Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Döllingers Jugend

Döllinger hätte am liebsten eine einsame Waldpfarre und eine große
Bibliothek dazu gehabt. Aber er wurde nach kurzem Kaplandienst am Lyceum
zu Aschaffenburg angestellt und 1826 nach München berufen, wohin die Lands-
huter Universität verlegt worden war; sein Vater war drei Jahre vorher dahin
übergesiedelt. Schon von Aschaffenburg aus war er mit jenen rheinischen
Katholiken in Verbindung getreten, die einen der drei Kreise bildeten, von denen
die Wiederbelebung des schon für tot gehaltnen Katholizismus in Deutschland
ausging. Die andern beiden Kreise waren der der Fürstin Galitzin in Münster
und der um den Bischof Salier; Döllinger stellte die Verbindung zwischen dem
ersten und dritten her und machte München zum Herde des neuen Lichts oder,
wie es der protestantische Teil auffaßte, der alten Finsternis. Erst durch diese
Verbindung, die schon von Aschaffenburg aus auf einer Neise an den Rhein
hergestellt worden war und durch wiederholte Reisen und gemeinsame litterarische
Unternehmungen unterhalten wurde, wurde Döllinger in die neue Strömung
hineingezogen, denn die meist unbedeutenden bayrischen Professoren, die er bis
dahin kennen gelernt hatte, führten ein Stillleben, das auf weltgeschichtliche
Bedeutung keinen Anspruch machte. Die wichtigsten der rheinischen Freunde
waren einerseits Naß in Mainz und Weis in Speyer, die den "Katholiken"
Herausgaben, eine Zeitschrift, die sich bis heute durch strenge Orthodoxie und
polemische Schärfe hervorgethan und nie nach links hin geschwankt hat; andrer¬
seits Clemens Brentano und Görres, der als Flüchtling in Straßburg lebte,
bald aber nach München berufen wurde. In München übte der Theosoph
Franz von Baader bedeutenden Einfluß auf ihn, fromme Laien wie Ringseis
und Moy schlössen sich dem Kreise an, die Zeitschrift "Eos" wurde erworben,
man trat mit französischen und belgischen Katholiken in Verbindung, und bald
sah die protestantische, die liberale Welt entsetzt das Gespenst einer internatio¬
nalen Jesuitenverschwörung an dem geschwärzten Himmel emporsteigen. Vor
den Augen dieser eifrigen Katholiken fanden die bayrischen, die Münchner Zu¬
stünde natürlich wenig Gnade. Sehr gemäßigt klingt noch die Schilderung,
die Döllinger anonym, unter der Maske eines Franzosen, der Bayern bereist
habe, im NLNwris.1 L!g.t,N0ki<Zik<z unter dem Titel: I-oltre <Zg Nuniob. sur ig,
nonvellö umvsrsit" as oetts vitis veröffentlichte. Doch wurde bald, namentlich
in der Eos, ein kräftigerer Ton angeschlagen; "was sagen Sie zu unsrer Eos?"
