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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Andrerseits that es seinem Gefühle weh, Österreich aus Deutschland scheiden
zu sehen, aber man "muß keine Gefühlspolitik treiben." So verließ er am
2. August Nikolsburg und kehrte nach Berlin zurück. Mit der Forderung der
Indemnität in der Thronrede vom 5. August, die "der König und der Minister
fast allein gemacht" hatten, "indem sie einen dünnen und trocknen Entwurf, der
aus Berlin gekommen war,*) lebendig umarbeiteten," beendete König Wilhelm
den Konflikt, sehr zu Abekens Zufriedenheit, der an demselben Tage schrieb:
"mau hätte das längst thun sollen, und der König und Bismarck wenigstens
hätten es auch einer andern Kammer gegenüber längst gethan." Ebenso be¬
friedigte es Abeken, daß der Kronprinz durch die Erfahrungen des Feldzugs
"Bismarck näher gekommen und wenigstens in der äußern und der deutschen
Politik sehr einig mit ihm geworden ist." Über die den süddeutschen Staaten
gewährten Bedingungen bemerkte er, sie wären "viel zu gut, wenn wir nicht
neben der Gegenwart auch die Zukunft ins Auge fassen müßten." In dieser
Zukunft aber sah er den Zusammenstoß mit Frankreich unabwendbar Herauf¬
ziehen, nachdem Napoleon III. das Mögliche gethan habe, die Früchte des
Sieges zu verkümmern.**)

Diese Empfindung verstärkte sich in den nächsten Jahren. Am 27. Juli
1867 schrieb Abeken: "Das Gefühl, daß es ohne Krieg mit Frankreich nicht
abgeht, wenn die Welt in Ruhe kommen soll, wird immer allgemeiner, obwohl
alle einig sind, daß weder Louis Napoleon noch das französische Volk den
Krieg will. Aber die Elemente, die an die Oberfläche kommen und dort treiben
und drängen, sind weder das Volk noch hängen sie von dem Willen des Kaisers
ab,***) und so fürchte ich, aille into a ^var." Wohl hoffte er, das tragische
Ende Maximilians von Mexiko (19. Juni 1867) würde Österreich abhalten,
sich Frankreich zu nähern, aber die Zusammenkunft der beiden Kaiser in Salz¬
burg (18. bis 23. August 1867) zeigte, daß dies eine Täuschung sei. Doch
sah er die nächste Kriegsgefahr nicht hier, sondern in dem Konflikte zwischen
Italien und Frankreich über Rom. Daher waren ihm die spanischen Wirren,
die im September 1863 zu der Vertreibung der Königin Jsabella führten,
ganz willkommen, weil er meinte, "mit dieser spanischen Fliege im Nacken"
könne Napoleon an keinen Krieg mit Deutschland denken. Eine kurze Be¬
merkung der Herausgeberin (S. 367) deutet an, daß man, wie selbstverständlich,
in Berlin von den französisch-österreichisch-italienischen Bündnisverhandlungen
einige Kunde hatte; von Abeken selbst erfahren wir darüber leider nichts.f)






*) aus Twestens Feder, der damals in? Ministerium beschäftigt wurde.
So sprach er sich am 6, September 1866 auch gegen Th. von Bernhardt aus, über¬
einstimmend mit Keudell und Roon, Aus dem Leben Th, von Bernhardts VII, 278, 284. 294.
°""'
) Er meint natürlich die Ultramontanen.
'
1) Von der Absicht eines solchen Bündnisses sprachen Th. von Bernhardt und Keudell
schon am 6. September 1866 und am 14. Februar 1867 als von einer ausgemachten Sache.
Bernhardt a, a, O, VII, 285. 329 f.
Heinrich Abeken

Andrerseits that es seinem Gefühle weh, Österreich aus Deutschland scheiden
zu sehen, aber man „muß keine Gefühlspolitik treiben." So verließ er am
2. August Nikolsburg und kehrte nach Berlin zurück. Mit der Forderung der
Indemnität in der Thronrede vom 5. August, die „der König und der Minister
fast allein gemacht" hatten, „indem sie einen dünnen und trocknen Entwurf, der
aus Berlin gekommen war,*) lebendig umarbeiteten," beendete König Wilhelm
den Konflikt, sehr zu Abekens Zufriedenheit, der an demselben Tage schrieb:
„mau hätte das längst thun sollen, und der König und Bismarck wenigstens
hätten es auch einer andern Kammer gegenüber längst gethan." Ebenso be¬
friedigte es Abeken, daß der Kronprinz durch die Erfahrungen des Feldzugs
„Bismarck näher gekommen und wenigstens in der äußern und der deutschen
Politik sehr einig mit ihm geworden ist." Über die den süddeutschen Staaten
gewährten Bedingungen bemerkte er, sie wären „viel zu gut, wenn wir nicht
neben der Gegenwart auch die Zukunft ins Auge fassen müßten." In dieser
Zukunft aber sah er den Zusammenstoß mit Frankreich unabwendbar Herauf¬
ziehen, nachdem Napoleon III. das Mögliche gethan habe, die Früchte des
Sieges zu verkümmern.**)

