der Beförderung des Prinzen Karl von Hohenzollern zum Fürsten von Rumänien, die Bismarck glücklich (Mai 1866) durchsetzte in einem Augenblick, wo er zum Bruche mit Österreich erlebt) Wie aber hat er sich nun das Verhältnis Frankreichs und Napoleons dazu gedacht? Ohne Zweifel bestanden zwischen den Sigmaringer Hohenzollern und Napoleon III. verwandt¬ schaftliche und freundschaftliche Beziehungen; ohne Zweifel ist dem Kaiser der erste Plan, den Prinzen Leopold zu berufen, 1869 bekannt gewesen, und er hat nicht dagegen protestiert, sodaß sich die Hohenzollern auch 1870 mit ihm friedlich verständigen zu können meinten. Aber zu Benedetti äußerte er schon im Mai 1869, diese Kandidatur sei „antinational," und das Land ^Frankreichs ertrüge sie nicht. Davon hat Benedetti allerdings Bismarck nichts gesagt, aber sollte dem Kanzler diese französische Stimmung, der auch der französische Bot¬ schafter in Madrid, Mercier de Lostande, sofort gegenüber Prim Ausdruck gab, als dieser ihm am 2. Juli 1870 die vollendete Thatsache mitteilte, wirklich unbekannt geblieben sein? ^) Das ist doch undenkbar, zumal da er in dem Botschaftsattache Grafen Solms-Sonnenwalde einen sehr scharfen Beobachter in Paris hattet) Er muß sie also mit in Rechnung gestellt haben, kann auf eine friedliche Lösung nicht unbedingt gerechnet, muß die Möglichkeit einer Explosion in Frank¬ reich mit in Betracht gezogen haben, die Möglichkeit, nicht die Notwendigkeit, vielleicht nicht einmal die Wahrscheinlichkeit. Eben deshalb wollten er und die Spanier Napoleon vor eine vollendete Thatsache stellen, vielleicht daß der kränkliche und alternde Herrscher dann doch nichts wagte; eben deshalb wurde das Geheimnis, trotz des Mißtrauens, das man in Paris schon im April 1870 gegen Buchers Reise hegte, so streng gewahrt, daß nicht einmal Olozaga, der spanische Botschafter dort, etwas davon erführe) Aber die Gefahr eines Zu¬ sammenstoßes mit Frankreich mußte Bismarck, namentlich seit Gramonts Amts¬ antritt (15. Mai), laufen und wollte er laufen. Angesichts der werdenden Koalition und damit der steigenden Kriegsgefahr wollte er Napoleon „eine spanische Fliege in den Nacken setzen"! Man stelle sich nur vor, was geschehen wäre, wenn die Cortes nach Verabredung die Wahl Leopolds zu Anfang Juli 1870 wirklich vollzogen und dieser den Thron Spaniens wirklich bestiegen hätte. Dann war die Wirkung der Revolution von 1868, Napoleons Politik empfindlich zu lähmen, in gesteigertem Maße eingetreten, dann war Spanien, erhob der Kaiser dagegen Einsprache, mit Frankreich verfeindet um seiner nationalen Ehre und Selbständigkeit willen. Die Schärfe, mit der sich ") Aus dem Leben König Karls von Rumänien I, 17 f. 27. ") Sohel VII, 240 ff. 261. Ergänzungen 59. ") Busch III, 287, vergl. III, 247. ' >) Aus dem Leben Karls von Rumänien II, 70. 98.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/638>, abgerufen am 28.09.2024.