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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische verfluchungstaseln

vielmehr von ihren Wagen, strecke sie zur Erde, daß sie allein an jeder Stelle
des Hippodroms fallen, ausgezischt, besonders aber bei den Kehren, mit körper¬
lichem Schaden der Pferde, die sie lenken" oder "mit zerbrochnen Beinen"
u. dergl. in.

Die römischen Tafeln bieten nach Inhalt und Aussehn viererlei. Erstens
die eigentliche Verfluchung unter Anrufung der Götter. Sie wendet sich
vornehmlich gegen die Wagenlenker selbst und ist zumal wegen der dabei vor¬
kommenden Turfausdrücke von Interesse. So heißt es z.B.: "Ich beschwöre
euch, ihr heiligen Engel und heiligen Namen, haltet durch diesen Bannfluch
fest und bindet, bannt, fesselt, trefft, sehet aus, verderbt, vernichtet, tötet, zer¬
schmettert den Wagenlenker N. N. und alle seine Pferde am morgigen Tage
der römischen Wagenrennen. Er soll nicht gut aus den Schranken heraus¬
fahren, er soll weder durch harten Kampf siegen, noch leicht vorbeikommen,
noch drücken (der Sportausdruck für das beliebte Manöver, dem Gegner quer
vorzufahren oder ihm die Bahn abzuschneiden), noch siegen, noch gut um die
Kehre biegen, noch den Preis erhalten, noch von hinten her an mir vorbei¬
fahren, sondern er soll zusammenstürzen und gebunden werden und zerschmettert
werden durch eure Macht zur Morgen- und zur Mittagszeit! Bald, bald,
schnell, schnell!"

Zweitens Götternamen, die außer im Text auch besonders am Rande
stehen. Sie zeigen die arge Neligionsmengerei der damaligen Zeit. Da finden
wir die ägyptischen Gottheiten, besonders Osiris, Apis, Mneu (wie Apis ein
heiliger Stier), Phra (der alte Sonnengott Rha); auch ein etymologisch noch
unerklärter Eulamon oder Eulamos gehört wohl hierher. Ferner wird häufig
angerufen ein Oe-us vxn^ärius und ein Deus ^inollg-sus, beide nicht mit
Sicherheit zu deuten, jener vermutlich Osiris. Aidaneus ist wohl eine Mischung
von Hades und Adonai, Dann ist oft genannt Seth (oder Typhon-Seth),
der böse Gott, der die Seelen packt, ihre Eingeweide verschlingt und von
Leichen lebt, wie das ägyptische Totenbuch ihn schildert; er ist ein für das
Zauberwesen besonders wichtiger Gott. -- Ganz griechisch ist die Ananke, die
gewaltige Göttin der Notwendigkeit. Auch wird ein Gott ohne Namen an¬
gerufen, von dem es heißt, daß er den unter der Ananke stehenden Kreislauf
der Seelen unter sich habe; denn vor dem Throne der Ananke müssen die
Seelen erscheinen, wenn sie auf ihrer Wanderung ein neues Lebenslos erhalten:
eine neue Lehre, die Orphiker und Gnostiker aufgenommen haben. Daß dieser
Gott ebenfalls Typhon-Seth sei, ist freilich nur eine Hypothese von Wünsch.
Ferner werden Unterweltsdümonen, auch der Tartarus selbst angerufen. --
Indisch sind die Engel und Erzengel, die heilig genannt werden; etwas ähn¬
liches sind die sogenannten Paredrvi, die "Beisitzer" zur Rechten und Linken,
anscheinend helfende Dämonen. Besonders verehrt werden auch die "heiligen
Charaktere," wie sie genannt sind, d. h. die Buchstaben oder Zeichen von
Zauberkraft, die ans den Tafeln so ost vorkommen, aber meist unerklärbar sind.


Über griechische und römische verfluchungstaseln

vielmehr von ihren Wagen, strecke sie zur Erde, daß sie allein an jeder Stelle
des Hippodroms fallen, ausgezischt, besonders aber bei den Kehren, mit körper¬
lichem Schaden der Pferde, die sie lenken" oder „mit zerbrochnen Beinen"
u. dergl. in.

Die römischen Tafeln bieten nach Inhalt und Aussehn viererlei. Erstens
die eigentliche Verfluchung unter Anrufung der Götter. Sie wendet sich
vornehmlich gegen die Wagenlenker selbst und ist zumal wegen der dabei vor¬
kommenden Turfausdrücke von Interesse. So heißt es z.B.: „Ich beschwöre
euch, ihr heiligen Engel und heiligen Namen, haltet durch diesen Bannfluch
fest und bindet, bannt, fesselt, trefft, sehet aus, verderbt, vernichtet, tötet, zer¬
schmettert den Wagenlenker N. N. und alle seine Pferde am morgigen Tage
der römischen Wagenrennen. Er soll nicht gut aus den Schranken heraus¬
fahren, er soll weder durch harten Kampf siegen, noch leicht vorbeikommen,
noch drücken (der Sportausdruck für das beliebte Manöver, dem Gegner quer
vorzufahren oder ihm die Bahn abzuschneiden), noch siegen, noch gut um die
Kehre biegen, noch den Preis erhalten, noch von hinten her an mir vorbei¬
fahren, sondern er soll zusammenstürzen und gebunden werden und zerschmettert
werden durch eure Macht zur Morgen- und zur Mittagszeit! Bald, bald,
schnell, schnell!"

