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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

ich je den Krieg so in der Nähe sehen würde." Schon um Mitternacht
desselben Tages wurde er geweckt, denn der König begab sich mit seiner
militärischen Suite und Bismarck hinaus auf den Kampfplatz der Ent¬
scheidungsschlacht, Abeken aber mußte zurückbleiben, was ihm "schrecklich leid
that," und saß noch am Nachmittage des 3. Juli in Gitschin "in peinlicher
schmerzlicher Erwartung der Nachrichten." Erst abends 8 Uhr meldete ihm
eine Depesche Bismcircks den Sieg bei Königgrätz, und noch in der Nacht brach
das Hauptquartier mit Abeken nach Horschitz (er schreibt falsch Horne, tschechisch
Horie) auf, wo er am Morgen den König, den Minister und die Offiziere des
Stabes "halbtot vor Aufregung" schon vorfand. Erst am Morgen des 6. Juli
ging das Hauptquartier weiter uach Pardubitz. Abeken mit Bismarck im
Wagen, über das Schlachtfeld des 3. Juli hinweg, an marschierenden, dem
König zujubelnden Heersäulen vorüber, durch anmutige, fruchtbare Gegenden
unter der hellen Sommersonne, "ein wunderbar gemischtes Bild!" Er teilte
aus vollem Herzen die Siegesfreude, er war entrüstet über die Anrufung der
französischen Vermittlung durch Österreich ("für so schlecht, undeutsch, unritter-
lich hatte ich doch Österreich nicht gehalten!") und war stolz auf die muster¬
hafte preußische Mannszucht, die in dem von Hunderttausenden durchzognen
Feindcslande kaum Spuren des Kriegs zurückließ. Die diplomatische Arbeit
schwoll wieder an, als Veuedetti am 12. Juli das Hauptquartier in Zwittau
erreichte, aber den Vormarsch hielt er nicht auf; erst in Nikolsburg nahm dieser
um 18. Juli für den König und seine Umgebung ein Ende, und hier fielen
die großen politischen Entscheidungen. Mit ihnen wuchs Abekens Bewunderung
für Bismarck. "Ich habe kaum je einen Menschen gekannt, der soviel Elasti¬
zität des Gedankens mit soviel eiserner Kraft des Willens vereinigte," so schrieb
er am 16. Juli an seine Frau. Von den Verhandlungen selbst und von den
harten Kämpfen zwischen dem König und Bismarck berichtet er allerdings fast
gar nichts, vielleicht nur aus Zurückhaltung, vielleicht auch, weil er nichts
Genaueres erfuhr. "Der König ist sehr bewegt über die Entschlüsse, die zu
fassen sein werden," schrieb er am 20. Juli. "Gott wird ihn leiten; ich
habe gutes Vertrauen. Mäßigung im Siege ist noch größer als der Sieg
selbst." Es ist bezeichnend für die tiefe Herzensgüte des Monarchen, daß es
ihn in "peinliche Verlegenheit setzte, jetzt als Sieger den Grafen Karolyi zu
empfangen, den er so oft in Berlin unter andern Verhältnissen gesehn," und
nicht minder, daß er nach leidenschaftlichem Kampfe, als er am Abend des
22. Juli Bismarck empfing, nach einem Rückblick auf seine ganze Vergangenheit
von dem späten "Abendrot" sprach, das seinem Alter noch zu teil geworden
?el, und den Minister unter Thränen umarmte. Die Friedenspräliminarien
wurden dann am 26. Juli abgeschlossen, "mit einer Mäßigung, die meine Ver¬
nunft bewundern muß, während sie meinem Gefühle fast widerstrebt," schreibt
Abeken unmittelbar nachher; er hätte dem Heere den Einzug in Wien gegönnt.


