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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

Bürgertum und freie Bauernschaften. Die alte Schweiz selbst war so echt
deutsch, daß sie sogar im kleinen das böse Abbild der elenden Kleinstaaterei
bot, die man hier nun den Kantönligeist nennt. Die Freiheit war nicht demo¬
kratisch, sondern aristokratisch. Das harte Patrizierregiment der Erlach, Mülinen,
Wattenwyl usw. stand der fürstlichen Herrschaft im Reiche ebenso wenig nach,
als dies deren uradlicher Stammbaum that. Die schließliche Unabhängigkeit
der Eidgenossenschaft vom alten seligen Reiche im Westfälischen Frieden war
keine Folge der Kraft der Schweizer Bauern uuter ihren edelmännischen Führern,
sondern der Schwäche des kranken Reichskörpers, denn alle stärkern Glieder
waren thatsächlich vom Ganzen unabhängig; dies hat nachher auch der Reichs-
deputationshauptschluß von 1803 staatsrechtlich ausgesprochen.

Frankreichs Schuldposten behandelt der Herr Schweizer trotz seiner sicher-
lich genauen Sachkenntnis allzu parteiisch. Ju den Burgunderkriegen hat
schon das welsche Nachbarreich seine Hand nach der Schweiz ausgestreckt, denn
Karl der Kühne war der thatsächliche Gebieter Frankreichs. Sodann wurde
sie das Nekrutendepot der Bourbonen, die allmählich auch auf diese Weise die
Westschweiz verwelschten. Freilich schützte noch der Berner Bär mit kräftiger
Pranke die westlichen Unterthanenlande. Aber kaum fiel die Berner Herrschaft,
so begann mit der helvetischen Republik von Frankreichs Gnaden, den Schweizer
Departements des korsischen Kaiserreichs und endlich mit dem Vundesstaate
von Laharpes Vaterschaft mit Unterstützung der russischen Knute die Vorbe¬
reitung zur Angliederung an Frankreich, das Wallis an sich gerissen hatte;
und noch Napoleon III. annektierte Savoyen, ohne die vertragsmäßige Neu¬
tralität der Uferlandschaft des Genfer Sees zu beachten! Die Akten am
Quai d'Orsay in Paris würden erbauliche Aufschlüsse darüber geben, wie oft
Anschläge auf die Schweiz von den französischen Machthabern geplant worden
sind. Daß man sogar Bismarck das Land für Elsaß-Lothringen überlassen
wollte, kann doch kaum die französischen Sympathien der Schweizer erwecken.
Freilich wollte der größte Deutsche unsrer Zeit das "wilde" Land gar nicht,
und auch seine mildern Nachfolger im Amte werden der kleinen Schweiz gewiß
nicht das Lebenslicht ausblasen. Wir können sogar verraten, daß uns schon
strategisch dieser Zuwachs gar nicht passen würde. Wir wünschen bloß eine
Schweiz, die sich ihres angestammten Volkstums bewußt ist und sich nicht mit
heißer Inbrunst ohne einen Funken von Ncitionalgefühl ruhig verwelschen
läßt. Aber der Herr Schweizer, der so liebevoll und hochherzig von Frank¬
reich denkt, glaubt zum Beweise der schlechten Absichten der deutschen Regie¬
rungen ihren angeblichen Hochmut gegen die armen Schweizer als höchsten
Trumpf auszuspielen. Denkt er dabei vielleicht an den schwachen Friedrich
Wilhelm IV., der sein Erbrecht auf sein Schweizer Fürstentum aufgab, ob¬
gleich die Neuenburger Demokraten ihn in seiner Königsehre schwer gekränkt
hatten?


Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

Bürgertum und freie Bauernschaften. Die alte Schweiz selbst war so echt
deutsch, daß sie sogar im kleinen das böse Abbild der elenden Kleinstaaterei
bot, die man hier nun den Kantönligeist nennt. Die Freiheit war nicht demo¬
kratisch, sondern aristokratisch. Das harte Patrizierregiment der Erlach, Mülinen,
Wattenwyl usw. stand der fürstlichen Herrschaft im Reiche ebenso wenig nach,
als dies deren uradlicher Stammbaum that. Die schließliche Unabhängigkeit
der Eidgenossenschaft vom alten seligen Reiche im Westfälischen Frieden war
keine Folge der Kraft der Schweizer Bauern uuter ihren edelmännischen Führern,
sondern der Schwäche des kranken Reichskörpers, denn alle stärkern Glieder
waren thatsächlich vom Ganzen unabhängig; dies hat nachher auch der Reichs-
deputationshauptschluß von 1803 staatsrechtlich ausgesprochen.

Frankreichs Schuldposten behandelt der Herr Schweizer trotz seiner sicher-
lich genauen Sachkenntnis allzu parteiisch. Ju den Burgunderkriegen hat
schon das welsche Nachbarreich seine Hand nach der Schweiz ausgestreckt, denn
Karl der Kühne war der thatsächliche Gebieter Frankreichs. Sodann wurde
sie das Nekrutendepot der Bourbonen, die allmählich auch auf diese Weise die
Westschweiz verwelschten. Freilich schützte noch der Berner Bär mit kräftiger
Pranke die westlichen Unterthanenlande. Aber kaum fiel die Berner Herrschaft,
so begann mit der helvetischen Republik von Frankreichs Gnaden, den Schweizer
Departements des korsischen Kaiserreichs und endlich mit dem Vundesstaate
von Laharpes Vaterschaft mit Unterstützung der russischen Knute die Vorbe¬
reitung zur Angliederung an Frankreich, das Wallis an sich gerissen hatte;
und noch Napoleon III. annektierte Savoyen, ohne die vertragsmäßige Neu¬
tralität der Uferlandschaft des Genfer Sees zu beachten! Die Akten am
Quai d'Orsay in Paris würden erbauliche Aufschlüsse darüber geben, wie oft
Anschläge auf die Schweiz von den französischen Machthabern geplant worden
sind. Daß man sogar Bismarck das Land für Elsaß-Lothringen überlassen
wollte, kann doch kaum die französischen Sympathien der Schweizer erwecken.
Freilich wollte der größte Deutsche unsrer Zeit das „wilde" Land gar nicht,
und auch seine mildern Nachfolger im Amte werden der kleinen Schweiz gewiß
nicht das Lebenslicht ausblasen. Wir können sogar verraten, daß uns schon
strategisch dieser Zuwachs gar nicht passen würde. Wir wünschen bloß eine
Schweiz, die sich ihres angestammten Volkstums bewußt ist und sich nicht mit
heißer Inbrunst ohne einen Funken von Ncitionalgefühl ruhig verwelschen
läßt. Aber der Herr Schweizer, der so liebevoll und hochherzig von Frank¬
reich denkt, glaubt zum Beweise der schlechten Absichten der deutschen Regie¬
rungen ihren angeblichen Hochmut gegen die armen Schweizer als höchsten
Trumpf auszuspielen. Denkt er dabei vielleicht an den schwachen Friedrich
Wilhelm IV., der sein Erbrecht auf sein Schweizer Fürstentum aufgab, ob¬
gleich die Neuenburger Demokraten ihn in seiner Königsehre schwer gekränkt
hatten?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/589>, abgerufen am 28.09.2024.