Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Döllingers Jugend

der Vesper. Fünfundzwanzig Blätter haben wir jetzt hier, durchgängig vom
Auswurf der Gesellschaft aller Klassen redigiert und dick gefüttert- Und wäh¬
rend es so draußen im saufe und Brause lebt, geht das Gericht heimsuchend
jedes dritte Haus durch alle Straßen,*) im Taumel aber sehen sie nichts und
merken nichts und versaufen immer die paar ernsthaften Gedanken wieder, die
da aufducken wollen. Wies im Hause geht, so gehts im Staate, keine Ruhe,
keine Sicherheit, kein Segen, kein Gedeihn; Eitelkeit, ästhetische Windbeutelei,
liberale Hobelspäne bei gewaltiger Willkür, ewiges Aufbauen und Niederreißen,
Sparen und Verschwenden, Überverstand und Unverstand, kurz Ruin und Ver¬
derben in allen Dingen, keine Aussicht, als daß am Ende die bettelhafter
Unterthanen zum Staat und der bettelhafte Staat zu den Unterthanen ins
Hospital geht, und so beide mit einander hungern und verderben. Die ganze
Generation soll, wie es scheint, zu Mist verbraucht werden, um eine folgende
zu düngen, darum geht, obgleich wir seit drei Monaten Schnee und Kälte
haben, doch die faule Gärung munter fort. Wo inzwischen noch in der
Jauche irgendwo ein fester Grund vom Gestank unberührt geblieben, grünes
fort unbekümmert um die nahe Fäulnis, und da sieht man dann freilich manches
Erfreuliche." Zur Charakteristik des den Heutigen nicht mehr sehr bekannten
Mannes haben wir diese Stelle hergesetzt, nicht etwa zur Charakteristik der
Zeit der bayrischen Nordlichter und der Münchner Theken, denn jedem Ab¬
schnitt der guten alten wie der schlechten neuen Zeit ist ja von den Zeitgenossen
so ziemlich dasselbe nachgesagt worden, nur daß heute auch der verbissenste
Pessimist den Staat unmöglich einen bettelhafter Hungerleider schelten kann.
In der Nummer 132 der Eos band Döllinger mit Heine an und züchtigte ihn
für einige in den Reisebildern begangne Lästerungen, wie Verhöhnung des
"empfangen vom heiligen Geiste." Man sieht, schreibt er u. a., "Herr Cotta
weiß seine Leute zu wählen, und Herr Heine besitzt doch wenigstens die erste,
einem politischen Schriftsteller des Tags notwendige Eigenschaft: Frechheit und
Unverschämtheit. Er ist indessen nicht so ganz Jude, daß er nicht auch an
den heiligen Geist glaubte, nämlich an den, der, wie es Seite 186 heißt, die
Zwingherrnburgen zerbrach und das alte Recht erneut, daß alle Menschen,
gleichgeboren, ein adliches Geschlecht seien. Dieser neu entdeckte heilige Geist
hat, wie eben daselbst zu lesen ist, seine wohlgewappneten Ritter, unter die sich
auch Herr Heine zählt. Wir geben ihm indessen zu bedenken, ob er bei einer
solchen allgemeinen Baronisierung des ganzen Menschengeschlechts, vom Hotten¬
totten an bis zu den Monarchenfamilien Europas, wirklich etwas gewinnen
würde; denn sein Stammbaum, der schnurgerade bis auf Abraham zurückführt,
ist ja doch viel älter, als der des ersten Barons der Christenheit." Auch in



*) Eine Epidemie? Die Cholera kam erst drei Jahre spater; der Brief stammt aus dem
Winter 18M/29.
Döllingers Jugend

der Vesper. Fünfundzwanzig Blätter haben wir jetzt hier, durchgängig vom
Auswurf der Gesellschaft aller Klassen redigiert und dick gefüttert- Und wäh¬
rend es so draußen im saufe und Brause lebt, geht das Gericht heimsuchend
jedes dritte Haus durch alle Straßen,*) im Taumel aber sehen sie nichts und
merken nichts und versaufen immer die paar ernsthaften Gedanken wieder, die
da aufducken wollen. Wies im Hause geht, so gehts im Staate, keine Ruhe,
keine Sicherheit, kein Segen, kein Gedeihn; Eitelkeit, ästhetische Windbeutelei,
liberale Hobelspäne bei gewaltiger Willkür, ewiges Aufbauen und Niederreißen,
Sparen und Verschwenden, Überverstand und Unverstand, kurz Ruin und Ver¬
derben in allen Dingen, keine Aussicht, als daß am Ende die bettelhafter
Unterthanen zum Staat und der bettelhafte Staat zu den Unterthanen ins
Hospital geht, und so beide mit einander hungern und verderben. Die ganze
Generation soll, wie es scheint, zu Mist verbraucht werden, um eine folgende
zu düngen, darum geht, obgleich wir seit drei Monaten Schnee und Kälte
haben, doch die faule Gärung munter fort. Wo inzwischen noch in der
Jauche irgendwo ein fester Grund vom Gestank unberührt geblieben, grünes
fort unbekümmert um die nahe Fäulnis, und da sieht man dann freilich manches
Erfreuliche." Zur Charakteristik des den Heutigen nicht mehr sehr bekannten
Mannes haben wir diese Stelle hergesetzt, nicht etwa zur Charakteristik der
Zeit der bayrischen Nordlichter und der Münchner Theken, denn jedem Ab¬
schnitt der guten alten wie der schlechten neuen Zeit ist ja von den Zeitgenossen
so ziemlich dasselbe nachgesagt worden, nur daß heute auch der verbissenste
Pessimist den Staat unmöglich einen bettelhafter Hungerleider schelten kann.
