Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Auch einer, der dabei war und schönen Ausdruck findet? Und nun gar der Triumphgesang des Siegers, mit Und so was nannte die Jugend und Unbeholfenheit eines wenig erfahrnen Ich habe das alles so ausführlich wiedergegeben, weil ich mich noch jetzt der Meine Mutter wußte es gleich, wenn ich bei Hinrich gewesen war. Ich schnurrte In dem Jahre, das ich ganz besonders im Auge habe, kam der Frühling rasch Ich sang mein altes Lied, das heißt, brachte meine alte Bitte vor, aber Hinrich Ich verstand: "stramm vör de Wand" und fragte, was das bedeute. Dat debut Krieg -- erklärte Hinrich. War vern Krieg -- fragte ich --, son ornilichen Krieg, mit lebenni Soldaten? Ja ja, just son -- bestätigte Hinrich. Krieg? -- wiederholte ich ungläubig. Ich kannte ihn nur aus Erzählungen meiner Mutter aus der Kosakeuzeit, Ich fühlte mich stark beunruhigt. Du, Hinnerk, fragte ich, son Krieg, wo lebenni Svldoten in dvtschoten ward? Dat wilit 'et meen -- sagte Hinrich --, lebenni Menschen, keen Dinger our Bleak. Dem Kinde ist das Leben unter allen Umständen das höchste Gut. Wie man Dann kam mir ein fürchterlicher Gedanke. Hinnerk, geihst du ok in Krieg? Hinrich schlug ebeu einen Pfahl ein, die Frage war offenbar nichtig oder dumm. Dat ward wol ni anners, Jung! -- sagte er dann. Ich war dem Weinen nahe. Warrs ok dotschoteu? Auch einer, der dabei war und schönen Ausdruck findet? Und nun gar der Triumphgesang des Siegers, mit Und so was nannte die Jugend und Unbeholfenheit eines wenig erfahrnen Ich habe das alles so ausführlich wiedergegeben, weil ich mich noch jetzt der Meine Mutter wußte es gleich, wenn ich bei Hinrich gewesen war. Ich schnurrte In dem Jahre, das ich ganz besonders im Auge habe, kam der Frühling rasch Ich sang mein altes Lied, das heißt, brachte meine alte Bitte vor, aber Hinrich Ich verstand: „stramm vör de Wand" und fragte, was das bedeute. Dat debut Krieg — erklärte Hinrich. War vern Krieg — fragte ich —, son ornilichen Krieg, mit lebenni Soldaten? Ja ja, just son — bestätigte Hinrich. Krieg? — wiederholte ich ungläubig. Ich kannte ihn nur aus Erzählungen meiner Mutter aus der Kosakeuzeit, Ich fühlte mich stark beunruhigt. Du, Hinnerk, fragte ich, son Krieg, wo lebenni Svldoten in dvtschoten ward? Dat wilit 'et meen — sagte Hinrich —, lebenni Menschen, keen Dinger our Bleak. Dem Kinde ist das Leben unter allen Umständen das höchste Gut. Wie man Dann kam mir ein fürchterlicher Gedanke. Hinnerk, geihst du ok in Krieg? Hinrich schlug ebeu einen Pfahl ein, die Frage war offenbar nichtig oder dumm. Dat ward wol ni anners, Jung! — sagte er dann. Ich war dem Weinen nahe. Warrs ok dotschoteu? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230484"/> <fw type="header" place="top"> Auch einer, der dabei war</fw><lb/> <p xml:id="ID_129" prev="#ID_128"> und schönen Ausdruck findet? Und nun gar der Triumphgesang des Siegers, mit<lb/> dem die Darstellung schließt. Davon müßte selbst ein Dichter die Hände lassen.<lb/> So ein Siegeskantns ist der Wille zum Leben selbst. Und keine Silbenstccherei<lb/> wird es wiedergeben, wie der Überwundne, der die Grenzen seiner Kraft verkannte,<lb/> in ohnmächtiger Wild über die Dachschrägung rollt.</p><lb/> <p xml:id="ID_130"> Und so was nannte die Jugend und Unbeholfenheit eines wenig erfahrnen<lb/> Kammblasers: Schriegn as'n Kalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_131"> Ich habe das alles so ausführlich wiedergegeben, weil ich mich noch jetzt der<lb/> Kolossalwirkung auf mein junges Gemüt gern erinnere. Der Katzengesang stand<lb/> mir höher als das WaldhornAnsen, das Hinrich ebenfalls ohne jegliche Hilfsmittel,<lb/> nur mit den Lippen, ganz fnmos machen konnte. Damals gab ich noch einer Zirlns-<lb/> vvrstelluug den Vorzug vor Goethes Faust, jetzt ziehe ich den Faust vor, jetzt reiche<lb/> ich auch dem Waldhornisten die Palme. „Ich hatt einen Kameraden," „Schier<lb/> dreißig Jahre bist du alt," „Steh ich in finstrer Mitternacht" — das waren die<lb/> Lieder, die Hinrich mit Vorliebe blies. Wenn ich ein Posthorn höre, so muß ich<lb/> immer darau denken, wie Hinrich Buteuschön draußen im Wischhof bei unserm Haus,<lb/> wenn er die Rieselgräbcn löste, mir Waldhorn blies, zum Troste dafür, daß ihm<lb/> das Katzengeschrei ausgegangen sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_132"> Meine Mutter wußte es gleich, wenn ich bei Hinrich gewesen war. Ich schnurrte<lb/> und brummte dann den ganzen Tag und hörte noch nicht auf, wenn ich schon in den<lb/> Kissen lag, und der Sandmann die ersten Körner in meine jungen Augen warf.</p><lb/> <p xml:id="ID_133"> In dem Jahre, das ich ganz besonders im Auge habe, kam der Frühling rasch<lb/> und mit Macht. Schon im März zeigten sich die Weidenkätzchen; Hinrich dichtete<lb/> die Knickhagen unsrer Hauskoppel. Es war ganz sommerlich warm.</p><lb/> <p xml:id="ID_134"> Ich sang mein altes Lied, das heißt, brachte meine alte Bitte vor, aber Hinrich<lb/> war gänzlich abgeneigt, Katze zu sein. Nein, mein Junge — meinte er —, wir<lb/> wollen lieber eins singen. Und er lehrte mich Lieder, die neu aufgekommen waren,<lb/> die in der Luft lagen. 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Auch einer, der dabei war
und schönen Ausdruck findet? Und nun gar der Triumphgesang des Siegers, mit
dem die Darstellung schließt. Davon müßte selbst ein Dichter die Hände lassen.
