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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Döllingers Jugend

den Krieg, den Heine in den Allgemeinen Politischen Annalen gegen Wolfgang
Menzel führte, mischte sich Döllinger ein. Als es hieß, die Politischen Annalen
sollten eingehn, ließ Döllinger in der Eos einen Liberalen eine Klage an¬
stimmen, die mit dem Satze schloß: "Herrn Heine möchte ich am wenigsten in
den Reihen der Streiter für die gute Sache vermissen; er schimpft auch auf
die katholische Kirche, so gut wie ein Hesperus und die Neckarzeitung; aber
er thut es nicht, wie diese, mit plumper Derbheit, sondern mit einer gewissen
(freilich etwas judaisierenden) Grazie, und auf ihn möchte der Vers des So¬
phokles passen, den Plutarch auf den Timoleon anwendet: Welche Venus,
welcher Liebesgott legte Hand an alles, was er that!" Heine scheint befürchtet
zu haben, das dumme Publikum könne die Ironie für Ernst nehmen, darum
hat er wohl noch im Jahre 1848 das schmutzige Gedicht vom Pfaffen
Dollingerius veröffentlicht, vor dem die Göttin der Anmut mit zugehaltner
Nase entflohen sein würde, wenn sie bei ihm gewesen wäre. Als die Eos
Platens Gedichte anerkennend besprach, ließ sich Heine natürlich die Gelegenheit
zu dem Witze nicht entgehn, die Freundschaft der Pfaffenblütter erkläre sich
daraus, daß die fraglichen Gedichte sehr geeignet seien, den Cölibat zu em¬
pfehlen.

Das Geschrei über die in Bayern drohende Gefahr des Obskurantismus
und Jesuitismus, gegen die man in der Person des Königs die letzte nicht
mehr ganz feste Schutzwehr sah, veranlaßte Ringseis, in seiner Rektoratsrede
am 26. Juni eine Sprache zu führen, wie sie wohl noch bei keiner amtlichen
Feierlichkeit in einer Aula gehört worden ist. "Es ist traurige Verblendung
einzelner Wohlmeinender, hochmütige Dummheit Übelgesinnter, über den so¬
genannten Parteien stehen zu wollen, wo beide wie Glaube und Unglaube,
wie Christus und Satanas gegenüberstehen. Es ist sträfliche Schwäche und
Sorglosigkeit, die fressende Gangrüne, statt sie auszuschneiden, mit einem ge¬
linden Pflaster zuzudecken, es ist schimpfliche Feigheit, im Kampfe ans Furcht
vor Schmähungen zu erlahmen. Man muß Gut, Blut und Ehre einsetzen
sür das Rechte: wer darf eine Linie weichen aus Furcht der Beschuldigung
von MMzismus. Jesuitismus und Kongregationalismus?" Man beschuldigte
nämlich die bloß litterarisch verbundnen Männer, daß sie eine förmliche
Kongregation gegründet hätten, und 1831 bezeichnete in der Zweiten Kammer
der Abgeordnete Culmann der Negierung das Haus in der Sentlinger Gasse,
wo die geheime Gesellschaft ihren Sitz habe. Da die Polizei nichts fand,
nannte der Minister Schenk die Kongregation ein Gespenst, Culmann aber
entgegnete: "Wenn sie auch nur ein Gespenst ist, so ist sie doch ein Gespenst
der Unterwelt, denn seine Ratschläge sind die der Hölle. Sie haben alle ge¬
hört, mit welchem Getöse im vorigen Jahre der schönste Thron Europas
niederstürzte, wie drei Generationen einer königlichen Familie von dem heimat¬
lichen Boden für immer Vertrieben wurden; nun, dies war das Werk dieses


Döllingers Jugend

den Krieg, den Heine in den Allgemeinen Politischen Annalen gegen Wolfgang
Menzel führte, mischte sich Döllinger ein. Als es hieß, die Politischen Annalen
sollten eingehn, ließ Döllinger in der Eos einen Liberalen eine Klage an¬
stimmen, die mit dem Satze schloß: „Herrn Heine möchte ich am wenigsten in
den Reihen der Streiter für die gute Sache vermissen; er schimpft auch auf
die katholische Kirche, so gut wie ein Hesperus und die Neckarzeitung; aber
er thut es nicht, wie diese, mit plumper Derbheit, sondern mit einer gewissen
(freilich etwas judaisierenden) Grazie, und auf ihn möchte der Vers des So¬
phokles passen, den Plutarch auf den Timoleon anwendet: Welche Venus,
welcher Liebesgott legte Hand an alles, was er that!" Heine scheint befürchtet
zu haben, das dumme Publikum könne die Ironie für Ernst nehmen, darum
hat er wohl noch im Jahre 1848 das schmutzige Gedicht vom Pfaffen
Dollingerius veröffentlicht, vor dem die Göttin der Anmut mit zugehaltner
Nase entflohen sein würde, wenn sie bei ihm gewesen wäre. Als die Eos
Platens Gedichte anerkennend besprach, ließ sich Heine natürlich die Gelegenheit
zu dem Witze nicht entgehn, die Freundschaft der Pfaffenblütter erkläre sich
daraus, daß die fraglichen Gedichte sehr geeignet seien, den Cölibat zu em¬
pfehlen.

