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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische Verfluchungstafeln

Was drittens diese magischen Zeichen anlangt, so finden wir da zunächst
häufig ephesische Schrift, bald ganz sinnlose Silberreiher, bald Gemenge von
Silben, die verschiednen orientalischen Sprachen angehören, sich aber auch nicht
deuten lassen. Ähnliche Bedeutung haben die gnostischen Brauch ungehörigen
Vokalreihen, die sich sehr häufig finden, namentlich die sieben Vokale " e ^ too
je siebenmal gesetzt; es hängt dies mit der uralten heiligen Bedeutung der
Siebenzahl zusammen.

Viertens Zeichnungen, durchweg sehr primitiver Art. Vornehmlich
erscheint Ostris, dessen Bild meist an die Stelle gesetzt ist, wo er angerufen
wird, in der Regel links oben auf der Tafel, als menschlicher Oberkörper auf
oblongen Untersatz (den Wünsch für einen auf einer Schleife stehenden Sarg
erklärt), offenbar die Nachbildung einer Büste; auf dem Haupte hat er einen
merkwürdigen Kopfputz. Dann finden sich mehrfach menschliche Köpfe auf
trapezförmigen Untersätzen aufgestellt; Wünsch hält sie, da sie meist in der
Zweizahl erscheinen, für die oben erwähnten Beisitzer zur Rechten und Linken;
doch sind auch einmal drei solche Büsten zu sehn, und da bedeuten sie die Ver¬
fluchten, deren Namen beigeschrieben sind. Wo sie jedoch zu zweien erscheinen,
findet sich bisweilen in ihrer Mitte eine größere, höchst auffallend gestaltete
Figur. Ein Mensch mit einem spitzohrigen Tierkopf -- nach Wünsch wäre es
ein Eselskopf, andre wollen darin einen Hund oder einen Schakal erkennen --
hält in der Linken eine runde Scheibe, in der Rechten einen Gegenstand, den
Wünsch für eine Rute hält; es könnte auch eine brennende Fackel oder Kerze sein.
Der Unterkörper ist mit einem Fransengewand bedeckt, an den Füßen trägt er
große, eckig zugeschnittne Schuhe. Mystische Zeichen find an Brust und Beinen
eingezeichnet. Wünsch hält diese Figur für den Gott Seth. weil dieser, obschon
oft nicht mit Namen genannt, der mächtigste aller Götter sei, mit Ausnahme
der Ananke, der auch er untersteht. -- Ferner sind Schlangen abgebildet, die
menschliche Figuren oder Mumien umwinden oder auch allein für sich erscheinen.
Die von ihnen umwunduen Menschen sind jedenfalls Wagenlenker, die "ge¬
bunden" werden sollen; die Mumiendarstellungen hält Wünsch für Bilder des
Sarapis, was freilich sehr hypothetisch ist.

Auch einige andre Zeichnungen stellen die verfluchten Wagenlenker dar:
sie haben die charakteristische Tracht (helmartige Kappe mit Kinnriemen, eng¬
anliegende Ärmel, Hosen, kurze Tunka, die mit Lederstreifen umwunden ist --
alles zwar nur angedeutet, aber doch kenntlich); Querstriche, die über Hände
und Füße oder auch nur über die Füße allein geführt sind, deuten die magische
Fesselung an, die auch dadurch bezeichnet wird, daß die Arme über der Brust
und ebenso beide Füße gekreuzt sind. Auf einer Tafel sehen wir zwei Dämonen,
die einen Wagenlenker fesseln; der eine ist rein menschlich gebildet, der andre
hat einen Vogelkopf, ist also ägyptischer Herkunft. -- Dann bieten die Zeich¬
nungen noch allerlei andres, z. B. Leitern, die sicher auch symbolische Be-


Grenzboten II 1899 0"
Über griechische und römische Verfluchungstafeln

Was drittens diese magischen Zeichen anlangt, so finden wir da zunächst
häufig ephesische Schrift, bald ganz sinnlose Silberreiher, bald Gemenge von
Silben, die verschiednen orientalischen Sprachen angehören, sich aber auch nicht
deuten lassen. Ähnliche Bedeutung haben die gnostischen Brauch ungehörigen
Vokalreihen, die sich sehr häufig finden, namentlich die sieben Vokale « e ^ too
je siebenmal gesetzt; es hängt dies mit der uralten heiligen Bedeutung der
Siebenzahl zusammen.

Viertens Zeichnungen, durchweg sehr primitiver Art. Vornehmlich
erscheint Ostris, dessen Bild meist an die Stelle gesetzt ist, wo er angerufen
wird, in der Regel links oben auf der Tafel, als menschlicher Oberkörper auf
oblongen Untersatz (den Wünsch für einen auf einer Schleife stehenden Sarg
erklärt), offenbar die Nachbildung einer Büste; auf dem Haupte hat er einen
merkwürdigen Kopfputz. Dann finden sich mehrfach menschliche Köpfe auf
trapezförmigen Untersätzen aufgestellt; Wünsch hält sie, da sie meist in der
Zweizahl erscheinen, für die oben erwähnten Beisitzer zur Rechten und Linken;
doch sind auch einmal drei solche Büsten zu sehn, und da bedeuten sie die Ver¬
fluchten, deren Namen beigeschrieben sind. Wo sie jedoch zu zweien erscheinen,
findet sich bisweilen in ihrer Mitte eine größere, höchst auffallend gestaltete
Figur. Ein Mensch mit einem spitzohrigen Tierkopf — nach Wünsch wäre es
ein Eselskopf, andre wollen darin einen Hund oder einen Schakal erkennen —
hält in der Linken eine runde Scheibe, in der Rechten einen Gegenstand, den
Wünsch für eine Rute hält; es könnte auch eine brennende Fackel oder Kerze sein.
Der Unterkörper ist mit einem Fransengewand bedeckt, an den Füßen trägt er
große, eckig zugeschnittne Schuhe. Mystische Zeichen find an Brust und Beinen
eingezeichnet. Wünsch hält diese Figur für den Gott Seth. weil dieser, obschon
oft nicht mit Namen genannt, der mächtigste aller Götter sei, mit Ausnahme
der Ananke, der auch er untersteht. — Ferner sind Schlangen abgebildet, die
menschliche Figuren oder Mumien umwinden oder auch allein für sich erscheinen.
Die von ihnen umwunduen Menschen sind jedenfalls Wagenlenker, die „ge¬
bunden" werden sollen; die Mumiendarstellungen hält Wünsch für Bilder des
Sarapis, was freilich sehr hypothetisch ist.

