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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

als eine Art von Vasallenstaat zu betrachten, der sich der französischen Politik
anzuschließen habe. Dies mag Napoleon III. damals um so wichtiger er¬
schienen sein, als sich Italien der Abhängigkeit von ihm immer mehr entzog,
und es entsprach seinem Lieblingsgedanken einer Hegemonie Frankreichs über
die "lateinischen" Nationen. Er stand damals mit der Königin Jsabella im
besten Einvernehmen und machte ihr 1868 sogar den Vorschlag, die franzö¬
sische Besatzung Roms durch eine spanische abzulösen, denn so hoffte er aus
dem heillosen Dilemma herauszukommen, entweder die Möglichkeit eines Bünd¬
nisses mit Italien zu verlieren, wenn er seine Truppen in Rom ließ, oder sich
mit dem französischen Klerus unheilbar zu verfeinden, wenn er sie zurückzog und
damit den Papst den Italienern preisgab. Daher war der Sturz Jsabellas
durch die Septemberrevolution 1868 ein doppelter Schlag für ihn, weil sie
eine ihm ergebne Negierung in Spanien stürzte, dort einem verhaßten Orleans
auf den Thron verhelfen oder auch die Errichtung einer ihm nicht weniger
unbequemen Republik veranlassen konnte und die beabsichtigte Lösung der
römischen Frage verhinderte.^) In Berlin, wo das Auswärtige Amt den
spanischen Verhältnissen eine viel größere Aufmerksamkeit widmete, als es nach
außen schien, empfand man darüber große Befriedigung. "Für den Augen¬
blick, schrieb H. Abeken um 4. Oktober, kann Napoleon mit dieser spanischen
Fliege im Nacken natürlich an keinen Krieg mit Deutschland denken; wenn¬
gleich er wohl schwerlich wagen wird, in Spanien zu intervenieren -- muß er
doch nach jener Seite hin beobachtend und gerüstet stehn." ^) Bismarck selbst
hat im Juli 1870, als der Konflikt mit Frankreich heraufstieg, den Auftrag
gegeben, in der Presse auszuführen, das Netz, das Frankreich mit Österreich,
Italien und Spanien gegen Deutschland gesponnen habe, sei durch die Sep¬
temberrevolution 1868 zerrissen worden. Soviel Wichtigkeit maß man also
in Berlin schon damals dem Aufkommen einer Napoleon nicht geneigten, einer
nicht ultramontanen Regierung in Spanien zu, daß man darin eine Art von
Lähmung der französischen Politik sah! Es kann nicht zufällig sein, daß
1869 ein so scharfer Beobachter wie Th. von Bernhardi als Militärattache
nach Madrid geschickt wurde. Leider schließen seine veröffentlichten Tagebücher
mit dem 10. Mai 1867, sodaß wir von seiner Wirksamkeit und seineu Er¬
fahrungen in Spanien nichts wissen; nach den kurzen Notizen bei Sybel war
er allerdings nicht tiefer in die Thronkandidatur des Prinzen Leopold einge¬
weiht, wie man sie denn auf der norddeutschen Gesandtschaft in Madrid über¬
haupt "für ein unbedachtsames Abenteuer Prius" gehalten hat.")

Wenn also Bismarck schon in dem damaligen Zustande Spaniens eine
"spanische Fliege im Nacken" Napoleons sah (der Ausdruck klingt fast, als ob





-) Sybel VI, 841 ff,
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') Sybel VII. 255 A. 1. 259,
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

als eine Art von Vasallenstaat zu betrachten, der sich der französischen Politik
anzuschließen habe. Dies mag Napoleon III. damals um so wichtiger er¬
schienen sein, als sich Italien der Abhängigkeit von ihm immer mehr entzog,
und es entsprach seinem Lieblingsgedanken einer Hegemonie Frankreichs über
die „lateinischen" Nationen. Er stand damals mit der Königin Jsabella im
besten Einvernehmen und machte ihr 1868 sogar den Vorschlag, die franzö¬
sische Besatzung Roms durch eine spanische abzulösen, denn so hoffte er aus
dem heillosen Dilemma herauszukommen, entweder die Möglichkeit eines Bünd¬
nisses mit Italien zu verlieren, wenn er seine Truppen in Rom ließ, oder sich
mit dem französischen Klerus unheilbar zu verfeinden, wenn er sie zurückzog und
damit den Papst den Italienern preisgab. Daher war der Sturz Jsabellas
durch die Septemberrevolution 1868 ein doppelter Schlag für ihn, weil sie
eine ihm ergebne Negierung in Spanien stürzte, dort einem verhaßten Orleans
auf den Thron verhelfen oder auch die Errichtung einer ihm nicht weniger
unbequemen Republik veranlassen konnte und die beabsichtigte Lösung der
römischen Frage verhinderte.^) In Berlin, wo das Auswärtige Amt den
spanischen Verhältnissen eine viel größere Aufmerksamkeit widmete, als es nach
außen schien, empfand man darüber große Befriedigung. „Für den Augen¬
blick, schrieb H. Abeken um 4. Oktober, kann Napoleon mit dieser spanischen
Fliege im Nacken natürlich an keinen Krieg mit Deutschland denken; wenn¬
gleich er wohl schwerlich wagen wird, in Spanien zu intervenieren — muß er
doch nach jener Seite hin beobachtend und gerüstet stehn." ^) Bismarck selbst
hat im Juli 1870, als der Konflikt mit Frankreich heraufstieg, den Auftrag
gegeben, in der Presse auszuführen, das Netz, das Frankreich mit Österreich,
Italien und Spanien gegen Deutschland gesponnen habe, sei durch die Sep¬
temberrevolution 1868 zerrissen worden. Soviel Wichtigkeit maß man also
in Berlin schon damals dem Aufkommen einer Napoleon nicht geneigten, einer
nicht ultramontanen Regierung in Spanien zu, daß man darin eine Art von
Lähmung der französischen Politik sah! Es kann nicht zufällig sein, daß
1869 ein so scharfer Beobachter wie Th. von Bernhardi als Militärattache
nach Madrid geschickt wurde. Leider schließen seine veröffentlichten Tagebücher
mit dem 10. Mai 1867, sodaß wir von seiner Wirksamkeit und seineu Er¬
fahrungen in Spanien nichts wissen; nach den kurzen Notizen bei Sybel war
er allerdings nicht tiefer in die Thronkandidatur des Prinzen Leopold einge¬
weiht, wie man sie denn auf der norddeutschen Gesandtschaft in Madrid über¬
haupt „für ein unbedachtsames Abenteuer Prius" gehalten hat.")

