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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

seit seiner Gründung nie ausgestorben ist, die Verteilung des Grundbesitzes und
die Verwaltung der eroberten Provinzen erinnern sogar vielfach an römische
Eroberungspolitik. Nur in einem freilich konnten die osmanischen Sieger den
Römern nicht nachahmen, nicht konnten sie wie jene die Götter der belagerten
und eroberten Städte herauftragen in ihr Lager, sie bitten, doch bei ihnen zu
bleiben, ihnen dieselbe Verehrung wie vormals und einen noch schönern Tempel
versprechen: der Islam wie die beiden andern jüdischen Religionen kennen
nur die Ausschließlichkeit. Das Nömerreich war schließlich nicht nur politisch,
sondern auch religiös ein Ganzes, jeder fühlte sich mit Stolz als römischer
Bürger und betete zum Jupiter, der so tolerant war, selbst die scheußlichsten
Produkte ägyptischen Aberglaubens neben sich zu dulden, und vergoß ein paar
Tropfen Wein auf dem Altar der Noma oder der göttlichen Cüsaren, die so
klug waren, zu allen Göttern, deren sie habhaft werden konnten, zu beten.

So tief war die xax liornimg. auch in religiöser Hinsicht, so zollschranken¬
frei der Götterfreihandcl, daß selbst das Christnsbild in der Hauskapelle des
Alexander Severus seinen Platz fand und selbst der jüdische Gott von den
Römern verehrt worden wäre, wenn seine Anhänger sich entschlossen hätten,
anch ihrerseits den andern Göttern zu opfern. Der römische Kolonist und
Veteran, der sich in eroberten Lande niederließ, verband sich bald durch die
Ehe mit den Frauen der Eingebornen, und oft rief ihn das Geschick hinweg,
mag es ihm schwerer geworden sein, als Horciz glaubt, sein barbarisches Weib
zu verlassen. Der türkische mit Grundeigentum belehnte Krieger, der Sipahi
und Timarli, fügte zu dem Schmerz über die Verlorne Freiheit noch die Ver¬
achtung des Glaubens des Besiegten, und zwei Religionen, Christentum und
Islam, standen sich hier gegenüber, deren Anhänger sich durch keine Mischehe,
wie im alten Rom, verschmelzen und aussöhnen konnten. So ist der Keim
zu dem Untergange des Osmcmenreichs schon in den Tagen der Eroberung
gelegt worden, der unterdrückte Rajah wurde ein staatszersetzendes Element,
ein Keil, den Europa, Nußland voran, immer tiefer in den türkischen Körper
hineintrieb, und der Tag mag nicht fern sein, an dem ein moskowitischer
Sieger die unglücklichen Freunde und Brüder, wie T. Quinetius Flaummus
die Griechen bei den isthmischen Spielen -- und mit denselben Hintergedanken --
für frei erklärt.

Und dennoch wäre es wohl nicht so reißend schnell bergab gegangen mit
der osmanischen Herrlichkeit, wären nicht den ersten kraftvollen Herrschern
andre gefolgt, die vergaßen, daß ihr Reich auf Eroberung gegründet und nur
durch Eroberung erhalten werden könne, die sich, anstatt in stolz wirkenden
Reiherbüsche ihren Janitscharen voranzugehn, den schändlichsten Lüsten Hingaben.
Welche Schar von Weichlingen, Narren, Tyrannen zieht da an uns vorüber!
Da ist Murad IV. mit dem langen, das Gesicht fast verdeckenden Bart, den
drohende" Augen und der niedrigen Stirn, deren Runzeln so gefürchtet war,


Aus den schwarzen Bergen

seit seiner Gründung nie ausgestorben ist, die Verteilung des Grundbesitzes und
die Verwaltung der eroberten Provinzen erinnern sogar vielfach an römische
Eroberungspolitik. Nur in einem freilich konnten die osmanischen Sieger den
Römern nicht nachahmen, nicht konnten sie wie jene die Götter der belagerten
und eroberten Städte herauftragen in ihr Lager, sie bitten, doch bei ihnen zu
bleiben, ihnen dieselbe Verehrung wie vormals und einen noch schönern Tempel
versprechen: der Islam wie die beiden andern jüdischen Religionen kennen
nur die Ausschließlichkeit. Das Nömerreich war schließlich nicht nur politisch,
sondern auch religiös ein Ganzes, jeder fühlte sich mit Stolz als römischer
Bürger und betete zum Jupiter, der so tolerant war, selbst die scheußlichsten
Produkte ägyptischen Aberglaubens neben sich zu dulden, und vergoß ein paar
Tropfen Wein auf dem Altar der Noma oder der göttlichen Cüsaren, die so
klug waren, zu allen Göttern, deren sie habhaft werden konnten, zu beten.

So tief war die xax liornimg. auch in religiöser Hinsicht, so zollschranken¬
frei der Götterfreihandcl, daß selbst das Christnsbild in der Hauskapelle des
Alexander Severus seinen Platz fand und selbst der jüdische Gott von den
Römern verehrt worden wäre, wenn seine Anhänger sich entschlossen hätten,
anch ihrerseits den andern Göttern zu opfern. Der römische Kolonist und
Veteran, der sich in eroberten Lande niederließ, verband sich bald durch die
Ehe mit den Frauen der Eingebornen, und oft rief ihn das Geschick hinweg,
mag es ihm schwerer geworden sein, als Horciz glaubt, sein barbarisches Weib
zu verlassen. Der türkische mit Grundeigentum belehnte Krieger, der Sipahi
und Timarli, fügte zu dem Schmerz über die Verlorne Freiheit noch die Ver¬
achtung des Glaubens des Besiegten, und zwei Religionen, Christentum und
Islam, standen sich hier gegenüber, deren Anhänger sich durch keine Mischehe,
wie im alten Rom, verschmelzen und aussöhnen konnten. So ist der Keim
zu dem Untergange des Osmcmenreichs schon in den Tagen der Eroberung
gelegt worden, der unterdrückte Rajah wurde ein staatszersetzendes Element,
ein Keil, den Europa, Nußland voran, immer tiefer in den türkischen Körper
hineintrieb, und der Tag mag nicht fern sein, an dem ein moskowitischer
Sieger die unglücklichen Freunde und Brüder, wie T. Quinetius Flaummus
die Griechen bei den isthmischen Spielen — und mit denselben Hintergedanken —
für frei erklärt.

Und dennoch wäre es wohl nicht so reißend schnell bergab gegangen mit
der osmanischen Herrlichkeit, wären nicht den ersten kraftvollen Herrschern
andre gefolgt, die vergaßen, daß ihr Reich auf Eroberung gegründet und nur
durch Eroberung erhalten werden könne, die sich, anstatt in stolz wirkenden
Reiherbüsche ihren Janitscharen voranzugehn, den schändlichsten Lüsten Hingaben.
Welche Schar von Weichlingen, Narren, Tyrannen zieht da an uns vorüber!
Da ist Murad IV. mit dem langen, das Gesicht fast verdeckenden Bart, den
drohende» Augen und der niedrigen Stirn, deren Runzeln so gefürchtet war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/595>, abgerufen am 28.09.2024.