Das Geschrei über die in Bayern drohende Gefahr des Obskurantismus
und Jesuitismus, gegen die man in der Person des Königs die letzte nicht
mehr ganz feste Schutzwehr sah, veranlaßte Ringseis, in seiner Rektoratsrede
am 26. Juni eine Sprache zu führen, wie sie wohl noch bei keiner amtlichen
Feierlichkeit in einer Aula gehört worden ist. „Es ist traurige Verblendung
einzelner Wohlmeinender, hochmütige Dummheit Übelgesinnter, über den so¬
genannten Parteien stehen zu wollen, wo beide wie Glaube und Unglaube,
wie Christus und Satanas gegenüberstehen. Es ist sträfliche Schwäche und
Sorglosigkeit, die fressende Gangrüne, statt sie auszuschneiden, mit einem ge¬
linden Pflaster zuzudecken, es ist schimpfliche Feigheit, im Kampfe ans Furcht
vor Schmähungen zu erlahmen. Man muß Gut, Blut und Ehre einsetzen
sür das Rechte: wer darf eine Linie weichen aus Furcht der Beschuldigung
von MMzismus. Jesuitismus und Kongregationalismus?" Man beschuldigte
nämlich die bloß litterarisch verbundnen Männer, daß sie eine förmliche
Kongregation gegründet hätten, und 1831 bezeichnete in der Zweiten Kammer
der Abgeordnete Culmann der Negierung das Haus in der Sentlinger Gasse,
wo die geheime Gesellschaft ihren Sitz habe. Da die Polizei nichts fand,
nannte der Minister Schenk die Kongregation ein Gespenst, Culmann aber
entgegnete: „Wenn sie auch nur ein Gespenst ist, so ist sie doch ein Gespenst
der Unterwelt, denn seine Ratschläge sind die der Hölle. Sie haben alle ge¬
hört, mit welchem Getöse im vorigen Jahre der schönste Thron Europas
niederstürzte, wie drei Generationen einer königlichen Familie von dem heimat¬
lichen Boden für immer Vertrieben wurden; nun, dies war das Werk dieses


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[0528] Döllingers Jugend den Krieg, den Heine in den Allgemeinen Politischen Annalen gegen Wolfgang Menzel führte, mischte sich Döllinger ein. Als es hieß, die Politischen Annalen sollten eingehn, ließ Döllinger in der Eos einen Liberalen eine Klage an¬ stimmen, die mit dem Satze schloß: „Herrn Heine möchte ich am wenigsten in den Reihen der Streiter für die gute Sache vermissen; er schimpft auch auf die katholische Kirche, so gut wie ein Hesperus und die Neckarzeitung; aber er thut es nicht, wie diese, mit plumper Derbheit, sondern mit einer gewissen (freilich etwas judaisierenden) Grazie, und auf ihn möchte der Vers des So¬ phokles passen, den Plutarch auf den Timoleon anwendet: Welche Venus, welcher Liebesgott legte Hand an alles, was er that!" Heine scheint befürchtet zu haben, das dumme Publikum könne die Ironie für Ernst nehmen, darum hat er wohl noch im Jahre 1848 das schmutzige Gedicht vom Pfaffen Dollingerius veröffentlicht, vor dem die Göttin der Anmut mit zugehaltner Nase entflohen sein würde, wenn sie bei ihm gewesen wäre. Als die Eos Platens Gedichte anerkennend besprach, ließ sich Heine natürlich die Gelegenheit zu dem Witze nicht entgehn, die Freundschaft der Pfaffenblütter erkläre sich daraus, daß die fraglichen Gedichte sehr geeignet seien, den Cölibat zu em¬ pfehlen. Das Geschrei über die in Bayern drohende Gefahr des Obskurantismus und Jesuitismus, gegen die man in der Person des Königs die letzte nicht mehr ganz feste Schutzwehr sah, veranlaßte Ringseis, in seiner Rektoratsrede am 26. Juni eine Sprache zu führen, wie sie wohl noch bei keiner amtlichen Feierlichkeit in einer Aula gehört worden ist. „Es ist traurige Verblendung einzelner Wohlmeinender, hochmütige Dummheit Übelgesinnter, über den so¬ genannten Parteien stehen zu wollen, wo beide wie Glaube und Unglaube, wie Christus und Satanas gegenüberstehen. Es ist sträfliche Schwäche und Sorglosigkeit, die fressende Gangrüne, statt sie auszuschneiden, mit einem ge¬ linden Pflaster zuzudecken, es ist schimpfliche Feigheit, im Kampfe ans Furcht vor Schmähungen zu erlahmen. Man muß Gut, Blut und Ehre einsetzen sür das Rechte: wer darf eine Linie weichen aus Furcht der Beschuldigung von MMzismus. Jesuitismus und Kongregationalismus?" Man beschuldigte nämlich die bloß litterarisch verbundnen Männer, daß sie eine förmliche Kongregation gegründet hätten, und 1831 bezeichnete in der Zweiten Kammer der Abgeordnete Culmann der Negierung das Haus in der Sentlinger Gasse, wo die geheime Gesellschaft ihren Sitz habe. Da die Polizei nichts fand, nannte der Minister Schenk die Kongregation ein Gespenst, Culmann aber entgegnete: „Wenn sie auch nur ein Gespenst ist, so ist sie doch ein Gespenst der Unterwelt, denn seine Ratschläge sind die der Hölle. Sie haben alle ge¬ hört, mit welchem Getöse im vorigen Jahre der schönste Thron Europas niederstürzte, wie drei Generationen einer königlichen Familie von dem heimat¬ lichen Boden für immer Vertrieben wurden; nun, dies war das Werk dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/528>, abgerufen am 20.10.2024.