schrieb Döllinger im Januar 1829 an Naß; "ich meine, sie hält sich wacker;
hier wenigstens sind die Leute wütend, daß sie sich dergleichen Dinge unters
Gesicht sagen lassen müssen." Die folgende Stilprobe von Görres ist zwar
einem Briefe entnommen, aber da er sich auch im Kolleg und in Druckwerken
keinen Zwang anzulegen pflegte, so kann man daraus schließen, wie er damals
in der Eos gewettert haben mag. "Es ist eine Lust, der hiesigen Wirtschaft
zuzusehen, wo das ganze Jahr Walpurgisnacht ist, und alles verdammte Hexen-
gestndel auf dem Besenstiel herangefahren kömmt, um mit teil zu nehmen an


Döllingers Jugend

Döllinger hätte am liebsten eine einsame Waldpfarre und eine große
Bibliothek dazu gehabt. Aber er wurde nach kurzem Kaplandienst am Lyceum
zu Aschaffenburg angestellt und 1826 nach München berufen, wohin die Lands-
huter Universität verlegt worden war; sein Vater war drei Jahre vorher dahin
übergesiedelt. Schon von Aschaffenburg aus war er mit jenen rheinischen
Katholiken in Verbindung getreten, die einen der drei Kreise bildeten, von denen
die Wiederbelebung des schon für tot gehaltnen Katholizismus in Deutschland
ausging. Die andern beiden Kreise waren der der Fürstin Galitzin in Münster
und der um den Bischof Salier; Döllinger stellte die Verbindung zwischen dem
ersten und dritten her und machte München zum Herde des neuen Lichts oder,
wie es der protestantische Teil auffaßte, der alten Finsternis. Erst durch diese
Verbindung, die schon von Aschaffenburg aus auf einer Neise an den Rhein
hergestellt worden war und durch wiederholte Reisen und gemeinsame litterarische
Unternehmungen unterhalten wurde, wurde Döllinger in die neue Strömung
hineingezogen, denn die meist unbedeutenden bayrischen Professoren, die er bis
dahin kennen gelernt hatte, führten ein Stillleben, das auf weltgeschichtliche
Bedeutung keinen Anspruch machte. Die wichtigsten der rheinischen Freunde
waren einerseits Naß in Mainz und Weis in Speyer, die den „Katholiken"
Herausgaben, eine Zeitschrift, die sich bis heute durch strenge Orthodoxie und
polemische Schärfe hervorgethan und nie nach links hin geschwankt hat; andrer¬
seits Clemens Brentano und Görres, der als Flüchtling in Straßburg lebte,
bald aber nach München berufen wurde. In München übte der Theosoph
Franz von Baader bedeutenden Einfluß auf ihn, fromme Laien wie Ringseis
und Moy schlössen sich dem Kreise an, die Zeitschrift „Eos" wurde erworben,
man trat mit französischen und belgischen Katholiken in Verbindung, und bald
sah die protestantische, die liberale Welt entsetzt das Gespenst einer internatio¬
nalen Jesuitenverschwörung an dem geschwärzten Himmel emporsteigen. Vor
den Augen dieser eifrigen Katholiken fanden die bayrischen, die Münchner Zu¬
stünde natürlich wenig Gnade. Sehr gemäßigt klingt noch die Schilderung,
die Döllinger anonym, unter der Maske eines Franzosen, der Bayern bereist
habe, im NLNwris.1 L!g.t,N0ki<Zik<z unter dem Titel: I-oltre <Zg Nuniob. sur ig,
nonvellö umvsrsit« as oetts vitis veröffentlichte. Doch wurde bald, namentlich
in der Eos, ein kräftigerer Ton angeschlagen; „was sagen Sie zu unsrer Eos?"