In der Nummer 132 der Eos band Döllinger mit Heine an und züchtigte ihn
für einige in den Reisebildern begangne Lästerungen, wie Verhöhnung des
„empfangen vom heiligen Geiste." Man sieht, schreibt er u. a., „Herr Cotta
weiß seine Leute zu wählen, und Herr Heine besitzt doch wenigstens die erste,
einem politischen Schriftsteller des Tags notwendige Eigenschaft: Frechheit und
Unverschämtheit. Er ist indessen nicht so ganz Jude, daß er nicht auch an
den heiligen Geist glaubte, nämlich an den, der, wie es Seite 186 heißt, die
Zwingherrnburgen zerbrach und das alte Recht erneut, daß alle Menschen,
gleichgeboren, ein adliches Geschlecht seien. Dieser neu entdeckte heilige Geist
hat, wie eben daselbst zu lesen ist, seine wohlgewappneten Ritter, unter die sich
auch Herr Heine zählt. Wir geben ihm indessen zu bedenken, ob er bei einer
solchen allgemeinen Baronisierung des ganzen Menschengeschlechts, vom Hotten¬
totten an bis zu den Monarchenfamilien Europas, wirklich etwas gewinnen
würde; denn sein Stammbaum, der schnurgerade bis auf Abraham zurückführt,
ist ja doch viel älter, als der des ersten Barons der Christenheit." Auch in



*) Eine Epidemie? Die Cholera kam erst drei Jahre spater; der Brief stammt aus dem
Winter 18M/29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230959"/>
          <fw type="header" place="top"> Döllingers Jugend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1779" prev="#ID_1778" next="#ID_1780"> der Vesper. Fünfundzwanzig Blätter haben wir jetzt hier, durchgängig vom<lb/>
Auswurf der Gesellschaft aller Klassen redigiert und dick gefüttert- Und wäh¬<lb/>
rend es so draußen im saufe und Brause lebt, geht das Gericht heimsuchend<lb/>
jedes dritte Haus durch alle Straßen,*) im Taumel aber sehen sie nichts und<lb/>
merken nichts und versaufen immer die paar ernsthaften Gedanken wieder, die<lb/>
da aufducken wollen. Wies im Hause geht, so gehts im Staate, keine Ruhe,<lb/>
keine Sicherheit, kein Segen, kein Gedeihn; Eitelkeit, ästhetische Windbeutelei,<lb/>
liberale Hobelspäne bei gewaltiger Willkür, ewiges Aufbauen und Niederreißen,<lb/>
Sparen und Verschwenden, Überverstand und Unverstand, kurz Ruin und Ver¬<lb/>
derben in allen Dingen, keine Aussicht, als daß am Ende die bettelhafter<lb/>
Unterthanen zum Staat und der bettelhafte Staat zu den Unterthanen ins<lb/>
Hospital geht, und so beide mit einander hungern und verderben. Die ganze<lb/>
Generation soll, wie es scheint, zu Mist verbraucht werden, um eine folgende<lb/>
zu düngen, darum geht, obgleich wir seit drei Monaten Schnee und Kälte<lb/>
haben, doch die faule Gärung munter fort. Wo inzwischen noch in der<lb/>
Jauche irgendwo ein fester Grund vom Gestank unberührt geblieben, grünes<lb/>
fort unbekümmert um die nahe Fäulnis, und da sieht man dann freilich manches<lb/>
Erfreuliche." Zur Charakteristik des den Heutigen nicht mehr sehr bekannten<lb/>
Mannes haben wir diese Stelle hergesetzt, nicht etwa zur Charakteristik der<lb/>
Zeit der bayrischen Nordlichter und der Münchner Theken, denn jedem Ab¬<lb/>
schnitt der guten alten wie der schlechten neuen Zeit ist ja von den Zeitgenossen<lb/>
so ziemlich dasselbe nachgesagt worden, nur daß heute auch der verbissenste<lb/>
Pessimist den Staat unmöglich einen bettelhafter Hungerleider schelten kann.<lb/>
In der Nummer 132 der Eos band Döllinger mit Heine an und züchtigte ihn<lb/>
für einige in den Reisebildern begangne Lästerungen, wie Verhöhnung des<lb/>
&#x201E;empfangen vom heiligen Geiste." Man sieht, schreibt er u. a., &#x201E;Herr Cotta<lb/>
weiß seine Leute zu wählen, und Herr Heine besitzt doch wenigstens die erste,<lb/>
einem politischen Schriftsteller des Tags notwendige Eigenschaft: Frechheit und<lb/>
Unverschämtheit. Er ist indessen nicht so ganz Jude, daß er nicht auch an<lb/>
den heiligen Geist glaubte, nämlich an den, der, wie es Seite 186 heißt, die<lb/>