Wenn also Bismarck schon in dem damaligen Zustande Spaniens eine
„spanische Fliege im Nacken" Napoleons sah (der Ausdruck klingt fast, als ob





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[0637] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen als eine Art von Vasallenstaat zu betrachten, der sich der französischen Politik anzuschließen habe. Dies mag Napoleon III. damals um so wichtiger er¬ schienen sein, als sich Italien der Abhängigkeit von ihm immer mehr entzog, und es entsprach seinem Lieblingsgedanken einer Hegemonie Frankreichs über die „lateinischen" Nationen. Er stand damals mit der Königin Jsabella im besten Einvernehmen und machte ihr 1868 sogar den Vorschlag, die franzö¬ sische Besatzung Roms durch eine spanische abzulösen, denn so hoffte er aus dem heillosen Dilemma herauszukommen, entweder die Möglichkeit eines Bünd¬ nisses mit Italien zu verlieren, wenn er seine Truppen in Rom ließ, oder sich mit dem französischen Klerus unheilbar zu verfeinden, wenn er sie zurückzog und damit den Papst den Italienern preisgab. Daher war der Sturz Jsabellas durch die Septemberrevolution 1868 ein doppelter Schlag für ihn, weil sie eine ihm ergebne Negierung in Spanien stürzte, dort einem verhaßten Orleans auf den Thron verhelfen oder auch die Errichtung einer ihm nicht weniger unbequemen Republik veranlassen konnte und die beabsichtigte Lösung der römischen Frage verhinderte.^) In Berlin, wo das Auswärtige Amt den spanischen Verhältnissen eine viel größere Aufmerksamkeit widmete, als es nach außen schien, empfand man darüber große Befriedigung. „Für den Augen¬ blick, schrieb H. Abeken um 4. Oktober, kann Napoleon mit dieser spanischen Fliege im Nacken natürlich an keinen Krieg mit Deutschland denken; wenn¬ gleich er wohl schwerlich wagen wird, in Spanien zu intervenieren — muß er doch nach jener Seite hin beobachtend und gerüstet stehn." ^) Bismarck selbst hat im Juli 1870, als der Konflikt mit Frankreich heraufstieg, den Auftrag gegeben, in der Presse auszuführen, das Netz, das Frankreich mit Österreich, Italien und Spanien gegen Deutschland gesponnen habe, sei durch die Sep¬ temberrevolution 1868 zerrissen worden. Soviel Wichtigkeit maß man also in Berlin schon damals dem Aufkommen einer Napoleon nicht geneigten, einer nicht ultramontanen Regierung in Spanien zu, daß man darin eine Art von Lähmung der französischen Politik sah! Es kann nicht zufällig sein, daß 1869 ein so scharfer Beobachter wie Th. von Bernhardi als Militärattache nach Madrid geschickt wurde. Leider schließen seine veröffentlichten Tagebücher mit dem 10. Mai 1867, sodaß wir von seiner Wirksamkeit und seineu Er¬ fahrungen in Spanien nichts wissen; nach den kurzen Notizen bei Sybel war er allerdings nicht tiefer in die Thronkandidatur des Prinzen Leopold einge¬ weiht, wie man sie denn auf der norddeutschen Gesandtschaft in Madrid über¬ haupt „für ein unbedachtsames Abenteuer Prius" gehalten hat.") Wenn also Bismarck schon in dem damaligen Zustande Spaniens eine „spanische Fliege im Nacken" Napoleons sah (der Ausdruck klingt fast, als ob -) Sybel VI, 841 ff, H, Abeken 3t>3 f, Busch I, 37, ') Sybel VII. 255 A. 1. 259,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/637>, abgerufen am 28.09.2024.