schrieb Döllinger im Januar 1829 an Naß; „ich meine, sie hält sich wacker;
hier wenigstens sind die Leute wütend, daß sie sich dergleichen Dinge unters
Gesicht sagen lassen müssen." Die folgende Stilprobe von Görres ist zwar
einem Briefe entnommen, aber da er sich auch im Kolleg und in Druckwerken
keinen Zwang anzulegen pflegte, so kann man daraus schließen, wie er damals
in der Eos gewettert haben mag. „Es ist eine Lust, der hiesigen Wirtschaft
zuzusehen, wo das ganze Jahr Walpurgisnacht ist, und alles verdammte Hexen-
gestndel auf dem Besenstiel herangefahren kömmt, um mit teil zu nehmen an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230958"/>
          <fw type="header" place="top"> Döllingers Jugend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1778" next="#ID_1779"> Döllinger hätte am liebsten eine einsame Waldpfarre und eine große<lb/>
Bibliothek dazu gehabt. Aber er wurde nach kurzem Kaplandienst am Lyceum<lb/>
zu Aschaffenburg angestellt und 1826 nach München berufen, wohin die Lands-<lb/>
huter Universität verlegt worden war; sein Vater war drei Jahre vorher dahin<lb/>
übergesiedelt. Schon von Aschaffenburg aus war er mit jenen rheinischen<lb/>
Katholiken in Verbindung getreten, die einen der drei Kreise bildeten, von denen<lb/>
die Wiederbelebung des schon für tot gehaltnen Katholizismus in Deutschland<lb/>
ausging. Die andern beiden Kreise waren der der Fürstin Galitzin in Münster<lb/>
und der um den Bischof Salier; Döllinger stellte die Verbindung zwischen dem<lb/>
ersten und dritten her und machte München zum Herde des neuen Lichts oder,<lb/>
wie es der protestantische Teil auffaßte, der alten Finsternis. Erst durch diese<lb/>
Verbindung, die schon von Aschaffenburg aus auf einer Neise an den Rhein<lb/>
hergestellt worden war und durch wiederholte Reisen und gemeinsame litterarische<lb/>
Unternehmungen unterhalten wurde, wurde Döllinger in die neue Strömung<lb/>
hineingezogen, denn die meist unbedeutenden bayrischen Professoren, die er bis<lb/>
dahin kennen gelernt hatte, führten ein Stillleben, das auf weltgeschichtliche<lb/>
Bedeutung keinen Anspruch machte. Die wichtigsten der rheinischen Freunde<lb/>
waren einerseits Naß in Mainz und Weis in Speyer, die den &#x201E;Katholiken"<lb/>
Herausgaben, eine Zeitschrift, die sich bis heute durch strenge Orthodoxie und<lb/>
polemische Schärfe hervorgethan und nie nach links hin geschwankt hat; andrer¬<lb/>
seits Clemens Brentano und Görres, der als Flüchtling in Straßburg lebte,<lb/>
bald aber nach München berufen wurde. In München übte der Theosoph<lb/>
Franz von Baader bedeutenden Einfluß auf ihn, fromme Laien wie Ringseis<lb/>
und Moy schlössen sich dem Kreise an, die Zeitschrift &#x201E;Eos" wurde erworben,<lb/>
man trat mit französischen und belgischen Katholiken in Verbindung, und bald<lb/>
sah die protestantische, die liberale Welt entsetzt das Gespenst einer internatio¬<lb/>
nalen Jesuitenverschwörung an dem geschwärzten Himmel emporsteigen. Vor<lb/>
den Augen dieser eifrigen Katholiken fanden die bayrischen, die Münchner Zu¬<lb/>
stünde natürlich wenig Gnade. Sehr gemäßigt klingt noch die Schilderung,<lb/>
die Döllinger anonym, unter der Maske eines Franzosen, der Bayern bereist<lb/>
habe, im NLNwris.1 L!g.t,N0ki&lt;Zik&lt;z unter dem Titel: I-oltre &lt;Zg Nuniob. sur ig,<lb/>
nonvellö umvsrsit« as oetts vitis veröffentlichte. Doch wurde bald, namentlich<lb/>
in der Eos, ein kräftigerer Ton angeschlagen; &#x201E;was sagen Sie zu unsrer Eos?"<lb/>
schrieb Döllinger im Januar 1829 an Naß; &#x201E;ich meine, sie hält sich wacker;<lb/>
hier wenigstens sind die Leute wütend, daß sie sich dergleichen Dinge unters<lb/>
Gesicht sagen lassen müssen." Die folgende Stilprobe von Görres ist zwar<lb/>
