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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Döllingers Jugend

machen sich bei ihm ein das Gemütsleben überwiegender Verstand, der ihn oft
kalt erscheinen läßt, und starker Sarkasmus bemerkbar. Doch sind beide, Vater
und Sohn, herzensgut gewesen. Als Kind war Döllinger nicht so glücklich
wie die Schüler seines Vaters; er bekam mehr dessen rauhe Seite zu spüren
und fürchtete sich vor ihm. Wegen einiger Fehler, die der Knabe in einer
Aufgabe gemacht hatte, drohte ihm der Vater, er werde ihn ein Handwerk
lernen lassen. Der kleine Ignaz zerbrach sich die ganze Nacht den Kopf
darüber, welches er wohl wählen solle, und fand endlich das richtige: die Buch¬
binderei. Der Vater war unzufrieden darüber, daß der Junge immer über
den Büchern hockte und nicht ins Freie zu bringen sei. Ein nicht ganz be¬
gründeter Vorwurf, denn Ignaz war sehr froh, wenn er an Exkursionen teil¬
nehmen durfte, benahm sich auch später nicht als Spielverderber und hat sich
Interesse für die Naturwissenschaften bewahrt; ja er ist noch in vorgeschrittnen
Jahren Entomologe und Sammler gewesen.

Zur Theologie hat ihn die fromme Mutter bestimmt. Dem Vater war
das unlieb, er war "schon aus physiologischen Gründen" Gegner des Cölibats.
In dieser Beziehung war nun freilich seine Besorgnis gegenstandslos. Ignaz
gehörte zu den Ausnahmenaturen, die sozusagen ohne Sinnlichkeit geboren sind.
"Der gute alte Döllinger," wie er als junger Alumnus von seinen Kameraden
genannt wurde, hatte nichts dagegen, wenn ihm bei Tisch alle fetten Bissen
weggeschnappt wurden, und für sein Bierdeputat ließ er sich das Geld heraus¬
geben, das er auf Bücher verwandte/") Als Student hatte er einmal den Duuois
in der Jungfrau von Orleans zwar seiner Ansicht nach feurig deklamiert aber
so hölzern gespielt, daß er auf dem Liebhabertheater keinen Versuch mehr
machte; getanzt hat er nie; die Bälle verachtete er als ein Vergnügen, das
keins sei. Man darf also wohl von der Cölibatsfrage sagen, was er selbst
von Wieland gesagt hat, sie habe für ihn "nicht die geringste Bedeutung" ge¬
habt. Einmal hat ein Mädchen Eindruck auf ihn gemacht, aber den haben die
Bücher sehr bald wieder verwischt. Man ist überrascht zu vernehmen, daß
er als Student in Würzburg mit dem drei Jahre ältern Platen eng befreundet
gewesen ist. Der Verkehr blieb jedoch rein litterarischer Natur; gelegentlich
spielte Döllinger den Moralisten und Ernährer, und Platen merkte früher als
der rein intellektuell angelegte Döllinger, daß etwas zwischen ihnen stehe; doch
blieben sie auch in der Entfernung noch einige Jahre befreundet, besorgten
einander Bücher und berichteten einander über ihre Sprachstudien.



*) Wie Bismorck, pflegte er in seinen spätern Jahren mir einmal am Tage zu essen.
Mit dem Trinken hielt er es jedoch etwas anders als der große Vertreter germanischer Art:
morgens ein Glas Wasser, abends ein Glas Limonade oder Milch; wenn er zum Mittagessen
^'ewas trank, so war es eine Mischung, die zu einem Drittel aus Wein und zu zwei Dritteln
nus Wasser bestand. Bier soll er nur einmal im Leben, und zwar ein Glas getrunken haben.
2. Band, S, 102.
Döllingers Jugend

machen sich bei ihm ein das Gemütsleben überwiegender Verstand, der ihn oft
kalt erscheinen läßt, und starker Sarkasmus bemerkbar. Doch sind beide, Vater
und Sohn, herzensgut gewesen. Als Kind war Döllinger nicht so glücklich
wie die Schüler seines Vaters; er bekam mehr dessen rauhe Seite zu spüren
und fürchtete sich vor ihm. Wegen einiger Fehler, die der Knabe in einer
Aufgabe gemacht hatte, drohte ihm der Vater, er werde ihn ein Handwerk
lernen lassen. Der kleine Ignaz zerbrach sich die ganze Nacht den Kopf
darüber, welches er wohl wählen solle, und fand endlich das richtige: die Buch¬
binderei. Der Vater war unzufrieden darüber, daß der Junge immer über
den Büchern hockte und nicht ins Freie zu bringen sei. Ein nicht ganz be¬
gründeter Vorwurf, denn Ignaz war sehr froh, wenn er an Exkursionen teil¬
nehmen durfte, benahm sich auch später nicht als Spielverderber und hat sich
Interesse für die Naturwissenschaften bewahrt; ja er ist noch in vorgeschrittnen
Jahren Entomologe und Sammler gewesen.

