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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

malen Gleichgültigkeit zu rütteln. In Ur. 19 hat ein zweifellos deutschgesinnter
Schweizer darauf geantwortet. Im Vergleich mit den groben Schmähungen
und Verdächtigungen, mit denen mich seine heimatliche Presse überschüttet hat,
klingt seine Rede wie eine Friedensschalmei und sticht in der liebenswürdigen
Form vorteilhaft von den sonstigen Zornesergüssen ab, die nicht einmal eine
Entschuldigung oder Erklärung der vaterlandslosen Fremdenliebe der deutschen
Schweizer versuchen, geschweige denn mich in irgend einer Hinsicht sachlich
widerlegt hätten. Ich glaubte deshalb auch eigentlich keine Erwiderung nötig
zu haben, aber die deutsche Gesinnung und die sachliche Sprache des schweize¬
rischen Gegners veranlaßt mich doch zu einer Prüfung seiner umfänglichen und
wohl gewählten Verteidigung.

Das Deutsche Reich der Gegenwart ist geschichtlich das arg verkleinerte
Mutterland des deutschen Volkstums in Europa. Die heutige Schweiz ist ein
Teil des alemannischen Stammherzogtums, und zwar nicht bloß die jetzige
fälschlich so genannte deutsche Schweiz. Alemannien reichte über die Alpen
bis zum Langensee, und erst Genf war die burgundische, romanisierte Grenz¬
stadt, also das einzige romanische Stückchen Erde der Schweiz. Das Nord¬
ufer des Lemansees war rein deutsch; die burgundischen, also doch germanischen,
Neste sind mit den alemannischen Einwandrern verschmolzen. Trotz dieser natio¬
nalen Sachlage schreibt der Herr Verfasser wörtlich: "Die französische Sprache
ist einem großen Teil der Deutschschweizer die liebste nächst dem geliebten
Schweizerdeutsch. Mau trifft mehr Bauern, die ordentlich französisch, als
solche, die geläufig hochdeutsch sprechen." Er weiß als Sprachkenner, daß
das Schweizerdeutsch die alemannische Mundart des Hochdeutschen ist, wie sie
auch in Baden und im Elsaß gesprochen wird. Freilich ist das Schweizer¬
deutsch sehr vielgestaltig und wird anders im Unbekante als im Prätigau ge¬
sprochen. Ein einheitliches Schweizerdeutsch giebt es kaum. Ich halte es
aber unter sicherer Zustimmung des Verfassers für hochdeutsch; er deutet
freilich die betrübende Thatsache an, daß sich der Schweizer nur noch mund¬
artlich, dagegen nicht in reinem Hochdeutsch mündlich ausdrücken kann, obwohl
es seine Schriftsprache ist. Sollte er vielleicht auf die Niederlande, Belgien
und Holland hinweisen, so darf ich wohl diesen Einwand, den er aber als
gebildeter Deutscher auch im Ernst gar nicht erheben würde, hierbei gleich er¬
ledigen. Die Sprache der Niederlande ist niederdeutsch und nicht bloß mund¬
artlich; auch hat sie eine eigne Schriftform; unser reichsdeutscher Norden ist
ebenfalls niederdeutsch, und die heimatliche Mundart wird dort mit Liebe gepflegt.
Welcher gebildete Deutsche hat nicht seinen Reuter und Klaus Groth gelesen?
Aber der Herr Schweizer stellt selbst fest, daß sich seine Landsleute, die nicht
einmal ihre eigne hochdeutsche Muttersprache ordentlich reden können, mit Vor¬
liebe des fremden Französischen bedienen. Wenn er meint, daß selbst die
Bauern eine Neigung zum Französischen Hütten, so mag er nur gütigst ver-


Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung

malen Gleichgültigkeit zu rütteln. In Ur. 19 hat ein zweifellos deutschgesinnter
Schweizer darauf geantwortet. Im Vergleich mit den groben Schmähungen
und Verdächtigungen, mit denen mich seine heimatliche Presse überschüttet hat,
klingt seine Rede wie eine Friedensschalmei und sticht in der liebenswürdigen
Form vorteilhaft von den sonstigen Zornesergüssen ab, die nicht einmal eine
Entschuldigung oder Erklärung der vaterlandslosen Fremdenliebe der deutschen
Schweizer versuchen, geschweige denn mich in irgend einer Hinsicht sachlich
widerlegt hätten. Ich glaubte deshalb auch eigentlich keine Erwiderung nötig
zu haben, aber die deutsche Gesinnung und die sachliche Sprache des schweize¬
rischen Gegners veranlaßt mich doch zu einer Prüfung seiner umfänglichen und
wohl gewählten Verteidigung.

