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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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An5 den schwarzen Bergen

der in einem Jahre 25000 Menschen hinrichten ließ, der, als der Cholera¬
würgengel in Pera wütete, aus dem größten Becher, den er sich verschaffen
konnte, Tag und Nacht trank, während auf seinen Befehl die außerhalb des
Palastes stehenden Geschütze abgefeuert wurden. Da ist Ibrahim, der Weiber¬
held, der der Sicherheit menschlicher Voraussicht künftiger Dinge mißtrauend,
sich schon auf dieser Welt die Freuden des Huriparadieses schmecken ließ, da ist
Mohammed III., der seine neunzehn Brüder erdrosseln ließ, Abdul Aziz, den
unwissenden Potentaten nicht zu vergessen, der auf einer Rheinfahrt fragte, ob
der Kanal für ihn extra ausgegraben sei, der seinen besten Kampfhahn mit
dem Großkordon des Osmaniehordens schmückte, hohen Mitbesitzern zum Hohn,
und dessen wilden Haß gegen Europa sein kluger Bester auf den Harem ab¬
lenkte, bis sich die urwüchsige Kraft unter den Küssen der Schonen ausge¬
blutet hatte.

Und hinter ihnen, in dem Wägelchen, in dem er zum Selamlik zu fahren
pflegt, taucht der gebückte Abdul Hamid II. auf, das Gesicht mit der Habichts¬
nase umrahmt von grauschwarzem Vollbart, der Sultan jenseits von gut und
böse, unter dessen Negierung Kleinasien von den Wehschreieu christlicher Mütter
wiederhallte, und die Feze der in den Bosporus geworfnen Armenier von der
reißenden Strömung getragen durch den Hellespont in das Mittelmeer schwammen,
und sich die Proviantmeister europäischer Schiffe weigerten, in Konstantinopel
Fische zu kaufen. Allein im selbstkutschierten Wagen und mit scheuen Blicken
um sich schauend fährt er dahin, hinter der faltenreichen, sorgenvollen Stirne
scheint die Ahnung zu dämmern, daß sein Hansgestirn im letzten Viertel zu
scheinen angefangen habe, und kein Königsgeier wird sein Haupt umflatternd
gesehen, der, wie dem ersten Osmcmiden im Engpasse von Ermcmi, so seinem
jüngsten Thronerben Glück langes Leben und ein Niegeringerwerden des
Schattens prophezeien könnte.

Doch genug der Glossen über Schicksalstttcke und Zeitenlaunen, steht doch
Podgoritza nicht mehr unter des Türken Herrschaft, wenngleich noch manche
Mohammedaner, ihrer sonstigen Gewohnheit entgegen, unter dem christlichen
Oberherrn zurückgeblieben sind. Es ist die bedeutendste Handelsstadt Monte¬
negros, die ihre Ware herunter an den Skutarisee und von da nach Skutari
oder durch den Ausfluß dieses Sees, die Bojcma, in das Adriatische Meer
sendet. Sicherheit für Leben und Eigentum lassen einstweilen hier unten noch
zu wünschen übrig, es sind nicht die türkischen Karaulen und Grenzfestungen,
die der Bürger fürchtet, sondern Einbrüche wilder Albanerhorden, die dort
nächtlicherweile von den Bergen herunterstürzen, und die die Drohungen der
Pforte selbst von Raubzügen nicht abzuhalten vermöchten. Der gelehrte Hassert*)
berichtet, daß die Podgoritzaer Bürger in der Nacht Lichter in Fenster und



*) Kurt Hassert, Reise durch Montenegro. Wien, Pest, Leipzig, 1893.
An5 den schwarzen Bergen

der in einem Jahre 25000 Menschen hinrichten ließ, der, als der Cholera¬
würgengel in Pera wütete, aus dem größten Becher, den er sich verschaffen
konnte, Tag und Nacht trank, während auf seinen Befehl die außerhalb des
Palastes stehenden Geschütze abgefeuert wurden. Da ist Ibrahim, der Weiber¬
held, der der Sicherheit menschlicher Voraussicht künftiger Dinge mißtrauend,
sich schon auf dieser Welt die Freuden des Huriparadieses schmecken ließ, da ist
Mohammed III., der seine neunzehn Brüder erdrosseln ließ, Abdul Aziz, den
unwissenden Potentaten nicht zu vergessen, der auf einer Rheinfahrt fragte, ob
der Kanal für ihn extra ausgegraben sei, der seinen besten Kampfhahn mit
dem Großkordon des Osmaniehordens schmückte, hohen Mitbesitzern zum Hohn,
und dessen wilden Haß gegen Europa sein kluger Bester auf den Harem ab¬
lenkte, bis sich die urwüchsige Kraft unter den Küssen der Schonen ausge¬
blutet hatte.

Und hinter ihnen, in dem Wägelchen, in dem er zum Selamlik zu fahren
pflegt, taucht der gebückte Abdul Hamid II. auf, das Gesicht mit der Habichts¬
nase umrahmt von grauschwarzem Vollbart, der Sultan jenseits von gut und
böse, unter dessen Negierung Kleinasien von den Wehschreieu christlicher Mütter
wiederhallte, und die Feze der in den Bosporus geworfnen Armenier von der
reißenden Strömung getragen durch den Hellespont in das Mittelmeer schwammen,
und sich die Proviantmeister europäischer Schiffe weigerten, in Konstantinopel
Fische zu kaufen. Allein im selbstkutschierten Wagen und mit scheuen Blicken
um sich schauend fährt er dahin, hinter der faltenreichen, sorgenvollen Stirne
scheint die Ahnung zu dämmern, daß sein Hansgestirn im letzten Viertel zu
scheinen angefangen habe, und kein Königsgeier wird sein Haupt umflatternd
gesehen, der, wie dem ersten Osmcmiden im Engpasse von Ermcmi, so seinem
jüngsten Thronerben Glück langes Leben und ein Niegeringerwerden des
Schattens prophezeien könnte.

Doch genug der Glossen über Schicksalstttcke und Zeitenlaunen, steht doch
Podgoritza nicht mehr unter des Türken Herrschaft, wenngleich noch manche
Mohammedaner, ihrer sonstigen Gewohnheit entgegen, unter dem christlichen
Oberherrn zurückgeblieben sind. Es ist die bedeutendste Handelsstadt Monte¬
negros, die ihre Ware herunter an den Skutarisee und von da nach Skutari
oder durch den Ausfluß dieses Sees, die Bojcma, in das Adriatische Meer
sendet. Sicherheit für Leben und Eigentum lassen einstweilen hier unten noch
zu wünschen übrig, es sind nicht die türkischen Karaulen und Grenzfestungen,
die der Bürger fürchtet, sondern Einbrüche wilder Albanerhorden, die dort
nächtlicherweile von den Bergen herunterstürzen, und die die Drohungen der
Pforte selbst von Raubzügen nicht abzuhalten vermöchten. Der gelehrte Hassert*)
berichtet, daß die Podgoritzaer Bürger in der Nacht Lichter in Fenster und



*) Kurt Hassert, Reise durch Montenegro. Wien, Pest, Leipzig, 1893.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/596>, abgerufen am 28.09.2024.