So ein Siegeskantns ist der Wille zum Leben selbst. Und keine Silbenstccherei
wird es wiedergeben, wie der Überwundne, der die Grenzen seiner Kraft verkannte,
in ohnmächtiger Wild über die Dachschrägung rollt.
Und so was nannte die Jugend und Unbeholfenheit eines wenig erfahrnen
Kammblasers: Schriegn as'n Kalt.
Ich habe das alles so ausführlich wiedergegeben, weil ich mich noch jetzt der
Kolossalwirkung auf mein junges Gemüt gern erinnere. Der Katzengesang stand
mir höher als das WaldhornAnsen, das Hinrich ebenfalls ohne jegliche Hilfsmittel,
nur mit den Lippen, ganz fnmos machen konnte. Damals gab ich noch einer Zirlns-
vvrstelluug den Vorzug vor Goethes Faust, jetzt ziehe ich den Faust vor, jetzt reiche
ich auch dem Waldhornisten die Palme. „Ich hatt einen Kameraden," „Schier
dreißig Jahre bist du alt," „Steh ich in finstrer Mitternacht" — das waren die
Lieder, die Hinrich mit Vorliebe blies. Wenn ich ein Posthorn höre, so muß ich
immer darau denken, wie Hinrich Buteuschön draußen im Wischhof bei unserm Haus,
wenn er die Rieselgräbcn löste, mir Waldhorn blies, zum Troste dafür, daß ihm
das Katzengeschrei ausgegangen sei.
Meine Mutter wußte es gleich, wenn ich bei Hinrich gewesen war. Ich schnurrte
und brummte dann den ganzen Tag und hörte noch nicht auf, wenn ich schon in den
Kissen lag, und der Sandmann die ersten Körner in meine jungen Augen warf.
In dem Jahre, das ich ganz besonders im Auge habe, kam der Frühling rasch
und mit Macht. Schon im März zeigten sich die Weidenkätzchen; Hinrich dichtete
die Knickhagen unsrer Hauskoppel. Es war ganz sommerlich warm.
Ich sang mein altes Lied, das heißt, brachte meine alte Bitte vor, aber Hinrich
war gänzlich abgeneigt, Katze zu sein. Nein, mein Junge — meinte er —, wir
wollen lieber eins singen. Und er lehrte mich Lieder, die neu aufgekommen waren,
die in der Luft lagen. Zum Beispiel: „Wir sind zu der ersten Ziehung bereit,"
„König Christian seinen offnen Brief," „Schleswig-Holstein stammverwandt."
Ich verstand: „stramm vör de Wand" und fragte, was das bedeute.
Dat debut Krieg — erklärte Hinrich.
War vern Krieg — fragte ich —, son ornilichen Krieg, mit lebenni Soldaten?
Ja ja, just son — bestätigte Hinrich.
Krieg? — wiederholte ich ungläubig.
Ich kannte ihn nur aus Erzählungen meiner Mutter aus der Kosakeuzeit,
durch unsern Tagelöhner Timm, der bei Sehestedt mitgefochten hatte.
Ich fühlte mich stark beunruhigt.
Du, Hinnerk, fragte ich, son Krieg, wo lebenni Svldoten in dvtschoten ward?
'
Dat wilit 'et meen — sagte Hinrich —, lebenni Menschen, keen Dinger our Bleak.
Dem Kinde ist das Leben unter allen Umständen das höchste Gut. Wie man
von Totschießen und mit solcher Ruhe sprechen und dabei Latten dnrch den Knick-
hagcn ziehn konnte, das begriff ich nicht.
Dann kam mir ein fürchterlicher Gedanke.
Hinnerk, geihst du ok in Krieg?
Hinrich schlug ebeu einen Pfahl ein, die Frage war offenbar nichtig oder dumm.
Erst besorgte er es dem Pfahl gründlich und Probierte seine Festigkeit.
Dat ward wol ni anners, Jung! — sagte er dann.
Ich war dem Weinen nahe.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
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