Auch einige andre Zeichnungen stellen die verfluchten Wagenlenker dar:
sie haben die charakteristische Tracht (helmartige Kappe mit Kinnriemen, eng¬
anliegende Ärmel, Hosen, kurze Tunka, die mit Lederstreifen umwunden ist —
alles zwar nur angedeutet, aber doch kenntlich); Querstriche, die über Hände
und Füße oder auch nur über die Füße allein geführt sind, deuten die magische
Fesselung an, die auch dadurch bezeichnet wird, daß die Arme über der Brust
und ebenso beide Füße gekreuzt sind. Auf einer Tafel sehen wir zwei Dämonen,
die einen Wagenlenker fesseln; der eine ist rein menschlich gebildet, der andre
hat einen Vogelkopf, ist also ägyptischer Herkunft. — Dann bieten die Zeich¬
nungen noch allerlei andres, z. B. Leitern, die sicher auch symbolische Be-


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[0545] Über griechische und römische Verfluchungstafeln Was drittens diese magischen Zeichen anlangt, so finden wir da zunächst häufig ephesische Schrift, bald ganz sinnlose Silberreiher, bald Gemenge von Silben, die verschiednen orientalischen Sprachen angehören, sich aber auch nicht deuten lassen. Ähnliche Bedeutung haben die gnostischen Brauch ungehörigen Vokalreihen, die sich sehr häufig finden, namentlich die sieben Vokale « e ^ too je siebenmal gesetzt; es hängt dies mit der uralten heiligen Bedeutung der Siebenzahl zusammen. Viertens Zeichnungen, durchweg sehr primitiver Art. Vornehmlich erscheint Ostris, dessen Bild meist an die Stelle gesetzt ist, wo er angerufen wird, in der Regel links oben auf der Tafel, als menschlicher Oberkörper auf oblongen Untersatz (den Wünsch für einen auf einer Schleife stehenden Sarg erklärt), offenbar die Nachbildung einer Büste; auf dem Haupte hat er einen merkwürdigen Kopfputz. Dann finden sich mehrfach menschliche Köpfe auf trapezförmigen Untersätzen aufgestellt; Wünsch hält sie, da sie meist in der Zweizahl erscheinen, für die oben erwähnten Beisitzer zur Rechten und Linken; doch sind auch einmal drei solche Büsten zu sehn, und da bedeuten sie die Ver¬ fluchten, deren Namen beigeschrieben sind. Wo sie jedoch zu zweien erscheinen, findet sich bisweilen in ihrer Mitte eine größere, höchst auffallend gestaltete Figur. Ein Mensch mit einem spitzohrigen Tierkopf — nach Wünsch wäre es ein Eselskopf, andre wollen darin einen Hund oder einen Schakal erkennen — hält in der Linken eine runde Scheibe, in der Rechten einen Gegenstand, den Wünsch für eine Rute hält; es könnte auch eine brennende Fackel oder Kerze sein. Der Unterkörper ist mit einem Fransengewand bedeckt, an den Füßen trägt er große, eckig zugeschnittne Schuhe. Mystische Zeichen find an Brust und Beinen eingezeichnet. Wünsch hält diese Figur für den Gott Seth. weil dieser, obschon oft nicht mit Namen genannt, der mächtigste aller Götter sei, mit Ausnahme der Ananke, der auch er untersteht. — Ferner sind Schlangen abgebildet, die menschliche Figuren oder Mumien umwinden oder auch allein für sich erscheinen. Die von ihnen umwunduen Menschen sind jedenfalls Wagenlenker, die „ge¬ bunden" werden sollen; die Mumiendarstellungen hält Wünsch für Bilder des Sarapis, was freilich sehr hypothetisch ist. Auch einige andre Zeichnungen stellen die verfluchten Wagenlenker dar: sie haben die charakteristische Tracht (helmartige Kappe mit Kinnriemen, eng¬ anliegende Ärmel, Hosen, kurze Tunka, die mit Lederstreifen umwunden ist — alles zwar nur angedeutet, aber doch kenntlich); Querstriche, die über Hände und Füße oder auch nur über die Füße allein geführt sind, deuten die magische Fesselung an, die auch dadurch bezeichnet wird, daß die Arme über der Brust und ebenso beide Füße gekreuzt sind. Auf einer Tafel sehen wir zwei Dämonen, die einen Wagenlenker fesseln; der eine ist rein menschlich gebildet, der andre hat einen Vogelkopf, ist also ägyptischer Herkunft. — Dann bieten die Zeich¬ nungen noch allerlei andres, z. B. Leitern, die sicher auch symbolische Be- Grenzboten II 1899 0«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/545>, abgerufen am 28.09.2024.