Zweitens Götternamen, die außer im Text auch besonders am Rande
stehen. Sie zeigen die arge Neligionsmengerei der damaligen Zeit. Da finden
wir die ägyptischen Gottheiten, besonders Osiris, Apis, Mneu (wie Apis ein
heiliger Stier), Phra (der alte Sonnengott Rha); auch ein etymologisch noch
unerklärter Eulamon oder Eulamos gehört wohl hierher. Ferner wird häufig
angerufen ein Oe-us vxn^ärius und ein Deus ^inollg-sus, beide nicht mit
Sicherheit zu deuten, jener vermutlich Osiris. Aidaneus ist wohl eine Mischung
von Hades und Adonai, Dann ist oft genannt Seth (oder Typhon-Seth),
der böse Gott, der die Seelen packt, ihre Eingeweide verschlingt und von
Leichen lebt, wie das ägyptische Totenbuch ihn schildert; er ist ein für das
Zauberwesen besonders wichtiger Gott. — Ganz griechisch ist die Ananke, die
gewaltige Göttin der Notwendigkeit. Auch wird ein Gott ohne Namen an¬
gerufen, von dem es heißt, daß er den unter der Ananke stehenden Kreislauf
der Seelen unter sich habe; denn vor dem Throne der Ananke müssen die
Seelen erscheinen, wenn sie auf ihrer Wanderung ein neues Lebenslos erhalten:
eine neue Lehre, die Orphiker und Gnostiker aufgenommen haben. Daß dieser
Gott ebenfalls Typhon-Seth sei, ist freilich nur eine Hypothese von Wünsch.
Ferner werden Unterweltsdümonen, auch der Tartarus selbst angerufen. —
Indisch sind die Engel und Erzengel, die heilig genannt werden; etwas ähn¬
liches sind die sogenannten Paredrvi, die „Beisitzer" zur Rechten und Linken,
anscheinend helfende Dämonen. Besonders verehrt werden auch die „heiligen
Charaktere," wie sie genannt sind, d. h. die Buchstaben oder Zeichen von
Zauberkraft, die ans den Tafeln so ost vorkommen, aber meist unerklärbar sind.


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[0544] Über griechische und römische verfluchungstaseln vielmehr von ihren Wagen, strecke sie zur Erde, daß sie allein an jeder Stelle des Hippodroms fallen, ausgezischt, besonders aber bei den Kehren, mit körper¬ lichem Schaden der Pferde, die sie lenken" oder „mit zerbrochnen Beinen" u. dergl. in. Die römischen Tafeln bieten nach Inhalt und Aussehn viererlei. Erstens die eigentliche Verfluchung unter Anrufung der Götter. Sie wendet sich vornehmlich gegen die Wagenlenker selbst und ist zumal wegen der dabei vor¬ kommenden Turfausdrücke von Interesse. So heißt es z.B.: „Ich beschwöre euch, ihr heiligen Engel und heiligen Namen, haltet durch diesen Bannfluch fest und bindet, bannt, fesselt, trefft, sehet aus, verderbt, vernichtet, tötet, zer¬ schmettert den Wagenlenker N. N. und alle seine Pferde am morgigen Tage der römischen Wagenrennen. Er soll nicht gut aus den Schranken heraus¬ fahren, er soll weder durch harten Kampf siegen, noch leicht vorbeikommen, noch drücken (der Sportausdruck für das beliebte Manöver, dem Gegner quer vorzufahren oder ihm die Bahn abzuschneiden), noch siegen, noch gut um die Kehre biegen, noch den Preis erhalten, noch von hinten her an mir vorbei¬ fahren, sondern er soll zusammenstürzen und gebunden werden und zerschmettert werden durch eure Macht zur Morgen- und zur Mittagszeit! Bald, bald, schnell, schnell!" Zweitens Götternamen, die außer im Text auch besonders am Rande stehen. Sie zeigen die arge Neligionsmengerei der damaligen Zeit. Da finden wir die ägyptischen Gottheiten, besonders Osiris, Apis, Mneu (wie Apis ein heiliger Stier), Phra (der alte Sonnengott Rha); auch ein etymologisch noch unerklärter Eulamon oder Eulamos gehört wohl hierher. Ferner wird häufig angerufen ein Oe-us vxn^ärius und ein Deus ^inollg-sus, beide nicht mit Sicherheit zu deuten, jener vermutlich Osiris. Aidaneus ist wohl eine Mischung von Hades und Adonai, Dann ist oft genannt Seth (oder Typhon-Seth), der böse Gott, der die Seelen packt, ihre Eingeweide verschlingt und von Leichen lebt, wie das ägyptische Totenbuch ihn schildert; er ist ein für das Zauberwesen besonders wichtiger Gott. — Ganz griechisch ist die Ananke, die gewaltige Göttin der Notwendigkeit. Auch wird ein Gott ohne Namen an¬ gerufen, von dem es heißt, daß er den unter der Ananke stehenden Kreislauf der Seelen unter sich habe; denn vor dem Throne der Ananke müssen die Seelen erscheinen, wenn sie auf ihrer Wanderung ein neues Lebenslos erhalten: eine neue Lehre, die Orphiker und Gnostiker aufgenommen haben. Daß dieser Gott ebenfalls Typhon-Seth sei, ist freilich nur eine Hypothese von Wünsch. Ferner werden Unterweltsdümonen, auch der Tartarus selbst angerufen. — Indisch sind die Engel und Erzengel, die heilig genannt werden; etwas ähn¬ liches sind die sogenannten Paredrvi, die „Beisitzer" zur Rechten und Linken, anscheinend helfende Dämonen. Besonders verehrt werden auch die „heiligen Charaktere," wie sie genannt sind, d. h. die Buchstaben oder Zeichen von Zauberkraft, die ans den Tafeln so ost vorkommen, aber meist unerklärbar sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/544>, abgerufen am 28.09.2024.