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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

zeihen, wenn ich ihm aus eigner langjähriger Erfahrung verrate, daß es mit
der französischen Sprachkenntnis der Bauern nicht weit her ist. In der so¬
genannten Vorschweiz, wohin sich des Touristen Fuß selten verliert, und wo
doch der größte Teil der Bevölkerung wohnt, radebrecht er vielleicht etwas
welsch; eine Kellnerin kann sich sogar leidlich verständlich machen, aber von
Geläufigkeit ist nicht die Rede. Dagegen muß ich dem Herrn Schweizer den
Schmerz bereiten und erwähnen, daß ich auch das Französisch des gebildeten
Schweizers entsetzlich finde. Meine diplomatischen Bekannten in der Schweiz
haben mir dies auch bestätigt, und solche Leute pflegen doch ein feines Sprach¬
gefühl zu haben. In Deutschland sind mit Recht die Bonnen aus der fmn-
zösischen Schweiz wegen ihrer schlechten Aussprache verrufen. Ich habe ein
Semester in Lausanne gelebt und mußte nachher in Paris mühsam die schlechten
schweizerischen Sprachgewohnheiten wieder ablegen. Darin zeigt sich aber das
Deutschtum selbst der französischen Schweiz, und ich freue mich dieser Thatsache,
die ja keine Schande für die Schweiz ist. Der reichsdeutsche Alemanne und
Schwabe, die dem Schweizer am nächsten stehn, mißhandeln ebenso das
Französisch.

Schlimm ist dagegen das politische Glaubensbekenntnis, das der Verfasser
entwickelt. Er ist doch sicher ein Kenner der Geschichte, der außer Treitschke
und Sybel auch Taine und sonstige unparteiische französische Geschichtschreiber
gelesen hat. Will er im Ernst Vonaparte als uneigennützigen Freund und
Retter aus der Not hinstellen, ihn, der die Schweiz einfach zu französischen
Departements gemacht und die Freiheiten der einst so stolzen Eidgenossenschaft
mit Füßen getreten hat? Die Lilienkönige nahmen bloß das edelste Blut der
kriegerischen Schweiz, ohne die Landesgrenzen anzutasten, denn die alemannischen
Brüder im Reiche waren damals bequemer ins fremde Joch zu spannen. Auch
reizte das rauhe Gebirgsland die Bourbonen weniger als das reiche Elsaß.
Bei der Besiegung des Korsen besetzte Deutschland, zu dem damals noch Öster¬
reich gehörte, die Schweiz und hatte sie bedingungslos in seiner Hand.

Das alte Reich hatte sich nie um die Schweizer Tochter gekümmert, der
das Reich kaum etwas zu Leide gethan hatte. Daß die Schweizer ihr ein-
gebornes Dynastengeschlecht, die Habsburger im Aargau, verjagt hatten, ging
das Reich selbst nichts an. Als die Habsburger später den deutschen Kaiser¬
thron bestiegen, legten sie kaum uoch großes Gewicht auf die Zurückgewiunung
der Heimat. Ihre Hausmacht konnte des armen, schwer regierbaren Landes
entraten, das ihnen selbst übrigens die besten Söldner stellte. Kaiser Max
und Karl V. ließen ihre frühern Landsleute mit Vorliebe für Habsburgs
Banner fechten und bluten. Die Schweizer Freiheit mit ihrem Fürstenhaß
fand ihr Gegenstück in den stolzen friesischen Bauern, in der Unabhängigkeit
der nördlichen Niederlande und in den freien Reichsstädten und -Dörfern.
Auch das alte Reich vereinigte in seinem Verbände Fürstentum, freies


Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

zeihen, wenn ich ihm aus eigner langjähriger Erfahrung verrate, daß es mit
der französischen Sprachkenntnis der Bauern nicht weit her ist. In der so¬
genannten Vorschweiz, wohin sich des Touristen Fuß selten verliert, und wo
doch der größte Teil der Bevölkerung wohnt, radebrecht er vielleicht etwas
welsch; eine Kellnerin kann sich sogar leidlich verständlich machen, aber von
Geläufigkeit ist nicht die Rede. Dagegen muß ich dem Herrn Schweizer den
Schmerz bereiten und erwähnen, daß ich auch das Französisch des gebildeten
Schweizers entsetzlich finde. Meine diplomatischen Bekannten in der Schweiz
haben mir dies auch bestätigt, und solche Leute pflegen doch ein feines Sprach¬
gefühl zu haben. In Deutschland sind mit Recht die Bonnen aus der fmn-
zösischen Schweiz wegen ihrer schlechten Aussprache verrufen. Ich habe ein
Semester in Lausanne gelebt und mußte nachher in Paris mühsam die schlechten
schweizerischen Sprachgewohnheiten wieder ablegen. Darin zeigt sich aber das
Deutschtum selbst der französischen Schweiz, und ich freue mich dieser Thatsache,
die ja keine Schande für die Schweiz ist. Der reichsdeutsche Alemanne und
Schwabe, die dem Schweizer am nächsten stehn, mißhandeln ebenso das
Französisch.

