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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Lürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Koalition gegen das neue Deutschland vorbereite, und diese Befürchtung, dieser
"Alpdruck der Koalitionen" (is <zg.uoksrn.2r ass "zonWons, G. u. E. II, 224.
233) mußte seine ganze Politik beherrschen und hat sie beherrscht. Gegen die
feindlichen Minen legte er also Gegenminen. Er pflegte sorgfältig das gute
Einvernehmen mit Rußland, das der Hauptsache nach auf der Februar¬
konvention von 1863 beruhte, und das insofern auch in Rußlands besonderm
Interesse lag, als ein Sieg Frankreichs über Deutschland die Polen un¬
zweifelhaft zu einer neuen Erhebung gebracht hättet; ja man war dessen so
sicher, daß Moltke in seinen Entwürfen zu einem Doppelkriege gegen Frankreich
und Österreich den russischen Beistand mit in Rechnung stellte. In der That
erlangte auch König Wilhelm von Kaiser Alexander bei der Zusammenkunft
in Eins, 2. bis 4. Juni 1870, der Bismarck beiwohnte, die Zusicherung
freundlicher Neutralität Rußlands, unter der Voraussetzung, daß kein Zwang
gegen die süddeutschen Staaten geübt werdet; das alte gute Einvernehmen
wurde dort also befestigt. Andrerseits hat Bismarck, wie er in den Gedanken
und Erinnerungen II, 103 mit schönem Freimut selbst gesteht, kein Bedenken
getragen, auch mit der italienischen Aktionspartei, die von einem nähern An¬
schluß der italienischen Regierung an Frankreich eine stärkere Abhängigkeit
Italiens fürchtete, in Verbindung zu treten, um mit ihrer Hilfe ein feindliches
Vorgehen Italiens gegen Deutschland zu lahmen, wie er es 1866 nicht ver¬
schmäht hatte, die Magyaren gegen Österreich aufzurufen, als sich Frankreich
einzumischen drohte. Schon 1867 hatte sich Garibaldi um Geldunterstützung
seines damals geplanten Einfalls in den Kirchenstaat an ihn gewandt, noch
ohne Erfolg, weil Bismarck diesen Schritt für ungerechtfertigt hielt"); dann
traten 1868 und 1869 ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer
und nicht bloß republikanischer Seite an ihn heran. Im Juli 1870, kurz
nach der Kriegserklärung sollte der bekannte Demokrat Gustav Rasch vom
Auswärtigen Amte aus durch M. Busch gefragt werden, "ob er zu Garibaldi
reisen, ihn zu eiuer Expedition gegen Rom veranlassen und ihm von uns dazu
Geld überbringen wolle"''); endlich erschienen auf dem Marsche durch die Pfalz
(in Homburg 7. oder 8. August) "italienische Herren" bei Bismarck, um Unter¬
stützung für ihr Vorgehen gegen ihre Regierung zu erbitten, und erhielten von
ihm die Antwort: es sei gegen sein politisches Gewissen, eine Jnitative zum
Bruche zu ergreifen. Doch "wenn Viktor Emanuel, erklärte er weiter, die
Initiative zu dem Bruche ergriffe, fo würde die republikanische Tendenz der¬
jenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten,






Vergl. Sybel VII, 379 f.
2) B, Bolz, Wilhelm der Große 4S3, der manche gute, sonst unbekannte Mitteilung bringt.
"
) Busch II, 281 (mit Bezug auf Bouedctti, N-^ wission su ?russs),
Busch I, 46 f., vgl. mit der eben angeführten Stelle, nach der die Sendung zu stände
gekommen zu sein scheint.
Grenzboten II 18W 72
Kritische Studien zu Lürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Koalition gegen das neue Deutschland vorbereite, und diese Befürchtung, dieser
„Alpdruck der Koalitionen" (is <zg.uoksrn.2r ass «zonWons, G. u. E. II, 224.
233) mußte seine ganze Politik beherrschen und hat sie beherrscht. Gegen die
feindlichen Minen legte er also Gegenminen. Er pflegte sorgfältig das gute
Einvernehmen mit Rußland, das der Hauptsache nach auf der Februar¬
konvention von 1863 beruhte, und das insofern auch in Rußlands besonderm
Interesse lag, als ein Sieg Frankreichs über Deutschland die Polen un¬
zweifelhaft zu einer neuen Erhebung gebracht hättet; ja man war dessen so
sicher, daß Moltke in seinen Entwürfen zu einem Doppelkriege gegen Frankreich
und Österreich den russischen Beistand mit in Rechnung stellte. In der That
erlangte auch König Wilhelm von Kaiser Alexander bei der Zusammenkunft
in Eins, 2. bis 4. Juni 1870, der Bismarck beiwohnte, die Zusicherung
freundlicher Neutralität Rußlands, unter der Voraussetzung, daß kein Zwang
gegen die süddeutschen Staaten geübt werdet; das alte gute Einvernehmen
wurde dort also befestigt. Andrerseits hat Bismarck, wie er in den Gedanken
und Erinnerungen II, 103 mit schönem Freimut selbst gesteht, kein Bedenken
getragen, auch mit der italienischen Aktionspartei, die von einem nähern An¬
schluß der italienischen Regierung an Frankreich eine stärkere Abhängigkeit
Italiens fürchtete, in Verbindung zu treten, um mit ihrer Hilfe ein feindliches
Vorgehen Italiens gegen Deutschland zu lahmen, wie er es 1866 nicht ver¬
schmäht hatte, die Magyaren gegen Österreich aufzurufen, als sich Frankreich
einzumischen drohte. Schon 1867 hatte sich Garibaldi um Geldunterstützung
seines damals geplanten Einfalls in den Kirchenstaat an ihn gewandt, noch
ohne Erfolg, weil Bismarck diesen Schritt für ungerechtfertigt hielt"); dann
traten 1868 und 1869 ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer
und nicht bloß republikanischer Seite an ihn heran. Im Juli 1870, kurz
nach der Kriegserklärung sollte der bekannte Demokrat Gustav Rasch vom
Auswärtigen Amte aus durch M. Busch gefragt werden, „ob er zu Garibaldi
reisen, ihn zu eiuer Expedition gegen Rom veranlassen und ihm von uns dazu
Geld überbringen wolle"''); endlich erschienen auf dem Marsche durch die Pfalz
(in Homburg 7. oder 8. August) „italienische Herren" bei Bismarck, um Unter¬
stützung für ihr Vorgehen gegen ihre Regierung zu erbitten, und erhielten von
ihm die Antwort: es sei gegen sein politisches Gewissen, eine Jnitative zum
Bruche zu ergreifen. Doch „wenn Viktor Emanuel, erklärte er weiter, die
Initiative zu dem Bruche ergriffe, fo würde die republikanische Tendenz der¬
jenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten,






Vergl. Sybel VII, 379 f.