Diese Empfindung verstärkte sich in den nächsten Jahren. Am 27. Juli
1867 schrieb Abeken: „Das Gefühl, daß es ohne Krieg mit Frankreich nicht
abgeht, wenn die Welt in Ruhe kommen soll, wird immer allgemeiner, obwohl
alle einig sind, daß weder Louis Napoleon noch das französische Volk den
Krieg will. Aber die Elemente, die an die Oberfläche kommen und dort treiben
und drängen, sind weder das Volk noch hängen sie von dem Willen des Kaisers
ab,***) und so fürchte ich, aille into a ^var." Wohl hoffte er, das tragische
Ende Maximilians von Mexiko (19. Juni 1867) würde Österreich abhalten,
sich Frankreich zu nähern, aber die Zusammenkunft der beiden Kaiser in Salz¬
burg (18. bis 23. August 1867) zeigte, daß dies eine Täuschung sei. Doch
sah er die nächste Kriegsgefahr nicht hier, sondern in dem Konflikte zwischen
Italien und Frankreich über Rom. Daher waren ihm die spanischen Wirren,
die im September 1863 zu der Vertreibung der Königin Jsabella führten,
ganz willkommen, weil er meinte, „mit dieser spanischen Fliege im Nacken"
könne Napoleon an keinen Krieg mit Deutschland denken. Eine kurze Be¬
merkung der Herausgeberin (S. 367) deutet an, daß man, wie selbstverständlich,
in Berlin von den französisch-österreichisch-italienischen Bündnisverhandlungen
einige Kunde hatte; von Abeken selbst erfahren wir darüber leider nichts.f)






*) aus Twestens Feder, der damals in? Ministerium beschäftigt wurde.
So sprach er sich am 6, September 1866 auch gegen Th. von Bernhardt aus, über¬
einstimmend mit Keudell und Roon, Aus dem Leben Th, von Bernhardts VII, 278, 284. 294.
°""'
) Er meint natürlich die Ultramontanen.
'
1) Von der Absicht eines solchen Bündnisses sprachen Th. von Bernhardt und Keudell
schon am 6. September 1866 und am 14. Februar 1867 als von einer ausgemachten Sache.
Bernhardt a, a, O, VII, 285. 329 f.
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[0534] Heinrich Abeken Andrerseits that es seinem Gefühle weh, Österreich aus Deutschland scheiden zu sehen, aber man „muß keine Gefühlspolitik treiben." So verließ er am 2. August Nikolsburg und kehrte nach Berlin zurück. Mit der Forderung der Indemnität in der Thronrede vom 5. August, die „der König und der Minister fast allein gemacht" hatten, „indem sie einen dünnen und trocknen Entwurf, der aus Berlin gekommen war,*) lebendig umarbeiteten," beendete König Wilhelm den Konflikt, sehr zu Abekens Zufriedenheit, der an demselben Tage schrieb: „mau hätte das längst thun sollen, und der König und Bismarck wenigstens hätten es auch einer andern Kammer gegenüber längst gethan." Ebenso be¬ friedigte es Abeken, daß der Kronprinz durch die Erfahrungen des Feldzugs „Bismarck näher gekommen und wenigstens in der äußern und der deutschen Politik sehr einig mit ihm geworden ist." Über die den süddeutschen Staaten gewährten Bedingungen bemerkte er, sie wären „viel zu gut, wenn wir nicht neben der Gegenwart auch die Zukunft ins Auge fassen müßten." In dieser Zukunft aber sah er den Zusammenstoß mit Frankreich unabwendbar Herauf¬ ziehen, nachdem Napoleon III. das Mögliche gethan habe, die Früchte des Sieges zu verkümmern.**) Diese Empfindung verstärkte sich in den nächsten Jahren. Am 27. Juli 1867 schrieb Abeken: „Das Gefühl, daß es ohne Krieg mit Frankreich nicht abgeht, wenn die Welt in Ruhe kommen soll, wird immer allgemeiner, obwohl alle einig sind, daß weder Louis Napoleon noch das französische Volk den Krieg will. Aber die Elemente, die an die Oberfläche kommen und dort treiben und drängen, sind weder das Volk noch hängen sie von dem Willen des Kaisers ab,***) und so fürchte ich, aille into a ^var." Wohl hoffte er, das tragische Ende Maximilians von Mexiko (19. Juni 1867) würde Österreich abhalten, sich Frankreich zu nähern, aber die Zusammenkunft der beiden Kaiser in Salz¬ burg (18. bis 23. August 1867) zeigte, daß dies eine Täuschung sei. Doch sah er die nächste Kriegsgefahr nicht hier, sondern in dem Konflikte zwischen Italien und Frankreich über Rom. Daher waren ihm die spanischen Wirren, die im September 1863 zu der Vertreibung der Königin Jsabella führten, ganz willkommen, weil er meinte, „mit dieser spanischen Fliege im Nacken" könne Napoleon an keinen Krieg mit Deutschland denken. Eine kurze Be¬ merkung der Herausgeberin (S. 367) deutet an, daß man, wie selbstverständlich, in Berlin von den französisch-österreichisch-italienischen Bündnisverhandlungen einige Kunde hatte; von Abeken selbst erfahren wir darüber leider nichts.f) *) aus Twestens Feder, der damals in? Ministerium beschäftigt wurde. So sprach er sich am 6, September 1866 auch gegen Th. von Bernhardt aus, über¬ einstimmend mit Keudell und Roon, Aus dem Leben Th, von Bernhardts VII, 278, 284. 294. °""' ) Er meint natürlich die Ultramontanen. ' 1) Von der Absicht eines solchen Bündnisses sprachen Th. von Bernhardt und Keudell schon am 6. September 1866 und am 14. Februar 1867 als von einer ausgemachten Sache. Bernhardt a, a, O, VII, 285. 329 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/534>, abgerufen am 28.09.2024.