Schlimm ist dagegen das politische Glaubensbekenntnis, das der Verfasser
entwickelt. Er ist doch sicher ein Kenner der Geschichte, der außer Treitschke
und Sybel auch Taine und sonstige unparteiische französische Geschichtschreiber
gelesen hat. Will er im Ernst Vonaparte als uneigennützigen Freund und
Retter aus der Not hinstellen, ihn, der die Schweiz einfach zu französischen
Departements gemacht und die Freiheiten der einst so stolzen Eidgenossenschaft
mit Füßen getreten hat? Die Lilienkönige nahmen bloß das edelste Blut der
kriegerischen Schweiz, ohne die Landesgrenzen anzutasten, denn die alemannischen
Brüder im Reiche waren damals bequemer ins fremde Joch zu spannen. Auch
reizte das rauhe Gebirgsland die Bourbonen weniger als das reiche Elsaß.
Bei der Besiegung des Korsen besetzte Deutschland, zu dem damals noch Öster¬
reich gehörte, die Schweiz und hatte sie bedingungslos in seiner Hand.

Das alte Reich hatte sich nie um die Schweizer Tochter gekümmert, der
das Reich kaum etwas zu Leide gethan hatte. Daß die Schweizer ihr ein-
gebornes Dynastengeschlecht, die Habsburger im Aargau, verjagt hatten, ging
das Reich selbst nichts an. Als die Habsburger später den deutschen Kaiser¬
thron bestiegen, legten sie kaum uoch großes Gewicht auf die Zurückgewiunung
der Heimat. Ihre Hausmacht konnte des armen, schwer regierbaren Landes
entraten, das ihnen selbst übrigens die besten Söldner stellte. Kaiser Max
und Karl V. ließen ihre frühern Landsleute mit Vorliebe für Habsburgs
Banner fechten und bluten. Die Schweizer Freiheit mit ihrem Fürstenhaß
fand ihr Gegenstück in den stolzen friesischen Bauern, in der Unabhängigkeit
der nördlichen Niederlande und in den freien Reichsstädten und -Dörfern.
Auch das alte Reich vereinigte in seinem Verbände Fürstentum, freies


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[0588] Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung zeihen, wenn ich ihm aus eigner langjähriger Erfahrung verrate, daß es mit der französischen Sprachkenntnis der Bauern nicht weit her ist. In der so¬ genannten Vorschweiz, wohin sich des Touristen Fuß selten verliert, und wo doch der größte Teil der Bevölkerung wohnt, radebrecht er vielleicht etwas welsch; eine Kellnerin kann sich sogar leidlich verständlich machen, aber von Geläufigkeit ist nicht die Rede. Dagegen muß ich dem Herrn Schweizer den Schmerz bereiten und erwähnen, daß ich auch das Französisch des gebildeten Schweizers entsetzlich finde. Meine diplomatischen Bekannten in der Schweiz haben mir dies auch bestätigt, und solche Leute pflegen doch ein feines Sprach¬ gefühl zu haben. In Deutschland sind mit Recht die Bonnen aus der fmn- zösischen Schweiz wegen ihrer schlechten Aussprache verrufen. Ich habe ein Semester in Lausanne gelebt und mußte nachher in Paris mühsam die schlechten schweizerischen Sprachgewohnheiten wieder ablegen. Darin zeigt sich aber das Deutschtum selbst der französischen Schweiz, und ich freue mich dieser Thatsache, die ja keine Schande für die Schweiz ist. Der reichsdeutsche Alemanne und Schwabe, die dem Schweizer am nächsten stehn, mißhandeln ebenso das Französisch. Schlimm ist dagegen das politische Glaubensbekenntnis, das der Verfasser entwickelt. Er ist doch sicher ein Kenner der Geschichte, der außer Treitschke und Sybel auch Taine und sonstige unparteiische französische Geschichtschreiber gelesen hat. Will er im Ernst Vonaparte als uneigennützigen Freund und Retter aus der Not hinstellen, ihn, der die Schweiz einfach zu französischen Departements gemacht und die Freiheiten der einst so stolzen Eidgenossenschaft mit Füßen getreten hat? Die Lilienkönige nahmen bloß das edelste Blut der kriegerischen Schweiz, ohne die Landesgrenzen anzutasten, denn die alemannischen Brüder im Reiche waren damals bequemer ins fremde Joch zu spannen. Auch reizte das rauhe Gebirgsland die Bourbonen weniger als das reiche Elsaß. Bei der Besiegung des Korsen besetzte Deutschland, zu dem damals noch Öster¬ reich gehörte, die Schweiz und hatte sie bedingungslos in seiner Hand. Das alte Reich hatte sich nie um die Schweizer Tochter gekümmert, der das Reich kaum etwas zu Leide gethan hatte. Daß die Schweizer ihr ein- gebornes Dynastengeschlecht, die Habsburger im Aargau, verjagt hatten, ging das Reich selbst nichts an. Als die Habsburger später den deutschen Kaiser¬ thron bestiegen, legten sie kaum uoch großes Gewicht auf die Zurückgewiunung der Heimat. Ihre Hausmacht konnte des armen, schwer regierbaren Landes entraten, das ihnen selbst übrigens die besten Söldner stellte. Kaiser Max und Karl V. ließen ihre frühern Landsleute mit Vorliebe für Habsburgs Banner fechten und bluten. Die Schweizer Freiheit mit ihrem Fürstenhaß fand ihr Gegenstück in den stolzen friesischen Bauern, in der Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande und in den freien Reichsstädten und -Dörfern. Auch das alte Reich vereinigte in seinem Verbände Fürstentum, freies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/588>, abgerufen am 28.09.2024.