2) B, Bolz, Wilhelm der Große 4S3, der manche gute, sonst unbekannte Mitteilung bringt.
"
) Busch II, 281 (mit Bezug auf Bouedctti, N-^ wission su ?russs),
Busch I, 46 f., vgl. mit der eben angeführten Stelle, nach der die Sendung zu stände
gekommen zu sein scheint.
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[0577] Kritische Studien zu Lürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Koalition gegen das neue Deutschland vorbereite, und diese Befürchtung, dieser „Alpdruck der Koalitionen" (is <zg.uoksrn.2r ass «zonWons, G. u. E. II, 224. 233) mußte seine ganze Politik beherrschen und hat sie beherrscht. Gegen die feindlichen Minen legte er also Gegenminen. Er pflegte sorgfältig das gute Einvernehmen mit Rußland, das der Hauptsache nach auf der Februar¬ konvention von 1863 beruhte, und das insofern auch in Rußlands besonderm Interesse lag, als ein Sieg Frankreichs über Deutschland die Polen un¬ zweifelhaft zu einer neuen Erhebung gebracht hättet; ja man war dessen so sicher, daß Moltke in seinen Entwürfen zu einem Doppelkriege gegen Frankreich und Österreich den russischen Beistand mit in Rechnung stellte. In der That erlangte auch König Wilhelm von Kaiser Alexander bei der Zusammenkunft in Eins, 2. bis 4. Juni 1870, der Bismarck beiwohnte, die Zusicherung freundlicher Neutralität Rußlands, unter der Voraussetzung, daß kein Zwang gegen die süddeutschen Staaten geübt werdet; das alte gute Einvernehmen wurde dort also befestigt. Andrerseits hat Bismarck, wie er in den Gedanken und Erinnerungen II, 103 mit schönem Freimut selbst gesteht, kein Bedenken getragen, auch mit der italienischen Aktionspartei, die von einem nähern An¬ schluß der italienischen Regierung an Frankreich eine stärkere Abhängigkeit Italiens fürchtete, in Verbindung zu treten, um mit ihrer Hilfe ein feindliches Vorgehen Italiens gegen Deutschland zu lahmen, wie er es 1866 nicht ver¬ schmäht hatte, die Magyaren gegen Österreich aufzurufen, als sich Frankreich einzumischen drohte. Schon 1867 hatte sich Garibaldi um Geldunterstützung seines damals geplanten Einfalls in den Kirchenstaat an ihn gewandt, noch ohne Erfolg, weil Bismarck diesen Schritt für ungerechtfertigt hielt"); dann traten 1868 und 1869 ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer und nicht bloß republikanischer Seite an ihn heran. Im Juli 1870, kurz nach der Kriegserklärung sollte der bekannte Demokrat Gustav Rasch vom Auswärtigen Amte aus durch M. Busch gefragt werden, „ob er zu Garibaldi reisen, ihn zu eiuer Expedition gegen Rom veranlassen und ihm von uns dazu Geld überbringen wolle"''); endlich erschienen auf dem Marsche durch die Pfalz (in Homburg 7. oder 8. August) „italienische Herren" bei Bismarck, um Unter¬ stützung für ihr Vorgehen gegen ihre Regierung zu erbitten, und erhielten von ihm die Antwort: es sei gegen sein politisches Gewissen, eine Jnitative zum Bruche zu ergreifen. Doch „wenn Viktor Emanuel, erklärte er weiter, die Initiative zu dem Bruche ergriffe, fo würde die republikanische Tendenz der¬ jenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, Vergl. Sybel VII, 379 f. 2) B, Bolz, Wilhelm der Große 4S3, der manche gute, sonst unbekannte Mitteilung bringt. " ) Busch II, 281 (mit Bezug auf Bouedctti, N-^ wission su ?russs), Busch I, 46 f., vgl. mit der eben angeführten Stelle, nach der die Sendung zu stände gekommen zu sein scheint. Grenzboten II 18W 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/577>, abgerufen am 28.09.2024.