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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismmcks Gedanken und Lrinnerungen

"eventuell" auf russische Hilfe zählen dürfe. Auch der Generalstabschef hat
also eine französisch-österreichische Koalition für höchst wahrscheinlich gehalten und
danach 1870 gehandelt, denn beim Ausmarsch gegen Frankreich im Juli
blieben gegen Österreich zunächst zwei Armeekorps, das VI. bei Breslau, das
II. bei Berlin zurück, und erst am 18. Juli teilte er Roon mit: "Die Front
gegen Österreich ist bis jetzt nicht bedroht. Ich halte es vielmehr für das
beste, alle demonstrativen Anordnungen in der Grenzprovinz zu vermeiden."")
Hinzugefügt sei noch, daß um diese Zeit die Stimmung in der sächsischen
Oberlausitz an der böhmischen Grenze sehr besorgt war, da man wußte, daß
in Österreich die Reserven einberufen würden. Sehr bezeichnend ist auch die
-- soviel ich weiß -- noch nirgends erwähnte Ausprägung österreichischer
Silbermünzen mit der Gleichung 3 Gulden 5 Franken in dieser Zeit.

War man sich also in Berlin über die Stimmungen und Absichten in
Österreich ganz klar, so traute Bismarck auch dem Florentiner Kabinett nach
seinem eignen Zeugnis (G. u. E. II, 103) keineswegs, trotz der römischen
Frage. Dieses Mißtrauen schwand erst, als am 21. August 1870 im Haupt¬
quartier Pont-ä-Moussou aus Florenz "die sichere Nachricht" eintraf, Viktor
Emanuel habe sich infolge der deutschen Siege entschlossen, neutral zu bleiben. 2)
Ob man aber in Berlin von den Verabredungen über den Kriegsplan der
werdenden Koalition etwas gewußt hat, ist doch zweifelhaft, sogar unwahr¬
scheinlich, denn Moltke nimmt auch in seiner letzten, noch im Juli 1870 über¬
arbeiteten Denkschrift, wo er doch die Aufstellung der bayrischen Hauptmacht
am untern Jnn voraussieht, ^) keine Rücksicht auf die Möglichkeit, daß eine
italienische Armee über den Brenner gegen München marschiere. Aber sehr
aufmerksam verfolgte man den langen Aufenthalt des Erzherzogs Albrecht in
Paris im März 1870; Busch erhielt schon am 11. März den Auftrag,'')
"zunächst in einem Blatte, das der Regierung fern steht," darauf "als auf
ein bedenkliches Symptom" hinzuweisen und zu bemerken, "in London knüpften
sich darau Gerüchte von einem Abkommen zwischen Frankreich und Österreich."
Nicht minder war man in Berlin des Einverständnisses der römischen Kurie
und der Jesuiten mit den Tuilerien "über eine Koalition der katholischen
Mächte völlig sicher."'')

Kurz, Bismarck hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß sich eine







') Moltkes militärische Korrespondenz III, 1 (1LW) Ur. 12. 14. Is. 16. 18. 24. Über
den Krieg gegen Frankreich sagte er schon im März 1867: "Ich halte leider diesen Krieg binnen
jetzt und fünf Jahren für unvermeidlich." Am liebsten hätte er ihn schon damals gesehen.
Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier II, 97. 111, 288.
2) Busch, Tagebuchblütter I, 92.
") Moltke a. a. O, >!!. I, 119 ff. (Ur. 18).
') Busch I, 14 f.
°) Busch II, 808 f. (Aufsatz für die Kölnische Zeitung in Bismarcks Auftrage, Januar 1872).
Kritische Studien zu Fürst Bismmcks Gedanken und Lrinnerungen

„eventuell" auf russische Hilfe zählen dürfe. Auch der Generalstabschef hat
also eine französisch-österreichische Koalition für höchst wahrscheinlich gehalten und
danach 1870 gehandelt, denn beim Ausmarsch gegen Frankreich im Juli
blieben gegen Österreich zunächst zwei Armeekorps, das VI. bei Breslau, das
II. bei Berlin zurück, und erst am 18. Juli teilte er Roon mit: „Die Front
gegen Österreich ist bis jetzt nicht bedroht. Ich halte es vielmehr für das
beste, alle demonstrativen Anordnungen in der Grenzprovinz zu vermeiden."")
Hinzugefügt sei noch, daß um diese Zeit die Stimmung in der sächsischen
Oberlausitz an der böhmischen Grenze sehr besorgt war, da man wußte, daß
in Österreich die Reserven einberufen würden. Sehr bezeichnend ist auch die
— soviel ich weiß — noch nirgends erwähnte Ausprägung österreichischer
Silbermünzen mit der Gleichung 3 Gulden 5 Franken in dieser Zeit.