Zur Theologie hat ihn die fromme Mutter bestimmt. Dem Vater war
das unlieb, er war „schon aus physiologischen Gründen" Gegner des Cölibats.
In dieser Beziehung war nun freilich seine Besorgnis gegenstandslos. Ignaz
gehörte zu den Ausnahmenaturen, die sozusagen ohne Sinnlichkeit geboren sind.
„Der gute alte Döllinger," wie er als junger Alumnus von seinen Kameraden
genannt wurde, hatte nichts dagegen, wenn ihm bei Tisch alle fetten Bissen
weggeschnappt wurden, und für sein Bierdeputat ließ er sich das Geld heraus¬
geben, das er auf Bücher verwandte/") Als Student hatte er einmal den Duuois
in der Jungfrau von Orleans zwar seiner Ansicht nach feurig deklamiert aber
so hölzern gespielt, daß er auf dem Liebhabertheater keinen Versuch mehr
machte; getanzt hat er nie; die Bälle verachtete er als ein Vergnügen, das
keins sei. Man darf also wohl von der Cölibatsfrage sagen, was er selbst
von Wieland gesagt hat, sie habe für ihn „nicht die geringste Bedeutung" ge¬
habt. Einmal hat ein Mädchen Eindruck auf ihn gemacht, aber den haben die
Bücher sehr bald wieder verwischt. Man ist überrascht zu vernehmen, daß
er als Student in Würzburg mit dem drei Jahre ältern Platen eng befreundet
gewesen ist. Der Verkehr blieb jedoch rein litterarischer Natur; gelegentlich
spielte Döllinger den Moralisten und Ernährer, und Platen merkte früher als
der rein intellektuell angelegte Döllinger, daß etwas zwischen ihnen stehe; doch
blieben sie auch in der Entfernung noch einige Jahre befreundet, besorgten
einander Bücher und berichteten einander über ihre Sprachstudien.



*) Wie Bismorck, pflegte er in seinen spätern Jahren mir einmal am Tage zu essen.
Mit dem Trinken hielt er es jedoch etwas anders als der große Vertreter germanischer Art:
morgens ein Glas Wasser, abends ein Glas Limonade oder Milch; wenn er zum Mittagessen
^'ewas trank, so war es eine Mischung, die zu einem Drittel aus Wein und zu zwei Dritteln
nus Wasser bestand. Bier soll er nur einmal im Leben, und zwar ein Glas getrunken haben.
2. Band, S, 102.
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[0525] Döllingers Jugend machen sich bei ihm ein das Gemütsleben überwiegender Verstand, der ihn oft kalt erscheinen läßt, und starker Sarkasmus bemerkbar. Doch sind beide, Vater und Sohn, herzensgut gewesen. Als Kind war Döllinger nicht so glücklich wie die Schüler seines Vaters; er bekam mehr dessen rauhe Seite zu spüren und fürchtete sich vor ihm. Wegen einiger Fehler, die der Knabe in einer Aufgabe gemacht hatte, drohte ihm der Vater, er werde ihn ein Handwerk lernen lassen. Der kleine Ignaz zerbrach sich die ganze Nacht den Kopf darüber, welches er wohl wählen solle, und fand endlich das richtige: die Buch¬ binderei. Der Vater war unzufrieden darüber, daß der Junge immer über den Büchern hockte und nicht ins Freie zu bringen sei. Ein nicht ganz be¬ gründeter Vorwurf, denn Ignaz war sehr froh, wenn er an Exkursionen teil¬ nehmen durfte, benahm sich auch später nicht als Spielverderber und hat sich Interesse für die Naturwissenschaften bewahrt; ja er ist noch in vorgeschrittnen Jahren Entomologe und Sammler gewesen. Zur Theologie hat ihn die fromme Mutter bestimmt. Dem Vater war das unlieb, er war „schon aus physiologischen Gründen" Gegner des Cölibats. In dieser Beziehung war nun freilich seine Besorgnis gegenstandslos. Ignaz gehörte zu den Ausnahmenaturen, die sozusagen ohne Sinnlichkeit geboren sind. „Der gute alte Döllinger," wie er als junger Alumnus von seinen Kameraden genannt wurde, hatte nichts dagegen, wenn ihm bei Tisch alle fetten Bissen weggeschnappt wurden, und für sein Bierdeputat ließ er sich das Geld heraus¬ geben, das er auf Bücher verwandte/") Als Student hatte er einmal den Duuois in der Jungfrau von Orleans zwar seiner Ansicht nach feurig deklamiert aber so hölzern gespielt, daß er auf dem Liebhabertheater keinen Versuch mehr machte; getanzt hat er nie; die Bälle verachtete er als ein Vergnügen, das keins sei. Man darf also wohl von der Cölibatsfrage sagen, was er selbst von Wieland gesagt hat, sie habe für ihn „nicht die geringste Bedeutung" ge¬ habt. Einmal hat ein Mädchen Eindruck auf ihn gemacht, aber den haben die Bücher sehr bald wieder verwischt. Man ist überrascht zu vernehmen, daß er als Student in Würzburg mit dem drei Jahre ältern Platen eng befreundet gewesen ist. Der Verkehr blieb jedoch rein litterarischer Natur; gelegentlich spielte Döllinger den Moralisten und Ernährer, und Platen merkte früher als der rein intellektuell angelegte Döllinger, daß etwas zwischen ihnen stehe; doch blieben sie auch in der Entfernung noch einige Jahre befreundet, besorgten einander Bücher und berichteten einander über ihre Sprachstudien. *) Wie Bismorck, pflegte er in seinen spätern Jahren mir einmal am Tage zu essen. Mit dem Trinken hielt er es jedoch etwas anders als der große Vertreter germanischer Art: morgens ein Glas Wasser, abends ein Glas Limonade oder Milch; wenn er zum Mittagessen ^'ewas trank, so war es eine Mischung, die zu einem Drittel aus Wein und zu zwei Dritteln nus Wasser bestand. Bier soll er nur einmal im Leben, und zwar ein Glas getrunken haben. 2. Band, S, 102.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/525>, abgerufen am 28.09.2024.