Zwingherrnburgen zerbrach und das alte Recht erneut, daß alle Menschen,<lb/>
gleichgeboren, ein adliches Geschlecht seien. Dieser neu entdeckte heilige Geist<lb/>
hat, wie eben daselbst zu lesen ist, seine wohlgewappneten Ritter, unter die sich<lb/>
auch Herr Heine zählt. Wir geben ihm indessen zu bedenken, ob er bei einer<lb/>
solchen allgemeinen Baronisierung des ganzen Menschengeschlechts, vom Hotten¬<lb/>
totten an bis zu den Monarchenfamilien Europas, wirklich etwas gewinnen<lb/>
würde; denn sein Stammbaum, der schnurgerade bis auf Abraham zurückführt,<lb/>
ist ja doch viel älter, als der des ersten Barons der Christenheit."  Auch in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_131" place="foot"> *) Eine Epidemie? Die Cholera kam erst drei Jahre spater; der Brief stammt aus dem<lb/>
Winter 18M/29.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] Döllingers Jugend der Vesper. Fünfundzwanzig Blätter haben wir jetzt hier, durchgängig vom Auswurf der Gesellschaft aller Klassen redigiert und dick gefüttert- Und wäh¬ rend es so draußen im saufe und Brause lebt, geht das Gericht heimsuchend jedes dritte Haus durch alle Straßen,*) im Taumel aber sehen sie nichts und merken nichts und versaufen immer die paar ernsthaften Gedanken wieder, die da aufducken wollen. Wies im Hause geht, so gehts im Staate, keine Ruhe, keine Sicherheit, kein Segen, kein Gedeihn; Eitelkeit, ästhetische Windbeutelei, liberale Hobelspäne bei gewaltiger Willkür, ewiges Aufbauen und Niederreißen, Sparen und Verschwenden, Überverstand und Unverstand, kurz Ruin und Ver¬ derben in allen Dingen, keine Aussicht, als daß am Ende die bettelhafter Unterthanen zum Staat und der bettelhafte Staat zu den Unterthanen ins Hospital geht, und so beide mit einander hungern und verderben. Die ganze Generation soll, wie es scheint, zu Mist verbraucht werden, um eine folgende zu düngen, darum geht, obgleich wir seit drei Monaten Schnee und Kälte haben, doch die faule Gärung munter fort. Wo inzwischen noch in der Jauche irgendwo ein fester Grund vom Gestank unberührt geblieben, grünes fort unbekümmert um die nahe Fäulnis, und da sieht man dann freilich manches Erfreuliche." Zur Charakteristik des den Heutigen nicht mehr sehr bekannten Mannes haben wir diese Stelle hergesetzt, nicht etwa zur Charakteristik der Zeit der bayrischen Nordlichter und der Münchner Theken, denn jedem Ab¬ schnitt der guten alten wie der schlechten neuen Zeit ist ja von den Zeitgenossen so ziemlich dasselbe nachgesagt worden, nur daß heute auch der verbissenste Pessimist den Staat unmöglich einen bettelhafter Hungerleider schelten kann. In der Nummer 132 der Eos band Döllinger mit Heine an und züchtigte ihn für einige in den Reisebildern begangne Lästerungen, wie Verhöhnung des „empfangen vom heiligen Geiste." Man sieht, schreibt er u. a., „Herr Cotta weiß seine Leute zu wählen, und Herr Heine besitzt doch wenigstens die erste, einem politischen Schriftsteller des Tags notwendige Eigenschaft: Frechheit und Unverschämtheit. Er ist indessen nicht so ganz Jude, daß er nicht auch an den heiligen Geist glaubte, nämlich an den, der, wie es Seite 186 heißt, die Zwingherrnburgen zerbrach und das alte Recht erneut, daß alle Menschen, gleichgeboren, ein adliches Geschlecht seien. Dieser neu entdeckte heilige Geist hat, wie eben daselbst zu lesen ist, seine wohlgewappneten Ritter, unter die sich auch Herr Heine zählt. Wir geben ihm indessen zu bedenken, ob er bei einer solchen allgemeinen Baronisierung des ganzen Menschengeschlechts, vom Hotten¬ totten an bis zu den Monarchenfamilien Europas, wirklich etwas gewinnen würde; denn sein Stammbaum, der schnurgerade bis auf Abraham zurückführt, ist ja doch viel älter, als der des ersten Barons der Christenheit." Auch in *) Eine Epidemie? Die Cholera kam erst drei Jahre spater; der Brief stammt aus dem Winter 18M/29.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/527>, abgerufen am 28.09.2024.