War man sich also in Berlin über die Stimmungen und Absichten in
Österreich ganz klar, so traute Bismarck auch dem Florentiner Kabinett nach
seinem eignen Zeugnis (G. u. E. II, 103) keineswegs, trotz der römischen
Frage. Dieses Mißtrauen schwand erst, als am 21. August 1870 im Haupt¬
quartier Pont-ä-Moussou aus Florenz „die sichere Nachricht" eintraf, Viktor
Emanuel habe sich infolge der deutschen Siege entschlossen, neutral zu bleiben. 2)
Ob man aber in Berlin von den Verabredungen über den Kriegsplan der
werdenden Koalition etwas gewußt hat, ist doch zweifelhaft, sogar unwahr¬
scheinlich, denn Moltke nimmt auch in seiner letzten, noch im Juli 1870 über¬
arbeiteten Denkschrift, wo er doch die Aufstellung der bayrischen Hauptmacht
am untern Jnn voraussieht, ^) keine Rücksicht auf die Möglichkeit, daß eine
italienische Armee über den Brenner gegen München marschiere. Aber sehr
aufmerksam verfolgte man den langen Aufenthalt des Erzherzogs Albrecht in
Paris im März 1870; Busch erhielt schon am 11. März den Auftrag,'')
„zunächst in einem Blatte, das der Regierung fern steht," darauf „als auf
ein bedenkliches Symptom" hinzuweisen und zu bemerken, „in London knüpften
sich darau Gerüchte von einem Abkommen zwischen Frankreich und Österreich."
Nicht minder war man in Berlin des Einverständnisses der römischen Kurie
und der Jesuiten mit den Tuilerien „über eine Koalition der katholischen
Mächte völlig sicher."'')

Kurz, Bismarck hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß sich eine







') Moltkes militärische Korrespondenz III, 1 (1LW) Ur. 12. 14. Is. 16. 18. 24. Über
den Krieg gegen Frankreich sagte er schon im März 1867: „Ich halte leider diesen Krieg binnen
jetzt und fünf Jahren für unvermeidlich." Am liebsten hätte er ihn schon damals gesehen.
Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier II, 97. 111, 288.
2) Busch, Tagebuchblütter I, 92.
") Moltke a. a. O, >!!. I, 119 ff. (Ur. 18).
') Busch I, 14 f.
°) Busch II, 808 f. (Aufsatz für die Kölnische Zeitung in Bismarcks Auftrage, Januar 1872).
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[0576] Kritische Studien zu Fürst Bismmcks Gedanken und Lrinnerungen „eventuell" auf russische Hilfe zählen dürfe. Auch der Generalstabschef hat also eine französisch-österreichische Koalition für höchst wahrscheinlich gehalten und danach 1870 gehandelt, denn beim Ausmarsch gegen Frankreich im Juli blieben gegen Österreich zunächst zwei Armeekorps, das VI. bei Breslau, das II. bei Berlin zurück, und erst am 18. Juli teilte er Roon mit: „Die Front gegen Österreich ist bis jetzt nicht bedroht. Ich halte es vielmehr für das beste, alle demonstrativen Anordnungen in der Grenzprovinz zu vermeiden."") Hinzugefügt sei noch, daß um diese Zeit die Stimmung in der sächsischen Oberlausitz an der böhmischen Grenze sehr besorgt war, da man wußte, daß in Österreich die Reserven einberufen würden. Sehr bezeichnend ist auch die — soviel ich weiß — noch nirgends erwähnte Ausprägung österreichischer Silbermünzen mit der Gleichung 3 Gulden 5 Franken in dieser Zeit. War man sich also in Berlin über die Stimmungen und Absichten in Österreich ganz klar, so traute Bismarck auch dem Florentiner Kabinett nach seinem eignen Zeugnis (G. u. E. II, 103) keineswegs, trotz der römischen Frage. Dieses Mißtrauen schwand erst, als am 21. August 1870 im Haupt¬ quartier Pont-ä-Moussou aus Florenz „die sichere Nachricht" eintraf, Viktor Emanuel habe sich infolge der deutschen Siege entschlossen, neutral zu bleiben. 2) Ob man aber in Berlin von den Verabredungen über den Kriegsplan der werdenden Koalition etwas gewußt hat, ist doch zweifelhaft, sogar unwahr¬ scheinlich, denn Moltke nimmt auch in seiner letzten, noch im Juli 1870 über¬ arbeiteten Denkschrift, wo er doch die Aufstellung der bayrischen Hauptmacht am untern Jnn voraussieht, ^) keine Rücksicht auf die Möglichkeit, daß eine italienische Armee über den Brenner gegen München marschiere. Aber sehr aufmerksam verfolgte man den langen Aufenthalt des Erzherzogs Albrecht in Paris im März 1870; Busch erhielt schon am 11. März den Auftrag,'') „zunächst in einem Blatte, das der Regierung fern steht," darauf „als auf ein bedenkliches Symptom" hinzuweisen und zu bemerken, „in London knüpften sich darau Gerüchte von einem Abkommen zwischen Frankreich und Österreich." Nicht minder war man in Berlin des Einverständnisses der römischen Kurie und der Jesuiten mit den Tuilerien „über eine Koalition der katholischen Mächte völlig sicher."'') Kurz, Bismarck hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß sich eine ') Moltkes militärische Korrespondenz III, 1 (1LW) Ur. 12. 14. Is. 16. 18. 24. Über den Krieg gegen Frankreich sagte er schon im März 1867: „Ich halte leider diesen Krieg binnen jetzt und fünf Jahren für unvermeidlich." Am liebsten hätte er ihn schon damals gesehen. Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier II, 97. 111, 288. 2) Busch, Tagebuchblütter I, 92. ") Moltke a. a. O, >!!. I, 119 ff. (Ur. 18). ') Busch I, 14 f. °) Busch II, 808 f. (Aufsatz für die Kölnische Zeitung in Bismarcks Auftrage, Januar 1872).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/576>, abgerufen am 28.09.2024.