Heinrich Abeken

ich je den Krieg so in der Nähe sehen würde." Schon um Mitternacht
desselben Tages wurde er geweckt, denn der König begab sich mit seiner
militärischen Suite und Bismarck hinaus auf den Kampfplatz der Ent¬
scheidungsschlacht, Abeken aber mußte zurückbleiben, was ihm „schrecklich leid
that," und saß noch am Nachmittage des 3. Juli in Gitschin „in peinlicher
schmerzlicher Erwartung der Nachrichten." Erst abends 8 Uhr meldete ihm
eine Depesche Bismcircks den Sieg bei Königgrätz, und noch in der Nacht brach
das Hauptquartier mit Abeken nach Horschitz (er schreibt falsch Horne, tschechisch
Horie) auf, wo er am Morgen den König, den Minister und die Offiziere des
Stabes „halbtot vor Aufregung" schon vorfand. Erst am Morgen des 6. Juli
ging das Hauptquartier weiter uach Pardubitz. Abeken mit Bismarck im
Wagen, über das Schlachtfeld des 3. Juli hinweg, an marschierenden, dem
König zujubelnden Heersäulen vorüber, durch anmutige, fruchtbare Gegenden
unter der hellen Sommersonne, „ein wunderbar gemischtes Bild!" Er teilte
aus vollem Herzen die Siegesfreude, er war entrüstet über die Anrufung der
französischen Vermittlung durch Österreich („für so schlecht, undeutsch, unritter-
lich hatte ich doch Österreich nicht gehalten!") und war stolz auf die muster¬
hafte preußische Mannszucht, die in dem von Hunderttausenden durchzognen
Feindcslande kaum Spuren des Kriegs zurückließ. Die diplomatische Arbeit
schwoll wieder an, als Veuedetti am 12. Juli das Hauptquartier in Zwittau
erreichte, aber den Vormarsch hielt er nicht auf; erst in Nikolsburg nahm dieser
um 18. Juli für den König und seine Umgebung ein Ende, und hier fielen
die großen politischen Entscheidungen. Mit ihnen wuchs Abekens Bewunderung
für Bismarck. „Ich habe kaum je einen Menschen gekannt, der soviel Elasti¬
zität des Gedankens mit soviel eiserner Kraft des Willens vereinigte," so schrieb
er am 16. Juli an seine Frau. Von den Verhandlungen selbst und von den
harten Kämpfen zwischen dem König und Bismarck berichtet er allerdings fast
gar nichts, vielleicht nur aus Zurückhaltung, vielleicht auch, weil er nichts
Genaueres erfuhr. „Der König ist sehr bewegt über die Entschlüsse, die zu
fassen sein werden," schrieb er am 20. Juli. „Gott wird ihn leiten; ich
habe gutes Vertrauen. Mäßigung im Siege ist noch größer als der Sieg
selbst." Es ist bezeichnend für die tiefe Herzensgüte des Monarchen, daß es
ihn in „peinliche Verlegenheit setzte, jetzt als Sieger den Grafen Karolyi zu
empfangen, den er so oft in Berlin unter andern Verhältnissen gesehn," und
nicht minder, daß er nach leidenschaftlichem Kampfe, als er am Abend des
22. Juli Bismarck empfing, nach einem Rückblick auf seine ganze Vergangenheit
von dem späten „Abendrot" sprach, das seinem Alter noch zu teil geworden
?el, und den Minister unter Thränen umarmte. Die Friedenspräliminarien
wurden dann am 26. Juli abgeschlossen, „mit einer Mäßigung, die meine Ver¬
nunft bewundern muß, während sie meinem Gefühle fast widerstrebt," schreibt
Abeken unmittelbar nachher; er hätte dem Heere den Einzug in Wien gegönnt.


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[0533] Heinrich Abeken ich je den Krieg so in der Nähe sehen würde." Schon um Mitternacht desselben Tages wurde er geweckt, denn der König begab sich mit seiner militärischen Suite und Bismarck hinaus auf den Kampfplatz der Ent¬ scheidungsschlacht, Abeken aber mußte zurückbleiben, was ihm „schrecklich leid that," und saß noch am Nachmittage des 3. Juli in Gitschin „in peinlicher schmerzlicher Erwartung der Nachrichten." Erst abends 8 Uhr meldete ihm eine Depesche Bismcircks den Sieg bei Königgrätz, und noch in der Nacht brach das Hauptquartier mit Abeken nach Horschitz (er schreibt falsch Horne, tschechisch Horie) auf, wo er am Morgen den König, den Minister und die Offiziere des Stabes „halbtot vor Aufregung" schon vorfand. Erst am Morgen des 6. Juli ging das Hauptquartier weiter uach Pardubitz. Abeken mit Bismarck im Wagen, über das Schlachtfeld des 3. Juli hinweg, an marschierenden, dem König zujubelnden Heersäulen vorüber, durch anmutige, fruchtbare Gegenden unter der hellen Sommersonne, „ein wunderbar gemischtes Bild!" Er teilte aus vollem Herzen die Siegesfreude, er war entrüstet über die Anrufung der französischen Vermittlung durch Österreich („für so schlecht, undeutsch, unritter- lich hatte ich doch Österreich nicht gehalten!") und war stolz auf die muster¬ hafte preußische Mannszucht, die in dem von Hunderttausenden durchzognen Feindcslande kaum Spuren des Kriegs zurückließ. Die diplomatische Arbeit schwoll wieder an, als Veuedetti am 12. Juli das Hauptquartier in Zwittau erreichte, aber den Vormarsch hielt er nicht auf; erst in Nikolsburg nahm dieser um 18. Juli für den König und seine Umgebung ein Ende, und hier fielen die großen politischen Entscheidungen. Mit ihnen wuchs Abekens Bewunderung für Bismarck. „Ich habe kaum je einen Menschen gekannt, der soviel Elasti¬ zität des Gedankens mit soviel eiserner Kraft des Willens vereinigte," so schrieb er am 16. Juli an seine Frau. Von den Verhandlungen selbst und von den harten Kämpfen zwischen dem König und Bismarck berichtet er allerdings fast gar nichts, vielleicht nur aus Zurückhaltung, vielleicht auch, weil er nichts Genaueres erfuhr. „Der König ist sehr bewegt über die Entschlüsse, die zu fassen sein werden," schrieb er am 20. Juli. „Gott wird ihn leiten; ich habe gutes Vertrauen. Mäßigung im Siege ist noch größer als der Sieg selbst." Es ist bezeichnend für die tiefe Herzensgüte des Monarchen, daß es ihn in „peinliche Verlegenheit setzte, jetzt als Sieger den Grafen Karolyi zu empfangen, den er so oft in Berlin unter andern Verhältnissen gesehn," und nicht minder, daß er nach leidenschaftlichem Kampfe, als er am Abend des 22. Juli Bismarck empfing, nach einem Rückblick auf seine ganze Vergangenheit von dem späten „Abendrot" sprach, das seinem Alter noch zu teil geworden ?el, und den Minister unter Thränen umarmte. Die Friedenspräliminarien wurden dann am 26. Juli abgeschlossen, „mit einer Mäßigung, die meine Ver¬ nunft bewundern muß, während sie meinem Gefühle fast widerstrebt," schreibt Abeken unmittelbar nachher; er hätte dem Heere den Einzug in Wien gegönnt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/533>, abgerufen am 28.09.2024.