Das Deutsche Reich der Gegenwart ist geschichtlich das arg verkleinerte
Mutterland des deutschen Volkstums in Europa. Die heutige Schweiz ist ein
Teil des alemannischen Stammherzogtums, und zwar nicht bloß die jetzige
fälschlich so genannte deutsche Schweiz. Alemannien reichte über die Alpen
bis zum Langensee, und erst Genf war die burgundische, romanisierte Grenz¬
stadt, also das einzige romanische Stückchen Erde der Schweiz. Das Nord¬
ufer des Lemansees war rein deutsch; die burgundischen, also doch germanischen,
Neste sind mit den alemannischen Einwandrern verschmolzen. Trotz dieser natio¬
nalen Sachlage schreibt der Herr Verfasser wörtlich: „Die französische Sprache
ist einem großen Teil der Deutschschweizer die liebste nächst dem geliebten
Schweizerdeutsch. Mau trifft mehr Bauern, die ordentlich französisch, als
solche, die geläufig hochdeutsch sprechen." Er weiß als Sprachkenner, daß
das Schweizerdeutsch die alemannische Mundart des Hochdeutschen ist, wie sie
auch in Baden und im Elsaß gesprochen wird. Freilich ist das Schweizer¬
deutsch sehr vielgestaltig und wird anders im Unbekante als im Prätigau ge¬
sprochen. Ein einheitliches Schweizerdeutsch giebt es kaum. Ich halte es
aber unter sicherer Zustimmung des Verfassers für hochdeutsch; er deutet
freilich die betrübende Thatsache an, daß sich der Schweizer nur noch mund¬
artlich, dagegen nicht in reinem Hochdeutsch mündlich ausdrücken kann, obwohl
es seine Schriftsprache ist. Sollte er vielleicht auf die Niederlande, Belgien
und Holland hinweisen, so darf ich wohl diesen Einwand, den er aber als
gebildeter Deutscher auch im Ernst gar nicht erheben würde, hierbei gleich er¬
ledigen. Die Sprache der Niederlande ist niederdeutsch und nicht bloß mund¬
artlich; auch hat sie eine eigne Schriftform; unser reichsdeutscher Norden ist
ebenfalls niederdeutsch, und die heimatliche Mundart wird dort mit Liebe gepflegt.
Welcher gebildete Deutsche hat nicht seinen Reuter und Klaus Groth gelesen?
Aber der Herr Schweizer stellt selbst fest, daß sich seine Landsleute, die nicht
einmal ihre eigne hochdeutsche Muttersprache ordentlich reden können, mit Vor¬
liebe des fremden Französischen bedienen. Wenn er meint, daß selbst die
Bauern eine Neigung zum Französischen Hütten, so mag er nur gütigst ver-


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[0587] Deutsche Abwehr einer Schweizer Verteidigung malen Gleichgültigkeit zu rütteln. In Ur. 19 hat ein zweifellos deutschgesinnter Schweizer darauf geantwortet. Im Vergleich mit den groben Schmähungen und Verdächtigungen, mit denen mich seine heimatliche Presse überschüttet hat, klingt seine Rede wie eine Friedensschalmei und sticht in der liebenswürdigen Form vorteilhaft von den sonstigen Zornesergüssen ab, die nicht einmal eine Entschuldigung oder Erklärung der vaterlandslosen Fremdenliebe der deutschen Schweizer versuchen, geschweige denn mich in irgend einer Hinsicht sachlich widerlegt hätten. Ich glaubte deshalb auch eigentlich keine Erwiderung nötig zu haben, aber die deutsche Gesinnung und die sachliche Sprache des schweize¬ rischen Gegners veranlaßt mich doch zu einer Prüfung seiner umfänglichen und wohl gewählten Verteidigung. Das Deutsche Reich der Gegenwart ist geschichtlich das arg verkleinerte Mutterland des deutschen Volkstums in Europa. Die heutige Schweiz ist ein Teil des alemannischen Stammherzogtums, und zwar nicht bloß die jetzige fälschlich so genannte deutsche Schweiz. Alemannien reichte über die Alpen bis zum Langensee, und erst Genf war die burgundische, romanisierte Grenz¬ stadt, also das einzige romanische Stückchen Erde der Schweiz. Das Nord¬ ufer des Lemansees war rein deutsch; die burgundischen, also doch germanischen, Neste sind mit den alemannischen Einwandrern verschmolzen. Trotz dieser natio¬ nalen Sachlage schreibt der Herr Verfasser wörtlich: „Die französische Sprache ist einem großen Teil der Deutschschweizer die liebste nächst dem geliebten Schweizerdeutsch. Mau trifft mehr Bauern, die ordentlich französisch, als solche, die geläufig hochdeutsch sprechen." Er weiß als Sprachkenner, daß das Schweizerdeutsch die alemannische Mundart des Hochdeutschen ist, wie sie auch in Baden und im Elsaß gesprochen wird. Freilich ist das Schweizer¬ deutsch sehr vielgestaltig und wird anders im Unbekante als im Prätigau ge¬ sprochen. Ein einheitliches Schweizerdeutsch giebt es kaum. Ich halte es aber unter sicherer Zustimmung des Verfassers für hochdeutsch; er deutet freilich die betrübende Thatsache an, daß sich der Schweizer nur noch mund¬ artlich, dagegen nicht in reinem Hochdeutsch mündlich ausdrücken kann, obwohl es seine Schriftsprache ist. Sollte er vielleicht auf die Niederlande, Belgien und Holland hinweisen, so darf ich wohl diesen Einwand, den er aber als gebildeter Deutscher auch im Ernst gar nicht erheben würde, hierbei gleich er¬ ledigen. Die Sprache der Niederlande ist niederdeutsch und nicht bloß mund¬ artlich; auch hat sie eine eigne Schriftform; unser reichsdeutscher Norden ist ebenfalls niederdeutsch, und die heimatliche Mundart wird dort mit Liebe gepflegt. Welcher gebildete Deutsche hat nicht seinen Reuter und Klaus Groth gelesen? Aber der Herr Schweizer stellt selbst fest, daß sich seine Landsleute, die nicht einmal ihre eigne hochdeutsche Muttersprache ordentlich reden können, mit Vor¬ liebe des fremden Französischen bedienen. Wenn er meint, daß selbst die Bauern eine Neigung zum Französischen Hütten, so mag er nur gütigst ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/587>, abgerufen am 28.09.2024.