einem Briefe entnommen, aber da er sich auch im Kolleg und in Druckwerken<lb/>
keinen Zwang anzulegen pflegte, so kann man daraus schließen, wie er damals<lb/>
in der Eos gewettert haben mag. &#x201E;Es ist eine Lust, der hiesigen Wirtschaft<lb/>
zuzusehen, wo das ganze Jahr Walpurgisnacht ist, und alles verdammte Hexen-<lb/>
gestndel auf dem Besenstiel herangefahren kömmt, um mit teil zu nehmen an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0526] Döllingers Jugend Döllinger hätte am liebsten eine einsame Waldpfarre und eine große Bibliothek dazu gehabt. Aber er wurde nach kurzem Kaplandienst am Lyceum zu Aschaffenburg angestellt und 1826 nach München berufen, wohin die Lands- huter Universität verlegt worden war; sein Vater war drei Jahre vorher dahin übergesiedelt. Schon von Aschaffenburg aus war er mit jenen rheinischen Katholiken in Verbindung getreten, die einen der drei Kreise bildeten, von denen die Wiederbelebung des schon für tot gehaltnen Katholizismus in Deutschland ausging. Die andern beiden Kreise waren der der Fürstin Galitzin in Münster und der um den Bischof Salier; Döllinger stellte die Verbindung zwischen dem ersten und dritten her und machte München zum Herde des neuen Lichts oder, wie es der protestantische Teil auffaßte, der alten Finsternis. Erst durch diese Verbindung, die schon von Aschaffenburg aus auf einer Neise an den Rhein hergestellt worden war und durch wiederholte Reisen und gemeinsame litterarische Unternehmungen unterhalten wurde, wurde Döllinger in die neue Strömung hineingezogen, denn die meist unbedeutenden bayrischen Professoren, die er bis dahin kennen gelernt hatte, führten ein Stillleben, das auf weltgeschichtliche Bedeutung keinen Anspruch machte. Die wichtigsten der rheinischen Freunde waren einerseits Naß in Mainz und Weis in Speyer, die den „Katholiken" Herausgaben, eine Zeitschrift, die sich bis heute durch strenge Orthodoxie und polemische Schärfe hervorgethan und nie nach links hin geschwankt hat; andrer¬ seits Clemens Brentano und Görres, der als Flüchtling in Straßburg lebte, bald aber nach München berufen wurde. In München übte der Theosoph Franz von Baader bedeutenden Einfluß auf ihn, fromme Laien wie Ringseis und Moy schlössen sich dem Kreise an, die Zeitschrift „Eos" wurde erworben, man trat mit französischen und belgischen Katholiken in Verbindung, und bald sah die protestantische, die liberale Welt entsetzt das Gespenst einer internatio¬ nalen Jesuitenverschwörung an dem geschwärzten Himmel emporsteigen. Vor den Augen dieser eifrigen Katholiken fanden die bayrischen, die Münchner Zu¬ stünde natürlich wenig Gnade. Sehr gemäßigt klingt noch die Schilderung, die Döllinger anonym, unter der Maske eines Franzosen, der Bayern bereist habe, im NLNwris.1 L!g.t,N0ki<Zik<z unter dem Titel: I-oltre <Zg Nuniob. sur ig, nonvellö umvsrsit« as oetts vitis veröffentlichte. Doch wurde bald, namentlich in der Eos, ein kräftigerer Ton angeschlagen; „was sagen Sie zu unsrer Eos?" schrieb Döllinger im Januar 1829 an Naß; „ich meine, sie hält sich wacker; hier wenigstens sind die Leute wütend, daß sie sich dergleichen Dinge unters Gesicht sagen lassen müssen." Die folgende Stilprobe von Görres ist zwar einem Briefe entnommen, aber da er sich auch im Kolleg und in Druckwerken keinen Zwang anzulegen pflegte, so kann man daraus schließen, wie er damals in der Eos gewettert haben mag. „Es ist eine Lust, der hiesigen Wirtschaft zuzusehen, wo das ganze Jahr Walpurgisnacht ist, und alles verdammte Hexen- gestndel auf dem Besenstiel herangefahren kömmt, um mit teil zu nehmen an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/526
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/526>, abgerufen am 28.09.2024.